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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Am andern Morgen stand der Leitzkauer Wagen, bepackt mit ein paar Koffern, vor Emiliens Hause. Erfüllt von widerstreitenden Empfindungen, warf die Flüchtende, die auf Nimmerwiederkehr Scheidende, sich hinein. Sie hatte mit Einsiedel die Abrede getroffen, daß er zu Fuß die Stadt verlassen und draußen, an der kleinen Schleuse des Schwanensees, zu ihr in den Wagen steigen solle. Sowie sie das Thor hinter sich hatte, richtete sich all ihr Denken auf ihn. Eine wallende Freude und Spannung erfüllte ihr leichtbewegliches Gemüth, und, den Ledervorhang der Kutsche zurückschiebend, legte sie sich weit hinaus, um nach dem Ersehnten auszuspähen. Da schritt vor dem Wagen ein Mann auf die kleine Wiesenschleuse zu; das mußte er sein!

Sie gebot dem alten Kutscher aus der Heimath, bei dem Herrn drüben anzuhalten. Der Mann nickte gehorsam, schlug auf seine Gäule und fuhr auf die vor ihm befindliche Gestalt zu; jetzt hielt er dicht neben dem Wanderer. Emilie bog sich weit heraus, um ebenso rasch erschrocken zurück zu fahren.

Es war der Oberkämmerer von Göchhausen, welcher, von seinem Krankenlager erstanden, den gewohnten Morgenspaziergang machte und jetzt an der Schleuse stand; sie zerstreut aus seinen wasserblauen Augen anstarrend, schlug er mit dem Stock auf das Holz und sagte pathetisch:

„Louis Wilhelm von Göchhausen ist hier gewesen!“

Dann wandte er sich ab und schritt davon. Auf der andern Seite des Wagens aber wurde in diesem Augenblicke die Thür aufgerissen; mit raschem Satz sprang Moritz von Einsiedel zu der Geliebten herein!

(Fortsetzung folgt.)

Die Cholera-Gefahr.


Schon war der schwarze Tod, die Pest, welche durch Jahrhunderte die Länder entvölkert hatte, in Europa erloschen und auch im fernen Osten lag ihre verheerende Macht in letzten Zügen. Da erhob an den Ufern des heiligen Ganges eine neue Hydra ihr furchtbares Haupt; eine ruhrartige Krankheit begann in Ostindien zu wüthen und „befiel so viele Menschen und tödtete so viele von ihnen“, daß sie nach dem Ausspruche des altrömischen Arztes Galen den Namen einer Pest verdiente! Im Mai des Jahres 1817 erschien sie an einem Arm des Gangesdelta, und von hier unternahm sie ihre Verheerungszüge durch ganz Ostindien, bald den schiffbaren Stromläufen, bald den Verkehrsstraßen folgend. Sie herrschte, stieg und fiel während aller Zeiten des Jahres, weder Kälte noch Wärme, weder Dürre noch unaufhörlicher Regen übten einen Einfluß auf ihre Entwickelung – sie spottete aller Abwehrmittel der Menschen. Seit jenem Jahre blieb sie heimisch in Ostindien.

Es war die Cholera, welche von hier aus Asien, Afrika und Europa in späteren Jahrzehnten bedrohen und selbst nach Amerika ihre tödtlichen Boten entsenden sollte. Schon 1823 hatte sie die Küsten des mittelländischen und kaspischen Meeres erreicht, hemmte aber plötzlich ihren Lauf, sodaß damals die europäischen Länder von ihr noch verschont blieben. Einige Jahre später 1829 erschien sie jedoch unerbittlich vor den Thoren des europäischen Rußlands in der Uralveste Orenburg, 1830 nistete sie sich in dem kaspischen Hafen von Astrachan fest und drang von hier über Rußland und Polen nach Deutschland und dem übrigen Europa ein.

Auf diese erste große Cholera-Epidemie, welche bis zum Jahre 1837 wüthete, folgten neue in den Zeiträumen von 1846 bis 1863 und 1865 bis 1875, abgesehen von den kleineren Epidemien, die sich nicht auf Welttheile erstreckten, sondern nur einzelne Länder befielen.

Wer zählt die Opfer, welche die Seuche bis jetzt dahingerafft? Die Statistik schweigt darüber. Wohl aber kennen die Völker ihre verderblichen Folgen, kennen den schlimmsten Feind, den ihnen dieses Jahrhundert brachte!

Zehn Jahre ließ er die europäische Cultur in Frieden, Ein Jahrzehnt schienen die Vorsichtsmaßregeln im Verkehr mit Indien, die sein Eindringen verhüten sollten, wirklich zu nützen. Da kamen plötzlich und unerwartet Hiobsposten aus den Hafenstädten des südlichen Frankreichs. Oefter als sonst ertönte das Sterbeglöcklein in den Straßen Toulons, auf seinen Plätzen loderten Flammen der brennenden Scheiterhaufen – ein altes Schauspiel wiederholte sich in neuen Zeiten, Eine Seuche befiel die Stadt, und die Nachkommen der Gallier kämpften mit den alten Mitteln des Aberglaubens gegen die unsichtbare feindliche Macht. Tausende flohen, denn es unterlag keinem Zweifel, daß die asiatische Cholera in Toulon ausgebrochen und bald hierauf nach Marseille verschleppt worden war. Nur wenige eilten auf die Bresche, um dem gefürchteten Feinde muthig die Stirn zu bieten – einige Aerzte waren es, unter ihnen als Vornehmster unser Robert Koch, der in Ostindien vor Kurzem „dem Gespenst die Larve abgerissen hatte“.

Durch die Nachrichten, welche diese erfahrenen Männer aus dem Süden sandten, wurden die Gemüther in Frankreich und den angrenzenden Ländern beunruhigt, die Regierungen traten zu Berathungen zusammen, ein Treiben und Arbeiten begann, als ob eine Kriegserklärung in Sicht wäre. Man berechnet die Stärke des Feindes, man mustert seine eigenen Kräfte, man sucht die Erfahrungen früherer Feldzüge zu verwerthen, um das eigene Land zu schützen. Und in der That ist die heutige Lage ernst: von Marseille und Toulon, zwei verkehrsreichen Städten, kann sich die Cholera über ganz Europa ausbreiten, und in Anbetracht dieser Thatsache ist jedes Verschweigen der Gefahr durchaus verwerflich. Auch die große Masse des Volkes muß sich mit ihr vertraut machen, denn, wenn die schwere Prüfung über uns ergehen sollte, dann wird Jeder berufen sein, mitzuwirken an der Bekämpfung der Seuche.

*  *  *

Daß wir gegen die früheren Einfälle der Cholera nicht besonders gut gerüstet waren, weiß wohl Jedermann. Vor Allem fehlte uns die Kenntniß der Ursachen dieser Seuche, und darum fehlte auch allen Unternehmungen gegen dieselbe die nothwendige Klarheit, die Jeden überzeugen würde. Den Abwehrmitteln wurden Hypothesen zu Grunde gelegt, die, von den Einen anerkannt, von den Andern bekämpft, ein einheitliches Vorgehen erschwerten. In dieser wichtigen Hinsicht dürfte heutzutage ein wesentlicher Fortschritt gegen früher zu verzeichnen sein. Der geheimnißvolle Schleier, welcher die Entstehung der Cholera umgab, ist zerrissen, und allmählig beginnen sich die Ansichten zu klären, allmählig wird das schwierige Räthsel, welches Jahrzehnte lang die Forscher beschäftigte, der endgültigen Lösung näher gebracht.

Schon früher vermuthete man, daß die Cholera, ähnlich einigen anderen ansteckenden Krankheiten, durch einen jener kleinen mikroskopischen Organismen erzeugt werde, die in der Luft, im Wasser und in dem Boden verbreitet sind, von denen viele für uns vollständig belanglos sind, von denen eini, wie z. B. der Hefepilz, uns nützlich sein können, und von denen einige wenige zu den fürchterlichsten Feinden des Menschen gehören. Sobald die letzteren in unsern Körper gelangen, vermehren sie sich in demselben in riesigen Verhältnissen, rufen gewaltige Störungen hervor und führen selbst den Tod herbei.

Diese zu den Spaltpilzen gehörenden Wesen sind unendlich klein, viel kleiner als die winzige Trichine, denn 30,000 Millionen dieser Individuen können in dem Raume eines Stecknadelkopfes enthalten sein und wiegen alsdann erst den tausendsten Theil eines Gramms. Wir wissen, daß der Milzbrand, jene ganze Heerden vernichtende und auch Menschen tödtende Seuche, durch derartige Organismen, die sogenannten Milzbrand-Bacterien, hervorgerufen wird, wir wissen auch, daß die Malaria, jenes verderbliche Fieber sumpfiger Gegenden, ähnlichen Pilzen, die in den Sümpfen entstehen, ihren Ursprung verdankt.

Es ist gewiß als eine große wissenschaftliche Errungenschaft zu bezeichnen, daß es dem verdienstvollen deutschen Forscher, Robert Koch, gelungen ist, nachzuweisen, daß die frühere Vermuthung auf Wahrheit beruhte, daß in der That die Cholera durch Einwanderung eines solchen winzigen Pilzes in den menschlichen Körper erzeugt werde. Derselbe, dem der Name Komma-Bacillus beigelegt wurde, sieht einem gekrümmten Stäbchen, einem geschriebenen Komma ähnlich, durch welche Form er sich besonders von seinem geradlinigen Verwandten unterscheidet. Er ist mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_500.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)