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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

preisen! Morgen bringt die ‚Gazzetta‘ – neben der Ernennung Cesari’s zum ersten Minister – ein königliches Decret, das Ihr an’s Herz drücken mögt, wie den zärtlichsten Liebesbrief. Allen Verurtheilten, deren That nicht aus Ehrlosigkeit der Gesinnung hervorgegangen, schenkt der König Verzeihung; – eh’ zweimal vierundzwanzig Stunden vergehn, ist Salvatore Padovanino in Freiheit!“

Ein leichter Auschrei der Wonne, des namenlosen Entzückens – und Maria lag ohnmächtig in den Armen Alberto Petagna’s.

„Laßt sie nur!“ wehrte Gustav den Umstehenden, die erschreckt auf sie zueilten. „Das wird vorübergehen ... Ich sah es voraus, und deshalb bezwang ich die Ungeduld, die mich drängte, ihr’s gleich beim ersten Anblick entgegenzurufen. Nach und nach sollte sie’s ahnen, – und nun hat’s doch ihr armes Herz übermannt, wie ein Sturm.“

Langsam schlug Maria die Augen auf. Ihr erstes Wort galt dem Freund ihrer Jugend, dem getreuen Alberto.

„Ich vergesse Dir’s nicht,“ raunte sie fast unhörbar. „Daß wir nun das Alles nicht nöthig haben, daß Du Dein theures Leben nicht zu gefährden brauchst – o wie gut, wie gut! Aber ich danke Dir’s dennoch, und nicht anders ist mir’s zu Sinne, als hättest Du allein ihn befreit, Du, Alberto, Du bester und edelster aller Menschen!“

Das Glück, die heilige Dankbarkeit, die Erlösung von dem Druck ihrer Herzenslast goß einen verklärenden Schimmer über das herrliche Mädchenantlitz, das so viele Monate lang der Spiegel quälender Unrast gewesen und mühsamer Selbstbeherrschung. Gustav Nyborg beobachtete diese Wandlung, trotz der herzlichen Theilnahme, die er für Maria empfand, mit dem Auge des Künstlers. War sie bis dahin schön gewesen – jetzt erschien sie berückend; die Harmonie ihres Wesens war endlich zurückgekehrt – und Gustav Nyborg erblickte eine neue Maria, deren zaubrischer Liebreiz ihm die alte Wahrheit verkündete: daß die höchste Schönheit aus der Tiefe eines reingestimmten Gemüths quillt.

Sie stammelte ihren Dank für die Freudenbotschaft – sie sprach von Cesari, von Salvatore, vom König – alles in holder Verwirrung, wie taumelnd von dem Rausch ihrer Seligkeit.

Der Maler erzählte noch, bis es zu dunkeln anfing. Der Platz vor der Osteria hatte sich allmählich gefüllt. Ganz Capri wußte jetzt, was sich ereignet hatte. Die Zingarella jedoch war längst in ihr Stübchen geeilt und hatte sich niedergeworfen vor dem Bildniß der Gottesmutter. Während Alberto, das Weh der Entsagung im Herzen, und dennoch ruhig und friedvoll, nach der abgelegenen Hütte zurückschritt, stieg von den Lippen Maria’s ein heißes Gebet auf, unerschöpflich in der Fülle seiner dankbaren, leidenschaftlichen Andacht. Auch Alberto’s gedachte sie in dieser heiligen Stunde, und da sie bewegt seinen Namen murmelte, rollten ihr zwei brennende Thränen unter den Wimpern hervor.

„Ja, ja, ihr Leute!“ so schloß der begeisterte Nyborg seinen Bericht, – „Ihr werdet’s nun aus eigner Anschauung kennen lernen, ob so ein ‚Freiheitsfreund‘ den Staat aus den Fugen bringt oder nicht! Was gestern noch halb wie Verrath klang, ist heute Regierungsweisheit – und ich wette darauf, Ihr sollt noch einsehn, daß Ihr nicht die Klügsten gewesen, da Ihr Euch vor den Liberalen bekreuzigt habt. Excellenz Cesari wird Euch die Augen öffnen.“

„Aber nun sagt, Signore!“ fragte ein junger Bursche, der ihm athemlos zugehört hatte, „was wird denn nun aus den beiden Canaillen, dem verruchten Nacosta und dem Henkersgehülfen Marsucci? Sind die auch miteinbegriffen in der Amnestie, oder wie Ihr’s genannt habt?“

„Wo denkt Ihr hin, Piccolo! Vergeßt Ihr, was ich von der Ehrlosigkeit der Gesinnung sagte? Für solche Spitzbuben sind die Früchte der königlichen Gnade nicht reif geworden; die marschiren zum Bagno, mitsammt der Hexe Crispina . . . Ja so, das wißt Ihr noch nicht, daß die Frau des Nacosta bei der Sache betheiligt war?“

„Doch, doch!“

„Betheiligt, wie die Schlange beim Sündenfall! Ein diabolisches Weib! Vielleicht, wenn die nicht gewesen wäre ...“

„Eins noch!“ rief der Osteria-Besitzer, da Gustav Miene machte sich zu entfernen. „Die Giulietta – wenn die doch so zu sagen die Ursache war, daß Alles herauskam – denn ohne die hätte der Avvocato ja keine Zeugen gehabt wider Emmanuele Nacosta – die Giulietta müßte doch auch ein Schön-Dank bekommen vom neuen Minister . . .“

„Seid ohne Sorge, Giuseppe! In all’ dem Aufruhr der letzten Tage hat Antonio Cesari seine freundliche Wirthin vom vorigen Herbst durchaus nicht vergessen. Er sprach mir sogar ausdrücklich von einem Plan, den er hätte . . . Sie soll nicht fürder genöthigt sein, um ihres Bruders willen im Gasthaus die Cameriera zu spielen; sie taugt zu was Besserm.“

„Das nenn’ ich einen brillanten Minister!“ sagte Giuseppe. „Seht Ihr, ich hab’s Euch immer geweissagt! Es kommt ein Umschwung, habe ich gesagt, und es ist noch nicht aller Tage Abend!“

„Evviva il Governo! Evviva Cesari!“ erklang es nun hundertstimmig. Die eine Mittheilung über Giulietta hatte tiefer gewirkt, als Alles zuvor; nun griff man’s mit Händen: der neue Lenker des Staatsschiffs war nicht nur ein „Freund der Freiheit“, wie er sich nannte, sondern auch ein Freund der Geringen, ein Beschirmer der Schwachen, kurz: ein Minister nach dem Herzen des Volkes.

Am folgenden Tage in aller Frühe verließ der Apulier das Gefängniß des Municipio’s. Die Zeit der Buße und der verzweiflungsvollen Kämpfe war nun vorüber, die Lehren aber, die er aus diesen Kämpfen geschöpft, nahm er dankerfüllt mit hinüber in eine Zukunft ernster und redlicher Arbeit. Sein großherziger Beschützer bot ihm nach wie vor die hülfreiche Hand; einmal in die rechten Bahnen geleitet, bewältigte Salvatore spielend die unglaublichsten Schwierigkeiten, – und ehe ein Jahr verstrich, war der verworrene, haltlose Schwärmer von ehedem einer der tüchtigsten Beamten des Königreichs, der getreue Mitarbeiter Antonio Cesari’s, eine wahrhaft schöpferische Kraft, die allerdings noch immer einer gewissen Controle bedurfte, um sich mit ihren großartigen Ideen nicht in’s Schrankenlose und Traumhafte zu verlieren. Zu Anfang hatte man’s dem Premier-Minister verdacht, daß er sich so hinwegsetzte über Salvatore’s Vergangenheit; der Erfolg jedoch gab ihm Recht, und so verzieh man dem Apulier um so bereitwilliger, als die frühere Schroffheit des Ungestümen sich in ruhige Anspruchslosigkeit und Schlichtheit verwandelt hatte. Das Glück macht edle Naturen, unbeschabet eines kraftvollen Selbstgefühls, demüthig; himmelstürmend geberdet sich nur die Sehnsucht. Für Salvatore jedoch, seit die angebetete Zingarella sein Weib geworden, gab’s keine Sehnsucht mehr: sein ganzes Dasein war ewig leuchtende Gegenwart.




Aus Pompeji.


„Sieh’, nun liegt im Staube Pompeji, zerbrochen, verschüttet,
Wie ein Gefäß, das spielend vom Sockel ein Knabe hinabwarf.
Larven bewohnen sie nun, und es schlüpft durch stille Paläste
Ekles Gewürm, auf GOld sich bettend und tyrische Seide.
Aber die ewige Nacht deckt köstliche Wunder der Schönheit.
Also rollet die Zeit gleich Kieseln des Feldes beständig
Werke und Werke der menschen, Prometheus’ Kinder verhöhnend,
Die aus Staube den Staub, armselige Schöpfer gestalten.
Schutt nur erben die Enkel, es sammelt die trauernde Nachwelt
Selbst die erhabenste That als splitternde Scherbe vom Schutt auf.“


Und diese Scherben setzten wir uns, wie Kinder im mühsamen Geduldspiel, Stück für Stück zusammen zu einem Spiegel, in dem sich einst die kleine römisch-griechische Welt Pompeji’s gespiegelt. Manches Stück fehlt, das Bild wird kein Ganzes, wer aber gute Augen und einen geübten Forschergeist hat, wer mit dem Auge des Künstlers, des Dichters schaut, der ergänzt das Fehlende, und aus den Trümmern leuchtet ihm das Gesicht einer zweitausend Jahre alten Vergangenheit entgegen, das uns wie eine Traumvision anmuthet.

Wir schauen in den Spiegel einer Cultur, die aus dem Verkehr der Stadt mit schönheitsfrommen Nationen des ganzen Erdkreises, aus der Herrscherkraft Roms, hellenischer Kunsttüchtigkeit, aus der Verbindung der Tugenden verschiedenster Völker nach und nach erwachsen war.

Ja, schön war sie, diese „Colonia Venerea Cornelia Pompeji“, die blühende Stadt der Venus, und beglückt waren ihre Tage. Sie badete ihren Fuß in den Wellen des friedlichsten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_418.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)