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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Anstrengungen oder gar noch dampfend von einer fulminanten Rede im Reichstag, wie so oft mein edler Gatte.“

Leni lachte. Raban aber durfte das Lob, welches ihm gespendet wurde, nicht annehmen – er hatte am wenigsten während des Tages daran gedacht, seine Geisteskräfte frisch zu erhalten, um am Abend im Salon der Frau von Eibenheim glänzen zu können.

„Ich verdiene Ihr Lob doch nicht, Gräfin,“ sagte er. „Ich bin sogar so egoistisch, es als ein Recht der Männer in Anspruch zu nehmen, wenn sie den Tag über gearbeitet haben, in der Gesellschaft die Erholung bei den Frauen zu suchen, sich die Tagessorgen von ihnen wegplaudern zu lassen.“

„Kennen Sie Tagessorgen?“ fragte Leni Eibenheim.

„Sorgen gehören zum Leben. Wer sie nicht hat, macht sie sich.“

„Zum Beispiel, daß zur nächsten Lucca-Aufführung kein Billet mehr zu haben sein wird?“

„Oder daß Ihr Pferd sich eine Fessel verstaucht hat …?“

„Welch fürchterliche Anhäufung von Schrecklichkeiten!“ unterbrach Raban diese Scherze – „gut, daß nichts dergleichen auf mir lastet – ein Pferd besitze ich hier nicht einmal, und dem Ausgeschlossensein von Opernaufführungen setze ich die neidenswertheste Seelenruhe entgegen. Aber Tagessorgen kenne ich dennoch, und meine heutige bezog sich auf die Frage, ob Ihre Regierung hinlänglich für die Invaliden, die verstümmelten Krieger sorgt?“

(Fortsetzung folgt.)

Zehntausend Meilen durch den Großen Westen der Vereinigten Staaten.[1]

Von Udo Brachvogel.0 Mit Illustrationen von Rudolf Cronau.
VI.
Californien einst und jetzt. – Die Siebenhügelstadt am Stillen Ocean. – Asien in Amerika. – Im Chinesen-Ghetto von San Francisco. – Die Seelöwenfelsen.

Kein Land der neuen Welt ist so viel beschrieben und, was in diesem Falle gleichbedeutend ist, so viel gepriesen worden, wie Californien. Jahrelang lag eine vollständige Wunderglorie darüber, die noch dazu aus dem solidesten Golde war. Die Plötzlichkeit, mit welcher das neue Dorado die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog, die Entlegenheit und Schwerzugänglichkeit, in welcher es trotzdem noch für volle zwei Jahrzehnte blieb, und endlich die Schätze, die sich von ihm aus über die Völker der Erde ergossen – das Alles machte diesen Nimbus recht wohl erklärlich. Mit der Vollendung der ersten Ueberlandbahn wurde das anders. Sie zog das Märchenland am Stillen Ocean in den Bereich der Alltagsgebiete. Statt darüber zu lesen und zu hören, fing man an, es zu bereisen, es mit eigenen Augen zu sehen. Und wenn darunter auch das Wunderartige mehr und mehr gelitten hat, so haben doch die Naturreichthümer und die Naturschönheiten des Landes nach wie vor jede Prüfung und jeden Vergleich siegreich genug bestanden, um Californien noch immer Californien bleiben zu lassen. Selbst der hastigste Flug, in welchem der Ueberlandzug heutigen Tages den Reisenden vom Mississippi aus über die Prairien, die Felsengebirge und das continentale Binnenbecken des Großen Westens trägt, ist hinreichend, ihn mit der thatsächlichen und scheinbaren Oede dieses riesigen Zwischengebiets derartig zu erfüllen, daß er sich bei seiner Einfahrt in dies viel gelobte Californien unwillkürlich den Athem einer neuen Erde, eines wirklich gelobten Landes entgegen schlagen fühlt. Und wie von dieser, so von der andern Seite her, wenn er, vom Ocean kommend, durch die mächtigen Dünen- und Felsenpforten des Goldenen Thores (vergl. Illustration) in die Bai des heiligen Franciscus einfährt. Starr und finster ragen aus der salzigen Meerfluth die braungelben, scharfgeschnittenen Höhenzüge, welche die mächtige Bai umschließen. Eine enge Gasse nur öffnet sich dem von Asien und Australien kommenden Fahrzeuge, links sind steil abfallende Wände, rechts dräuen die Kanonen des mächtigen, die goldne Gasse beherrschenden Forts. Fernher aber grüßen die langen Höhenzüge der Sierra Nevada, überragt von der Doppelkuppe des Monte Diabole. Fahrzeuge durchschneiden die herrliche Bucht allüberall, dort stöhnen die breitbrüstigen Ferryboote hinüber und herüber, den Personenverkehr zwischen San Francisco und den zahlreichen kleineren rings die Bai umgürtenden Ortschaften vermittelnd, hier zieht ein stolzer Dreimaster seine Bahn, dort ruht ein mächtiger, eisengepanzerter Koloß, ein Kriegsschiff vor Anker, drüben ragt der Mastenwald der buntbewimpelten Handelsflotte, und überall schaukeln die kleinen, mit seltsamen Segeln versehenen Boote der Fischer und die noch seltsameren Kähne und Fahrzeuge einzelner chinesischer Schiffer (vergl. Anfangsvignette).

San Francisco ist gegenwärtig der Größe nach die siebente Stadt der Union. Die erste und schwierigste Station auf dem Wege zur Millionenstadt, die erste Viertelmillion hat es glücklich hinter sich. Aber nicht nur was seine Bewohnerzahl anlangt, steht dieses New-York des Stillen Oceans in der vordersten Reihe der Städte Amerikas. Ganz unabhängig von der stolzen Schwesternsippe jenseits der Felsengebirge – „in den Staaten“, wie es der Californier nennt – hat sich San Francisco zur amerikanischen Metropole von eigenen Gnaden aufgeschwungen. Nicht umsonst ist es in seiner Jugend durch ein halbes Dutzend Unruhen gegangen, die ebenso viele Kämpfe auf Tod und Leben gegen Feinde geregelter Staatsordnung bezeichneten. Nicht umsonst durch die elementaren Katastrophen ebenso vieler Feuersbrünste, von denen zwei die junge Commune in einen einzigen großen Scheiterhaufen verwandelten. Eine durchaus massive, stattlich-schöne Geschäftsstadt breitet sich heute über diesen Brandstätten der fünfziger Jahre, zunächst dem Hafen und mit diesem auf gleichem Niveau aus. Darüber aber erhebt sich in vielfach gegliederter Terrassenansteigung die weitgedehnte Wohnstadt. Zu ihr hat vorwiegend die eichenfeste Rothtanne der Sierra Nevada das Baumaterial geliefert.

Weithin leuchten ihre hellgestrichenen Villen und Cottages, mit ununterbrochen blühenden Blumenvorhöfen an Straßen aufgereiht, welche in ihrer Schnurgeradheit mit echt californischer Kühnheit die Sanddünen jener sieben Hügel hinauf und hinunter geführt sind, auf denen sich nach römischem Weltstadtrecept auch diese jüngste und westlichste der Weltstädte erhebt. Welchen ihrer


  1. Unter Meilen sind in diesen Artikeln stets englische Meilen verstanden, von denen 46/10 auf die deutsche Meile gehen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_446.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2024)