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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 32.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Herrin von Arholt.
Novelle von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)

Raban wurde von Frau von Eibenheim in Beschlag genommen, die ihn über die Vorbereitungen zu einem Bazar zu Gunsten einer durch Ueberschwemmungen ruinirten Gemeinde unterhielt, bei welchem die Damen der Gesellschaft als Verkäuferinnen der Gegenstände thätig sein sollten. Die Damen freuten sich sämmtlich außerordentlich auf dies Fest; Frau von Eibenheim hatte mit ihrer Tochter Resi eben weitläufig die Frage um Leni's Costüm erörtert. Raban fragte ironisch, ob nicht ein „fescher“ Ball das Ganze beschließen werde?

„Würden Sie das wünschen?“ entgegnete Resi Lorbach.

„Ich? wünschen? Ganz sicherlich nicht! Aus dem Boden, den eben ein tückisches Element armen Leuten auf Jahre hinaus für ihre Frucht verdorben hat, sich einen Tanzboden machen, finde ich nicht geschmackvoll, Gnädigste. Und solch eine große Landescalamität benutzen, um ein großes Kokettirfest, ein allgemeines Bundesschießen von bestrickenden Blicken zum Anlocken der Käufer auf dem Bazar zu veranstalten – auch das, wenn Sie mir es nicht übel nehmen, scheint mir nicht ganz tactvoll!“

„Aber ich bitte Sie, welche Ketzereien! – Man veranstaltet doch überall in der Welt bei solchen Anlässen derartige Festlichkeiten, um den Leuten Gelegenheit zu geben, für Verunglückte etwas zu thun,“ meinte Frau von Eibenheim.

„Freilich, freilich, überall in der Welt ist der Egoismus sehr stark und scheut sich nicht, das Unglück selbst zu seinem Vergnügen auszubeuten – oder zu seinen Zwecken! Diese Wohlthätigkeitsfeste, Concerte, Aufführungen, Bazare, Albums sind doch wohl ein Beweis, wie gering der unmittelbare Wohlthätigkeitsdrang, der dem Unglücklichen ohne besondere Reizmittel zu helfen eifert, unter uns ist, und wie groß die Zahl der Menschen, welche sich in die Oeffentlichkeit zu bringen wünschen ...“

„Sich in die Oeffentlichkeit bringen? Sie glauben also, nur das sei es, was ...“

„Ich bin verwegen genug, es zu glauben – von all diesen Wohlthätigkeitsmusikern, Wohlthätigkeitssängerinnen und Wohlthätigkeitsdichtern, die sich dem Landesunglücke noch als eine weitere Plage auferlegen ...“

„Hören Sie einmal“. unterbrach ihn Gräfin Lorbach, indem sie den in ihre Nähe kommenden Graf Kostitz anrief, „welche griesgrämische Erörterungen hier Herr von Mureck anstellt ...“

„Den Zeiger der Weltenuhr vorwärts stellen,“ entgegnete Graf Kostitz wie aus tiefen Gedanken auffahrend – „das wäre so etwas! Was denken Sie, Gnädigste? Oder sagte man besser: ‚Den Zeiger voran rücken?‘“

Raban entzog sich dem nun beginnenden Geplauder und bald dem ganzen Kreise, indem er still verschwand – er hatte ein drückendes Gefühl des Fremdseins hier, wie er es so stark nie empfunden, und es drängte ihn fort – fort in sein einsames Zimmer, wo er sich vornahm, noch einmal den Brief seines Vaters zu lesen.

Am Tage darauf gegen Abend schlug er den Weg nach der Wohnung der Stiftsdame ein. Er wurde in einen sehr dämmrigen, in den Hof eines großen neuen Gebäudes gehenden Salon geführt – es herrscht eine eigenthümliche Lichtlosigkeit in so vielen Neubauten der großen Stadt – und nach einigem Harren betrat er das schon durch eine Lampe erhellte Wohngemach der alten Dame. Marie kam ihm entgegen und stellte ihn der Tante vor – es war eine große hagere Dame mit einem langen, sehr blassen Gesichte. Sie grüßte Raban mit mattem freundlichen Lächeln, bot ihm die Hand zum Kusse und entschuldigte sich, daß sie ihn in ihrer ruhenden Lage auf dem Sopha empfange, da ihr jede Bewegung Nervenschmerzen mache. Er mußte sich in einem Fauteuil am Kopfende ihres Ruhebettes niedersetzen, während Marie eine Stickerei, welche sie hingeworfen, wieder aufnahm.

„Ich habe,“ sagte das alte Fräulein, „Ihren Vater sehr wohl gekannt. Als junges Mädchen war ich sehr oft bei meiner Schwester auf Arholt, und von dort kamen wir nicht selten zu Besuche nach Mureck. Es ist ein sehr hübscher Ort, Mureck, das Herrenhaus liegt schön und frei und ist so behaglich eingerichtet ...“

„Es ist doch lange nicht so imposant wie das stattliche Arholt mit seinen mächtigen Thürmen,“ sagte Raban.

„Mit seinen Thürmen, ja,“ fuhr das Fräulein mit ihrer leisen gedämpften Stimme fort – „in denen ich so oft herumgeklettert bin, auf die Gefahr hin, auf den ausgebrochenen morschen Stiegen den Hals zu brechen. Man ist so verwegen und kopflos, wenn man jung ist. Aber solch eine feudale Herrlichkeit, wie Arholt, ist recht gründlich unbequem, wenn man darin wohnen muß. Welche Mühe meine Schwester hatte, sich darin leidlich einzurichten, Sie glauben es nicht! Mein Schwager, ihr Gatte, hatte gar keinen Sinn dafür – aber Ihr Vater, Herr von Mureck, ging ihr mit manchem guten Rath zur Hand. O, ich erinnere

mich Ihres Vaters so gut! Er war ein Original, ein wahres Original; er ging meist ganz in Leder, in Hirschleder gekleidet,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_521.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)