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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Die Ausbeute der Polarexpedition, welche im vorigen Jahre von Südgeorgien zurückkehrte, hat dieser Ausstellung noch einen besonderen Reiz verliehen. Von den gewaltigen Dimensionen des größten der Walskelete (siehe die vorstehende Illustration) erhält man erst dann den richtigen Eindruck, wenn man sich in unmittelbarer Nähe vor demselben befindet. Mit schwerem Eisenwerke sind die kolossalen Rippen und Knochenstücke in einander gefügt. Starke Eisenstangen tragen das Gerippe, und zum Aufstellen der mächtigen Kinnknochen bedurfte man schwerer Krähne und Winden. Alle drei Skelete wurden vor der Aufstellung durch schwieriges und umständliches Aussieden vom Thran gereinigt, was in der großen Meyer’schen Thransiederer bei Hamburg geschah, und bei Fachkennern erregt die reine weiße Farbe und die Schönheit der Knochen Aufsehen.

Das Skelet des Riesenwals im zoologischen Garten zu Hamburg.

Neben diesen Skeleten erweckt das schön erhaltene und gearbeitete Exemplar eines männlichen See-Elephanten das größte Interesse. Ein weit hervorstehender dunkler Rüssel überragt das furchtbare Gebiß. Es soll einen prächtigen Anblick gewähren, wenn in den Polargewässern das mächtige Thier zwischen blinkenden Eisblöcken auf der Jagd nach Fischen mit großer Gewandtheit dahinschwimmt. Welchen unbegreiflichen Reichthum an kleinen Fischen und Thieren niedriger Gattung die nordischen Gewässer besitzen müssen, wird uns beim Anblicke der Thierkolosse, die in demselben Wasser und von jenen leben, klar; vom See-Elephanten beispielsweise, der doch im Vergleiche zu einem großen Wale nur ein kleines Thier ist, wissen wir, daß er täglich etwa 400 Fische zum Lebensunterhalte braucht.

Originell ist ferner ein auf der Ausstellung vorhandenes, sehr altes Wirthshausschild, welches aus einem Walfischschulterblatte besteht (vergl. die umstehende Illustration). Das Wirthshaus, vor welchem dieses Schild einstmals hing, hieß „Zum Schulterblatt“ und mag namentlich von Walfischfängern frequentirt worden sein.

Schließlich müssen wir noch eine ganz besondere Seltenheit, wie sie in der Welt nicht zum zweiten Male existirt, erwähnen, einen Narwalschädel mit zwei gewaltigen, gleich gut ausgebildeten Stoßzähnen von etwa 10 Fuß Länge (siehe S. 577). Bekanntlich unterscheidet sich der Narwal von allen übrigen Walen durch die eigenthümliche Bildung seines Gebisses. Das Männchen besitzt nämlich zwei Stoßzähne, die wagerecht im Oberkiefer stehen, und von denen der rechtsseitige in der Regel nur schwach entwickelt ist, während der linke eine Länge von zwei bis drei Metern erreicht. Beim Weibchen bleiben diese Zähne fast immer sehr schwach entwickelt. Nun ist aber das in Hamburg ausgestellte Exemplar eigenthümlicher Weise der Schädel eines weiblichen Narwals. Derselbe wurde nach sicheren Nachrichten im Jahre 1684 durch Capitain Dietrich Petersen mit dem Schiffe „Goldener Löwe“ nach Hamburg gebracht und wird jetzt, nach verschiedenen Schicksalen, in dem Hamburger Naturhistorischen Museum aufbewahrt.

Vor Zeiten maß man den Narwalzähnen hohe Wunderkraft bei und hielt sie für die Waffe des fabelhaften Wunderthieres, welches Einhorn genannt wurde und schon in der Bibel erwähnt wird. Da diese „Wunderhörner“ nur selten nach Europa gebracht wurden, so war auch ihr Preis ein sehr hoher.

„Kaiser und Könige,“ sagt Fitzinger, „ließen sich oft mit dem zierlichsten Schnitzwerke versehene Stäbe daraus verfertigen, welche ihnen nachgetragen wurden, und die kostbaren Bischofsstäbe waren aus solchen Zähnen gefertigt. Noch im 16. Jahrhunderte bewahrte man im Baireuther Archive auf der Plassenburg vier Narwalzähne als außerordentliche Seltenheit auf. Einen derselben hatten zwei Markgrafen von Baireuth von Kaiser Karl V. für einen großen Schuldposten angenommen, und für den größten wurde von den Venetianern noch im Jahre 1559 die ungeheuere Summe von 30,000 Zechinen angeboten, ohne daß es ihnen gelungen wäre, in den Besitz desselben zu gelangen. Der dritte wurde als Arzneimittel, jedoch nur für die Angehörigen des Fürstenhauses, verwendet; man hielt ihn für so kostbar, daß immer Abgeordnete beider Fürsten zugegen sein mußten, wenn ein Ring von ihm zum Gebrauche abgeschnitten wurde. Ein Zahn, welcher in der kurfürstlichen Sammlung zu Dresden an einer goldenen Kette hing, wurde auf 100,000 Reichsthaler geschätzt.“

Mit der Ausbreitung der Schifffahrt verloren diese Zähne mehr und mehr im Werthe, und gegenwärtig betrügen, wie Brehm in seinem „Thierleben“ bemerkt, die Holländer blos noch Chinesen und Japanesen mit den früher so gesuchten Hörnern, denn bei uns wird das Stück höchstens mit 20 bis 30 Mark bezahlt.


Brausejahre.

Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)
20.

Nach jener Abfertigung durch die verletzte junge Herzogin hatte Goethe eine unruhige Nacht unter Selbstvorwürfen zugebracht.

Er konnte nicht sagen, wie der Herzog, dem er sogleich Luisens Aeußerungen mitgetheilt: „Das ist ja eine verflucht sensible Närrin!“

Er sagte: „Die Frau hat Recht, und ich begreife meine Verblendung nicht!“

Am andern Tage in aller Morgenfrühe wanderte er, um sich Rath und Trost zu holen, durch den knisternden Schnee am „Stern“ nach Stein’s Hause hinüber.

Er fand die Freundin noch mit Mann und Kindern am Frühstückstische und ward von allen herzlich als Hausfreund empfangen. Karl trug ihm einen Stuhl an den Tisch, der kleine Fritz kletterte auf seinen Schooß, Charlotte reichte ihm die Hand zum Kuß und ließ ihm eine Tasse Chocolade bringen, da er den Kaffee stets verschmähte.

Der Oberstallmeister, welcher sich in seiner Rolle als Graf Altenstein und später in seiner Verkleidung als Oger recht wohl gefallen hatte, rief vergnügt:

„Na, Doctor, schon ausgeschlafen? Wohl geruht auf den Lorberen?“

Charlotte dagegen fand kein lobendes Wort für ihn, und Goethe fühlte, daß sie eine Kritik im Rückhalt habe, die sie ihm für eine ruhige Stunde des Alleinseins spare.

Der Hausherr besorgte die Unterhaltung in seinem Sinn und plauderte nach Herzenslust: „Unsere verehrte Frau Herzogin sah reizend aus in der weißen Toilette, mit dem geschmackvollen Cadeau des Herzogs, dem Türkisen-Collier! Herzog Ferdinand, unser hoher Gast, der sie noch nicht kannte, äußerte sich nach dem Souper vertraulich zu mir: ‚Bester Oberstallmeister,‘ sagte Höchstderselbe, ‚das ist ja eine merveilleuse Person; distinguirt, voll Contenance und Schick.‘ Heute wird die maskirte Schlittenpartie den hohen Gast angemessen unterhalten. Ich habe die Ehre, die Herzogin Mutter zu fahren. Durchlaucht der Herzog fährt die Gräfin Werthern, blauer Schlitten, die Kohlfüchse davor. Herzogin Luise mit Prinz Ferdinand, silberne Muschel mit den neuen Schwarzen. Du hast Dein Costüm doch parat, Frau? Janitscharenmusik voraus, wir alle als Türken hinterdrein, ein ganzer Harem entschleiert, süperbe! In Belvedere nehmen wir eine Chocolade, darauf giebt’s ein kleines Concert. Nach dem Souper Rückfahrt mit Fackeln. Auf Ihr Penchact ist auch Rücksicht genommen, Doctorchen! Excellenz von Witzleben hat die feinste Spürnase

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_578.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2020)