Seite:Die Gartenlaube (1884) 588.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Sie schüttelte den Kopf und legte zärtlich die Hand auf seine Schulter. Leidenschaftlich fuhr er fort:

„Denn Sie sind eine Heilige, Marie, um deren Hand zu werben Niemand würdig ist, und wenn mein Herz auch ganz und für ewig Ihnen dahingegeben ist, und ich seine Gluth nicht auslöschen kann, so verlange ich für mich kein Glück, wenn Sie nur desselben voll theilhaftig werden . . .“

„Ich bin nicht so heilig, wie Sie denken,“ unterbrach sie ihn lächelnd. „Ich weiß recht gut, daß Sie ja doch mit einem solchen Glücke nicht zufrieden sein würden. Und glauben Sie, unter Dem, was ich in den durchkämpften schrecklichen Stunden empfand, sei nicht auch der Schmerz um die tiefe Seelenwunde gewesen, die ich Ihnen habe schlagen müssen – nein, nicht müssen, sondern die ich in meiner Selbsttäuschung, aus einem verkehrten und ganz verwirrten Pflichtgefühl gegen Wolfgang Ihnen zufügen konnte? Glauben Sie mir, auch durch den Gedanken an Sie – und dieser Gedanke wurde ja bald der herrschende, der ausschließliche – habe ich schwer gelitten, daß, wenn ich nun ein ganz armes namenloses Geschöpf sei, wir für ewig getrennt und uns fremd werden würden . . .“

„O, das würden wir nie – niemals geworden sein,“ rief in seinem Jubelsturm, ihre beiden Hände ergreifend, Raban aus.

„Sie sind gut, so gut, Raban,“ sagte sie, sich zärtlich zu ihm niederbeugend – „und bin ich auch lange nicht so edel, wie Sie denken, so glaube ich doch, daß . . . daß der Himmel uns für einander bestimmt hat . . .“

Ihre Stimme wurde von Thränen erstickt. So legte sie, leise das Haupt senkend, ihre Stirn auf seinen Scheitel.


Raban hatte, wie er es ja vorausgesehen, einige Schwierigkeit, seinen Vater wegen seiner Verbindung mit Marie Tholenstein zu versöhnen; der alte Herr drückte sich, auch nachdem ihm seine Zweifel über Mariens Geburtsrechte gehoben worden, anfangs sehr ironisch über Raban’s Vorhaben, ihm solch eine heilige Elisabeth – ebenfalls aus Ungarn wie die richtige – in’s Haus zu führen, aus, fand dann aber schließlich nur noch eine wunderliche Ironie des Schicksals darin, daß er nun doch just die Erbin von Arholt zur Schwiegertochter erhalte, vor der er so sorglich jahrelang seinen Sohn in Sicherheit zu bringen gesucht.

Wie Wolfgang Melber die Verlobung eigentlich aufnahm, erfuhr man nicht; Marie hatte sie ihrem Vetter und dessen Eltern brieflich mitgetheilt, erhielt aber nur einen kurzen schriftlichen Glückwunsch von Herrn Heinrich Melber zur Antwort. Daß dieser vorher mit seinem Sohne eine stürmische Scene gehabt, worin Wolfgang seinen Zorn über Raban ausgetobt, weil dieser trotz seines Versprechens ihn schmählich verrathen und bei Marie verleumdet habe, worin er gedroht, Raban fordern und erschießen zu wollen, erfuhr weder dieser noch Marie. In der That hatte Wolfgang sich von seinem Vater beruhigen lassen und den Gedanken an eine Forderung bei kälterem Blute selbst unbehaglich gefunden. Aber um seinen empörten Gefühlen wenigstens in irgend einer Weise Luft zu schaffen, hatte er am andern Morgen das ganze Thonmodell der Gruppe, zu welcher Marie Tholenstein ihm gesessen, in Stücke zerschlagen – und am zweiten Tage hatte er in nicht ganz consequenter Weise die Arbeit an der Büste Mariens so fördern lassen, daß sie baldmöglichst an Raban abgegeben werden konnte – mit dem dafür erhaltenen Gelde reiste er in der nächsteil Woche nach Italien.




Amerikanische Kirchen und Kanzelredner.

Von Theodor Hermann Lange.


Die Union ist und bleibt nun einmal das classische Land der Gegensätze und eigenartigsten Ueberraschungen. Das in Europa schier Unglaubliche ist in den Vereinigten Staaten oft das Alltägliche und Gebräuchliche. Nichts aber verblüfft den frischen Einwanderer und selbst den weitgereisten Touristen mehr, als das kirchliche Leben, welches jenseit des atlantischen Weltmeeres in einer Weise sich entwickelt hat und in Bahnen sich bewegt, die hier in Deutschland geradezu unverständlich erscheinen müssen. Der Yankee ist bekanntermaßen ausgesprochener Materialist. „Erwirb Geld, wenn Du kannst auf ehrenhafte Weise; wenn Du es nicht kannst – gleichviel, mache Geld!“ Diese Parole hört man tagtäglich aussprechen, sieht man stündlich befolgen. Aber trotzalledem werden in keinem Theile der Welt die Gotteshäuser zahlreicher und gewissenhafter besucht, als gerade in den Vereinigten Staaten, werden nirgends größere Summen für religiöse Zwecke, für Priestergehälter, Kirchenmusiken, Decorationen von Friedhöfen etc. verausgabt, als drüben in der Sternenbanner-Republik. Es ist nicht auffallend, wenn Städte mit einer Bevölkerung von nur 1500 Köpfen acht Kirchen und fünfzehn Geistliche aufzuweisen haben; es überrascht Niemand, wenn beispielsweise Prediger wie Henry Ward Beecher in Brooklyn 25,000 Dollars[1] festes Jahresgehalt beziehen und noch außerdem das Privilegium besitzen, über vier Monate Ferien zu verfügen, um gut bezahlte Vorlesungen in den südlichen und westlichen Staaten und Territorien halten zu können.

Dafür sind aber die amerikanischen Geistlichen in ihrer Existenz keineswegs so gesichert, wie in den europäischen Ländern, da sie überall auf halbjährliche, bezüglich ein- und zweijährige Kündigung angestellt werden. Sind die Predigten langweilig, geistlos, entbehren sie der Satire und des Witzes – nun, so kündigt der Kirchenrath ganz einfach dem Betreffenden und sieht sich nach einer neuen Kraft um. Und es wird ihm selten schwer, den gewünschten Ersatz zu finden, da die amerikanischen Geistlichen sich selbst anzupreisen wissen und die Zeitungsreclame keineswegs verschmähen. In doppelspaltigen Inseraten und in redactionellen Notizen der Sonnabend-Nummern pflegen sie sich und das Thema, über das sie Sonntags zu sprechen gedenken, anzukündigen. – „Gäste sind erbeten und genießen freien Eintritt“, lautet gewöhnlich die Schlußzeile der verlockenden Annonce.

Auch in deutsch-amerikanischen Zeitungen bürgern sich derartige Ankündigungen mehr und mehr ein. Da liest man: „Pastor Franz J. Schneider, ord. Geistlicher, 91 2. Ave., zw. 5. u. 6. Str., vollzieht Trauungen, Taufen in und außer dem Hause.“ Oder: „Billig, billig, billig ist Pastor Walter bei allen Ceremonien. Man spreche vor und überzeuge sich: 105 Delancey-Street etc. etc.“

Durchweg sind die amerikanischen Kirchen stattlich und stilistisch geschmackvoll. Alle Kosten für Neubauten bestreiten die Gemeindemitglieder durch Kirchensteuern, die sie sich selbst freiwillig und zwar nach deutschen Begriffen in einer enormen Höhe auferlegen. Sind dann die Kirchen fertiggestellt, so gewinnt man allerdings durch das Vermiethen der einzelnen Kirchenstühle hohe Summen. In der Plymouthkirche in Brooklyn löste man z. B. im Jahre 1881 48,000 Dollars, im Jahre 1882 42,000 Dollars und 1883 40,000 Dollars aus der Stuhlpacht. Die Versteigerung findet natürlich öffentlich und bei einem Freiconcert statt. In der Trinitykirche in New-York wurde 1879 der erste Stuhl für 2000 Dollars vermiethet.

Im fernen Westen wagen bei Gründung neuer Städte noch häufig Zimmer- oder Maurermeister den Bau eines Gotteshauses ganz auf eigene Gefahr. So kam ich vor zwei Jahren nach Flint in Montana. Der Ort stand erst seit sechs Monaten. Der Redacteur des dortigen Localblattes, das bereits auf eine Existenz von sieben Nummern zurückblicken konnte, theilte mir im Vertrauen mit, daß Flint dazu bestimmt sei, dereinst „die Königin des Westens“ zu werden. „Schon jetzt haben wir,“ fuhr der begeisterte Localpatriot in erhobenem Tone fort, „eine brillant redigirte Zeitung, einen Bahnhof“ – ich glaubte das Wort Grand Central-Depôt zu vernehmen – „zwei Töchterpensionate, einen Galgen, neun Pianinos, ein Gefängniß, elf Lagerbierstuben, einen ältesten Einwohner von 46 Jahren, und dies Alles nach kaum sechsmonatlichem Bestehen, nur die Kirchen fehlen noch . . .“

Aber auch sie kamen, wenigstens die erste, und zwar auf die folgende Weise. Nach Flint zog ein Architekt – diesen Titel hatte sich der Mann gegeben. Ohne irgend welchen Auftrag seitens einer Religionsgemeinschaft baute er ein wirklich schönes Gotteshaus, verschrieb auf seine Kosten einen jungen gewandten Prediger,

  1. Ein Dollar = 4,25 Mark.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 588. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_588.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)