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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

europäisches Land in größerem Stile, und was ich dort in lauer Sommernacht auf den Fluthen des Mittelmeeres und sozusagen am Orte der Handlung und in der richtigen Stimmung erzählte, dürfte vielleicht auch die fernen Leser der „Gartenlaube“ bei grellem Tageslichte oder der traulichen Lampe ein wenig unterhalten. Das Tieftraurige und Beschämende in meiner Erzählung wird gemildert durch den Gedanken: jene Zeiten sind vorüber und werden niemals wiederkehren.

Im Jahre 1814 ging die Regierung des alten Hamuda Pascha zu Ende, welcher nach der fatalen Tasse Kaffee plötzlich starb, nachdem er lange regiert und mit wechselndem Glücke gegen den übermüthigen Nachbar, den Dey von Algier, zu Wasser und zu Lande Krieg geführt hatte. Bei seinem Barte hatte er einst geschworen, Jenem nicht mehr Tribut zu zahlen und willfährig zu sein, sondern sich von der erniedrigenden Abhängigkeit zu befreien, was ihm auch in der That gelungen war. Den Bruder Hamuda’s, Sidi Otman, den rechtmäßigen Thronerben, dessen sämmtliche Verwandte und andere Rivalen ließ der Husseinide Sidi Mahmud durch Dolch und Gift beseitigen und regierte alsdann das Land, wie ein italienischer Chronist sagt: „ohne Anstand und ohne Nebenbuhler“ nach seiner Weise. Diese war nicht gerade die sanfteste; bald hatten auch wieder die europäische Seefahrer mehr als früher von den tunesischen Piraten zu leiden, welche auf Beute und Menschenraub ausgingen. Sidi Mahmud begünstigte dieses vortheilhafte Gewerbe nach Kräften und strich schmunzelnd seine Procente vom Raube ein. Auch hatte er seiner Meinung nach noch Revanche zu nehmen für die vor nicht langer Zeit seinem Staate durch die „Christenhunde“ zugefügte Schmach: hatten doch die Venetianer eine der bedeutendsten Städte Tunesiens, das reichbevölkerte Ssaks, welches freilich ein wahres Seeräubernest gewesen war, gründlich zusammengeschossen. Der Bey träumte gern von früheren Tagen, als zum Beispiel zu Haireddin’s Zeit allein in der Kasbah (Burg) der Stadt Tunis 20,000 Christensclaven eingeschlossen waren und auf dem alten Sclavenmarkte das Gewerbe des Menschenhandels blühte.[1]

Nun, Mahmud Bey that, wie gesagt, Alles, um den Seeraub, das althergebrachte Privileg der Barbaresken, wieder in Schwung zu bringen. Da lag z. B. auf der Rhede von La Goletta[2] eine ganz stattliche Flotte von Kriegsschiffen, darunter eine Gabarre von vierzig Kanonen, zwei Schebecken jede von sechsunddreißig Kanonen, zwei solche von sechszehn Kanonen, acht oder zehn andere Schiffe und etliche Kanonenboote. Noch vom algerischen Kriege her waren die Schiffe ziemlich gut ausgerüstet und seetüchtig. Im Kriege freilich hatten sie keine sehr glänzende Rolle gespielt, sondern sich vor der feindlichen Flotte unter die schützenden Kanonen der Forts zurückgezogen, ohne sich den auf offener See wartenden Algeriern zum Kampfe zu stellen. Die Braven hatten dort eben eine andere Aufgabe gewittert, als das zur lieben Gewohnheit gewordene Ueberfallen und Ausplündern wehrloser Kauffahrer; den Schwachen gegenüber hatte immer „auch der Mameluck Muth gezeigt“. Der biedere Landesvater hörte nun eines Tages von einem gelehrten Mollah den nationalökonomischen Grundsatz aussprechen, es sei verwerflich, die Hülfskräfte eines Landes nicht zu dessen Nutzen und Wohlfahrt zu verwenden. Darüber dachte er bei der Pfeife nach und, o Wunder, statt nach genommenem Kaffee zu den Freuden des Harems zu eilen, befahl er dem Sclaven, den dienstthuenden Adjutanten herbeizurufen, während der „Pfeifenbewahrer“ neue Tschibuks mit köstlichem Latakiatabak stopfte. Der Sclave holte den Adjutanten, der Adjutant den ersten Minister. Diesem, welcher erst vor Kurzem an die Stelle des unbequem gewordenen und deshalb „beseitigten“ Mariano Stinca gesetzt worden war, theilte der Bey seine Idee mit und weidete sich nicht wenig an der pflichtgemäßen grenzenlosen Bewunderung, womit sein Getreuer die Weisheit des Herrn anhörte. Plante dieser doch nichts Anderes, als einen munteren Korsarenzug aus dem „ff“, wobei die Kriegsschiffe von La Goletta die herrlichste Verwendung finden konnten. Es war dabei auf Landung, womöglich Ueberrumpelung einer ganzen Stadt und Gewinn unermeßlicher Beute abgesehen. Nach längerem Ueberlegen, wer unter den höheren Officieren und Capitainen seiner Mordgesellen am geeignetsten zur Leitung des Unternehmens sei, fiel die Wahl auf den berüchtigten Mustapha Raïs. Dann ging es schnell vorwärts mit den noch erforderlichen Rüstungen, und noch im September 1815 konnte das Geschwader, bestehend aus acht Fahrzeugen, in See stechen, um seinem unheimlichen Zweck nachzugehen.

Einen bestimmten Plan hatte der Admiral nicht entworfen, auch waren ihm in dieser Beziehung weiter keine Befehle ertheilt worden. Nach echter Seeräubermanier gedachte er, auf gut Glück zu operiren und jede günstige Gelegenheit beim Schopfe zu erfassen. Freilich bot sich letztere nicht mehr so leicht, wie früher. Durch die vorhergegangenen langjährigen europäischen Kriegswirren hatten Handel und Schifffahrt auch auf dem Mittelmeere arg gelitten und wenige Kauffahrer durchkreuzten das Meer, obenein in größerer Gesellschaft und unter englischer, von den Piraten respectirter Flagge segelnd. Englische Kriegsschiffe lagen bei Minorca und Malta, vorläufig noch in Ruhe; und was den Hauptzweck des gegenwärtigen Unternehmens anlangte, so war dieser, eine Landung an europäischer Küste, erst recht erschwert. Die Küstenbewohner waren auf ihrer Hut; schon längst hatte man an besonders bedrohten Stellen feste Wacht- und Schutzthürme errichtet, welche noch jetzt großentheils erhalten sind und sich an der italienischen Küste bis an den Meerbusen von Genua hinauf vorfinden. Nach erlangter Gewißheit vom Herumschwärmen der Korsaren und bei zu befürchtendem Angriff derselben wurde die Wachsamkeit verdoppelt, und durch Signale mittelst Kanonenschüssen und Leuchtfeuern warnte man sich gegenseitig vor dem Herannahen des schrecklichen Feindes.

Mustapha Raïs war entschieden vom Glücke nicht begünstigt. Er kreuzte an der italienischen Küste hin und her, machte auch mehrere Landungsversuche, doch fruchtlos, und einige gelegentlich in seine Hände gefallene gute Prisen, Barken von geringem Gehalt, konnten nicht für den erhofften Hauptschlag entschädigen. Der Admiral befand sich in Folge dessen in schlechtester Stimmung; die Befehlshaber seiner Schiffe konnten ihm nicht helfen, machten ihm im Gegentheil heimlich Vorwürfe, und die Besatzung grollte und murrte bedenklich, als bereits mehrere Wochen verstrichen waren und ihrer Raublust noch immer nicht Genüge geschehen. Sie verlangten heimwärts. Das war für den Admiral ein Gedanke, den er weit von sich wies. Mit leeren Händen zurückkehren, hieß das Schicksal herausfordern; er wußte wohl, was ihm in diesem Falle von Seiten des grimmen Mahmud Bey blühte, weil er allein oder doch hauptsächlich für das Mißlingen des so hoffnungsvoll begonnenen Unternehmens verantwortlich gemacht werden würde. – So saß er grübelnd eines Abends allein in seiner geräumigen und mit kostbaren Teppichen prachtvoll ausgeschmückten Kajüte an Bord des „El Essed“, seines Admiralschiffes; eine Pfeife um die andere, ein Glas Grog nach dem anderen wurde geleert. Mustapha war kein scrupulöser Muselmann, ließ sich vielmehr Wein und geistige Getränke trotz Allah und dem Propheten trefflich munden und wußte sie, wie eben jetzt, als Sorgenbrecher zu schätzen. – Das Geschwader befand sich auf der Höhe von Terracina und kam, südlichen Curs haltend, bei schwachem Winde kaum merklich vorwärts. Da ließ sich zu später Stunde der Capitain der zweitgrößten Schebecke, Sidi Abdallah, beim Admiral melden und wurde alsbald ziemlich griesgrämig von demselben empfangen. Nach den hergebrachten Begrüßungen ließ sich Abdallah nieder und sprach folgendermaßen:

„Was Dich betrübt o Mustapha, ist Keinem von uns ein Geheimniß: lastet doch auf Allen schwer die Unthätigkeit und Erfolglosigkeit. Du grübelst nun darüber nach, ob Du uns nach Westen an die spanischen Küsten, oder östlich in’s Adriatische Meer

führen sollst. Wenn Du aber eine guten Rath hören willst, so kann ich ihn Dir vielleicht geben und Deiner Thatkraft eine ersprießliche Bahn zeigen.“

  1. Der Markt heißt jetzt El Serradschine (Sattlerquartier). Im Hintergrunde ragt auf unserem Bilde (S. 432) das schöne Minaret der Kasbah-Moschee über die Mauern der Burg empor.
  2. Die Hafenstadt von Tunis und der wichtigste Hafen Tunesiens überhaupt. Das bunte Treiben, dem hier das Auge des Beschauers begegnet, ist durchaus originell, denn die meisten Völker des Orients scheinen sich in La Goletta ein Rendez-vous gegeben zu haben. Da erscheinen die Wüstensöhne mit ihren Kameelen, die Beduinen hoch zu Roß, türkische, griechische und italienische Kaufleute und mit den jüdischen Händlern oder Wechslern auch deren Frauen und Töchter in der originellen Tracht tunesischer Jüdinnen, in eng anliegenden bunten Hosen mit einer Kappe von Goldstoff auf dem Kopf. Ch. Speier’s treffliche Illustration (S. 429) gewährt uns einen charakteristischen Einblick in dieses Treiben.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_430.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2018)