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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Erinnerungen an einen Millionenfürsten.

Von Hermann Heiberg.

Gegen Ende der Sechsziger Jahre folgte ich der Aufforderung eines meiner Verwandten, der mit Strousberg wegen der Bau-Ausführung einer großen Eisenbahn verhandelte, dem um diese Zeit vielbesprochenen Manne einen Besuch zu machen.

Alle Welt redete damals von dem Millionenfürsten, und die Zeitungen brachten fast wöchentlich fabelhaft klingende Mittheilungen über seine Person, seine Unternehmungen und seinen Besitz. Namentlich war auch viel von seinem neuerbauten Palais in der Wilhelmsstraße die Rede, und dieses einmal in Augenschein zu nehmen, reizte mich ganz besonders.

Strousberg hatte meinem auswärts wohnenden Verwandten schreiben lassen, daß er ihn zu sprechen wünsche, und ein genauer Termin war zwischen ihnen Beiden verabredet worden.

Als wir zur festgestellten Zeit die Treppen des edelgehaltenen Baues hinaufstiegen, hielt ein Viergespann vor der Thür, im Vestibul stand ein halb Dutzend livrirter Diener, und ringsum saßen Petenten, die des Augenblicks gewärtig waren, wo sie sich dem Gewaltigen nähern durften.

Während wir noch mit dem Diener sprachen, öffnete sich die Thür und laut redend erschien ein mittelgroßer, etwas corpulenter Mann mit scharf prononcirten Zügen, der rasch voranschritt und weder uns, noch die Uebrigen eines Blickes würdigte.

„Ah, Sie, Herr von B.?“ hub er an, als mein Verwandter sich näherte und mich gleichzeitig vorstellte. „Thut mir sehr leid! Jetzt muß ich fort. Morgen um diese Zeit, wenn es Ihnen gefällig ist.“ – Und zu mir gewandt: „Freut mich, Sie kennen gelernt zu haben! Besuchen Sie mich einmal wieder. – Sie, – führen Sie die Herren durch die Zimmer.“

Nachdem er die letzten Worte einem der Diener zugerufen, eilte er rasch und ohne Gruß an uns vorüber und jagte im nächsten Augenblick bereits mit seinem offenen Gespann davon. Während wir die prächtigen, mit höchstem Geschmack und mit wahrhaft vornehmem Luxus ausgestatteten Räume durchschritten, äußerte ich mein Erstaunen über diese formlose Art, eine feste Abmachung zu ignoriren, und es mag hier gleich erwähnt werden, daß es ein charakteristischer Zug dieses Mannes war, mit einer von den Geschäfts- und Gewohnheitsüsancen mehr als abweichenden Nonchalance nur allzuhäufig derartige Verabredungen zu behandeln. Nachdem wir die sämmtlichen, namentlich durch vorzügliche Gemälde geschmückten Zimmer besichtigt und auch in einem Wintergarten eine künstliche Nachtigall hatten singen hören – („o bitte, warten Sie,“ sagte bezeichnend der Diener; „ich werde sie gleich aufziehen“), ließen wir das auch zur Vorbereitung für den morgigen Besuch nothwendige Trinkgeld in die Hand des Führers gleiten und empfahlen uns.

Strousberg stand damals auf der Höhe seiner Erfolge. Das Haus und die Bureaux waren umlagert von Antragstellern aus aller Herren Ländern, Vorschläge und Offerten gingen täglich zu Hunderten ein; bei Strousberg eingeladen zu werden, galt für eine der größten Auszeichnungen, und Capitalisten, Millionäre, Grafen und Fürsten antichambrirten stundenlang. Wenn er auf Reisen ging, folgte ihm ein Train, der dem Beherrscher eines Landes Ehre gemacht hätte; nicht selten wurde ein Extrazug für ihn geheizt, und fortwährend meldeten die Blätter von neuen Erwerbungen, bei denen es sich um Hunderttausende handelte. Als Strousberg seine silberne Hochzeit feierte, waren die Zeitungen spaltenlang gefüllt mit der Aufzählung von kostbaren Geschenken, die man ihm verehrt hatte, und kurz nach diesem Familienfeste feierte er, wenn ich mich nicht sehr irre, auch endlich den langersehnten Triumph, daß eine hochgestellte Persönlichkeit des Hofes seine Gemäldegallerie besichtigte.

Als wir am nächsten Tage uns in seinem Bureau in der Jägerstraße einfanden, wimmelte es von Menschen. Boten kamen, Depeschen wurden abgegeben; es war ein Hin und Her und ein Aus und Ein sondergleichen. Nun saß ich dem merkwürdigen Manne zum ersten Male gegenüber, hörte ihn reden und konnte ihn beobachten.

Es verbindet sich mit dieser Skizze nicht die Absicht, Strousberg erschöpfend als Geschäftsmann oder als Mensch in seinen privaten Verhältnissen zu schildern. Dies ist früher und neuerdings bei seinem soeben erfolgten Tode besser und ausreichender von anderen Seiten geschehen. Aber ich glaube, daß die Mittheilung einiger Begegnisse unter sehr von einander abweichenden Verhältnissen nicht ohne Interesse sein wird und, neben der Charakterisirung, mancherlei Vorurtheile über diesen seltsamen Mann zu zerstreuen im Stande ist. Ich meine, dies vorausgesandt, mein Urtheil dahin zusammenfassen zu können, daß Strousberg ein ganz außergewöhnlicher Mensch war. Seine Tugenden waren so groß, wie seine Fehler. An ihn mit der Moral der Kinderstube heranzutreten, hieße die geistigen Bedeutungsunterschiede der Menschen und die aus großen Zwecken nothwendig sich ergebenden Consequenzen verkennen. Auch ihm seine eminenten Verdienste um die Förderung des preußischen Eisenbahnwesens absprechen zu wollen, würde keine vorurtheilsfreie Kritik wagen dürfen.

In erster Linie aber war Strousberg – fast klingt es wie eine Paradoxie – kein Geschäftsmann; an dieser Thatsache scheiterte er. Er war weder ein Rechner noch ein Sparer. Seine Voraussetzungen erhob er ohne Weiteres zu fertigen Ergebnissen. Aus diesen Illusionen heraus disponirte er nicht nur über erst eingehende Geldgewinne, sondern er machte sich durch allerlei Passionen, die er betrieb, in leichtsinnigster Weise sogar ganz unnütze Verlegenheiten. Er war weder pünktlich noch zuverlässig, weder klug berechnend noch rücksichtsvoll um seines Vortheils willen, ja sogar unklug und unvorsichtig in seinen Reden, um einen augenblicklichen kleinlichen Erfolg der Bewunderung zu erzielen. Strousberg war mit sammt seinen Gaben ein gefährlicher Phantast, und nur seine gleichzeitige glänzende Verstandesdivination und das unerhörte Glück seiner Erfolge haben es ermöglicht, daß dieser Mann zeitweilig eine so große Rolle hat spielen können. Er erhob Thorheit zu Weisheit; die einfachsten Regeldetrisätze des Calcüls, die ewig unwandelbar und unverrückbar sind, schien er mit ihrer logischen Wahrheit über den Haufen zu werfen, die gewiegtesten und kaltbesonnensten Geschäftsmänner fesselte er an seine Fahne, dictirte mit fast unumschränkter Autorität seiner Umgebung, und stellte vorübergehend Menschen und Verhältnisse geradezu auf den Kopf. Und das Alles, das Gute und das Ueble – nicht aus Gewinnsucht, niemals, außer in höchster Bedrängniß – mit verwerflichen Mitteln, niemals mit kalter, egoistischer Berechnung, – aber immer aus einem mächtigen unbezwingbaren Schaffensdrange, und nicht zum wenigsten – aus Eitelkeit.

Wäre Strousberg ein ebenso fähiger Erhalter wie Förderer großer, zeitgemäßer Ideen gewesen, hätte er mit seinem Organisationstalente auch die Ruhe und die Gründlichkeit besessen, hätte er es verstanden, vermöge praktischer Menschenkenntniß, die ihm völlig abging, sich mit zuverlässigen und tüchtigen Personen zu umgeben, und hätte er erkannt, daß in der Beschränkung erst die wahre Meisterschaft beruhe, die Welt würde auf dem von ihm gepflegten Gebiete seines Gleichen kaum gehabt haben. Denn er war zugleich voll Idealismus, voll Menschenliebe, erfüllt von dem Drange, Gutes und Großes zu schaffen, zu nützen: – er war wahrhaft selbstlos für seine eigene Person, voll rührender Sorge für seine Familie, hatte keine Körper und Geist zerstörende Passionen; er war weder Spieler noch Trinker, er besaß im Gegentheil einen genügsamen Hang zur Häuslichkeit, der als Muster hätte dienen können.

Und seine edle Frau, von der einst eine Dame behauptete, wenn Engel zur Erde herabstiegen, müßte sie sich in deren Gefolge befinden, trug seine Launen, seine Grobheiten, ja häufig seine maßlosen Rohheiten mit einer beispiellosen Geduld; sie kannte seinen inneren Kern und übte deshalb sanftmüthige Nachsicht mit seinen Schwächen.

Das folgende Mal näherte ich mich Strousberg auf Bitten eines mir eng befreundeten Künstlers, des inzwischen verstorbenen, in seiner Art hochbedeutenden Thiermalers Eugen Krüger, der Werth darauf legte, daß Strousberg eines seiner Bilder kaufen möge, aber selbst ein Angebot natürlich nicht machen wollte. Ich erinnere mich der Scene, wie heute. – Strousberg ließ – es war Nachmittagszeit und das Bild war ihm bereits nach einer gesprächsweisen Vorbereitung von meiner Seite in’s Palais gebracht – heraussagen, er bäte mich, näher zu treten. Ich durchwanderte eine Reihe der hellerleuchteten, prunkvollen Zimmer und fand ihn – die Kleider geöffnet – auf einem kleinen Sopha ausgestreckt.

„Nun, Herr Doctor,“ hub ich an, „wie hat Ihnen das Bild – (es waren Wildschweine im Winterschnee –) gefallen?“

„Der Mann kann Sauen malen, aber keine Luft. Sagen Sie ihm das!“ –

Ich hörte, aber wartete auf Entscheidung. Endlich sagte ich: „Es ist also nichts?“

„Hm, hm! Wie viel fordert der Mann?“

Ich nannte einen angemessenen, nicht zu hohen Preis.

„Für die Luft viel zu viel, für die Schweine allerdings zu wenig. – Nein, nein, es ist nichts!“ – und er ging auf ein anderes Thema über.

Krüger war im ersten Augenblick sehr erregt, als ich ihm berichtete. Nach einigen Tagen aber sagte er mir: „Strousberg hat Recht. Reden wir nicht mehr davon.“

Auch dieser Zwischenfall war für Strousberg sehr charakteristisch. Er traf immer den Nagel auf den Kopf. Bei seiner Vielseitigkeit war er überall zu Hause, und als sachgemäßer, geistvoller Kritiker suchte er seines Gleichen.

Es möge noch ein Beispiel von der planlosen Unbesonnenheit hier Platz finden, mit der er bisweilen vorging, wenn ihn etwas interessirte oder der Vortragende ihn zu fesseln wußte.

Die Disconto-Gesellschaft hatte zur Gründungszeit die Absicht, eine der größten europäischen Zeitungen in ihren Besitz zu bringen. Man war auch auf eine große Kaufsumme gefaßt, aber selbstredend mußte es ein „Geschäft“ sein. Herr von Hansemann that, als er den Preis hörte, den denkwürdigen Ausspruch: „Da kaufe ich mir lieber preußische Consols und schlafe ruhig.“ –

Aus der Sache wurde nichts. Strousberg aber hatte von der Angelegenheit gehört und bat mich, ihn zu besuchen. „Wie viel?“ fragte er, ohne auch nur eine Ziffer zu kennen. Ich nannte die nach vielen Millionen Thalern zählende Forderung.

„Ich kaufe sie“ – resolvirte er kurz. „Ich kaufe sie für meine Kinder. – Sagen Sie in meinem Auftrage Hansemann, daß wir das Geschäft zusammen machen wollten; ich werde dann das Nähere mit ihm besprechen. Entschließt er sich, ist die Sache abgemacht.“

Als ich Herrn von Hansemann lediglich im Interesse eines endlichen Definitivums nochmals besuchte und Strousberg’s Auftrag ausrichtete, schüttelte er in einer Weise mit dem Kopfe, daß ich die Antwort meinem Auftraggeber gar nicht überbrachte. Aber Strousberg hatte auch jedenfalls die Sache schon nach vierundzwanzig Stunden vergessen, obgleich er sich mit mehreren Millionen Thalern engagiren wollte. –

Bald nach Beendigung des französischen Krieges ging ich im Auftrage der Familie eines mir nahestehenden, plötzlich gestorbenen Freundes nach Metz, um dort ein stark verwickeltes, sehr bedeutendes Geschäft zu reguliren. Es waren viele Partner, und auf die Wittwe des Verstorbenen kam nicht allzu viel. Es galt nun, mit einigen Gläubigern wegen auftauchender Forderungen zu verhandeln, und unter diesen befand sich auch Strousberg. Er saß, umgeben von einigen Herren, in einem der vorderen Gemächer. Ganz nach seiner unmanierlichen Gewohnheit, selbst Leute mit

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