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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Brausejahre.
Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)

In dem kleinen Garten am „Stern“ auf- und niedergehend, tauschten die beiden Herzensfreunde ihre Gedanken aus. Der Herzog kam wieder auf seine Einladung zur Jagd zurück.

„Ich trenne mich jetzt ungern von diesem lieben Erdenfleckchen,“ antwortete Goethe. „Es braucht meine Kraft. Auch der Wundermann, der Sie wahrscheinlich aufsucht, lockt mich nicht. Seine Sache mag nicht ganz bedeutungslos, noch ganz Betrug sein, aber die Menschen, die sich mit solchen Heimlichkeiten abgegeben, waren mir immer verdächtig. Sie sollten sich auch nicht zu tief darauf einlassen. Ich weiß nicht, was mir für Ahnungen gleich Spinnen über’s Herz krabbeln, möglich, daß man Ihnen allerlei Ungelegenheiten bereitet.“

„Ich spüre einen Drang und Trieb, Neues zu erfahren, meinem Leben Farbe zu geben! Luise ist ja seit dem verunglückten Vermittelungsversuche der reine Stein, kühler und steifer denn je; die winterlichen Freuden sind längst erschöpft, diese Aussicht, seltsamliche Faxen zu sehen, gaudirt mich. Ich bin doch neugierig, wie weit jener wunderbare Graf, der unsere stolze Sängerin zu zähmen verstand und der Herr des selbstbewußten Schweizers wurde, meinem Ich gewachsen ist. Sei überzeugt, daß ich ihm so skeptisch wie möglich entgegentrete.“

Während sie mit einander sprachen, hatten sie die Terrasse, auf der Goethe pflanzte, verlassen und waren vorwärts schlendernd der Eingangsthür nahe gekommen.

Stein und Wedel gingen mit einander vorüber; der Herzog rief sie herein und sagte ihnen, sie könnten mit auf die Wartburg kommen, er wolle ihnen einen Auerhahn gewähren. „Hier unser Dichter,“ fügte er hinzu, „klebt, wie Ihr wißt, an der Scholle.“

„Und doch möchte ich Eure Durchlaucht um ein paar Tage Urlaub bitten. Mir scheint nach einer brieflichen Meldung des Berggeschworenen über den Treufriedrichsschacht, daß ein Nachsehen in Ilmenau nöthig wäre,“ erwiderte Goethe.

Der Herzog lachte: „Urlaub her, Urlaub hin! Kneif’ aus, alter Junge, wann Du magst. Ich werde doch Dich nicht an die Kette legen?“

Mit einer vergnüglichen Abrede, sich heute Nachmittag bei dem Ostereiersuchen der Herzogin Amalie zu treffen, trennten sich die Männer.

Das Wittthumspalais, welches die Herzogin bewohnte, war von einem großen Garten umgeben. An der einen Seite reichte derselbe bis an die Erfurter Straße, an der andern bis an einen städtischen Markt. Rund herum lief eine lebende Hecke, die jetzt schon einen grünen Anflug zeigte. Ein Lusthaus mit Malereien von Oeser bildete den Endpunkt eines schönen Baumganges, der dasselbe mit dem Hause verband. Pyramiden von Taxus, Tannen, Buchsbaum und knospendes Laub gaben den Anlagen bereits eine recht einladende Frische.

Die Glasthüren des einfachen Gartensaals der Herzogin-Mutter standen geöffnet und ließen den Duft und Schimmer des Frühlingstages einziehen in die für ein kindliches Fest geschmückten Parterrezimmer. Treibhausgewächse und Tannenzweige füllten die Ecken, aus denen von Kuchenteig gebackene Störche, Füchse und Hasen, mit einem bunten Ei unter dem Schwänzchen, zwischen Fähnchen und Düten heraus leuchteten; aber auch im Garten, auf den Spalieren, zwischen den Hecken und Büschen, lugten die gelbbräunlichen, närrischen Gestalten hervor. Die Wege waren mit frischem Kiese bestreut, und die Beete sahen fett bräunlich aus.

Jetzt öffnete ein Lakai die Thür, welche aus dem Hause in den Gartensaal führte; die Herzogin Amalie mit ihrer Thusnelda trat ein. Die hohe Frau sah hausmütterlich nach allen Vorbereitungen zu ihrem Feste und sagte dann zur Göchhausen, die am Arme einen Korb mit gefärbten, bemalten, mit Sprüchen versehenen Eiern trug:

„Nun komm’ in den Garten, Thusel, wir wollen die Eier so gründlich gut verstecken, daß die großen und kleinen Kinder sich’s rechte Mühe kosten lassen sollen, sie zu finden.“

Beide schritten die paar Steinstufen vor der Glasthür hinunter und auf dem mittleren Kieswege entlang.

Eh bien, Spiritus familiaris!“ fuhr Amalie fort, „lang’ her und steck’ sie unter, Deine Schätze!“

„Ist das wieder ein Tag, um fröhlich und guter Dinge zu sein!“ lachte die Göchhausen. „Was meinen Durchlaucht, hier in diesen Stachelbeerbusch, der aussieht, als sei er mit grünlichen Moos angeflogen, stecken wir das mit dem Sprüchlein:

‚Durch Dornen und Chicanen
Mußt Du Dir Wege bahnen!‘“

„Ja, ja! Gieb mir ein Paar. Hier zwischen den dicken purpurfarbenen Schößlingen der Kaiserkronen kann man das rothe mit dem Spruche:

‚Heiße Triebe meiner Liebe
Drängt verwegen, ihr entgegen‘

kaum erkennen.“

„‚Wie ein frisches, reines Ei,
Mädchen, Deine Tugend sei!‘

Das hat Knebel gestern Abend geschrieben; ob er dabei an das Rudelchen gedacht hat?“

„Unter dem gelben Crocus ist ein gelbes Ei kaum zu finden!“

„Hier noch ein prächtiger Platz hinter dem schiefen Spalierbaume!“

So wurden sie immer eifriger, liefen durch den ganzen Garten und hatten bald ihren Vorrath an Eiern so gut versteckt, daß es ihnen selbst schwer geworden wäre, sie alle wieder zu finden.

Jetzt schlug es drei Uhr, man konnte die Gäste erwarten. Beide Damen kehrten in den Gartensaal zurück, der sich bald mit den nahestehenden Familien stillte. Heute waren auch die größeren Kinder eingeladen; Steins brachtet ihre drei Knaben mit, Wieland kam mit einer ganzen Schaar, und so schlossen sich kleine Gäste aus vielen Häusern an.

Die Herzogin, ganz Leben und Bewegung, Feuer und Fröhlichkeit zwischen den Ihren, plauderte mit Allen, vertröstete die Ungeduld der Kleinen, empfing hier, lachte da, neckte sich mit Jenem und gestattete endlich – obgleich noch die Herzogin Luise mit ihrem Hofstaate fehlte - daß man den begehrlichen Kindern zu Liebe das Eiersuchen beginne.

Die Thür des Saals wurde weit aufgerissen, und die Lust des Suchens, Naschens und Neckens bei Groß und Klein begann. Der Herzog, Goethe, die Steins, die Göchhausen, Wielands, kurz alle Genossen des fröhlichen Hofs, tollten und hetzten, lachten und spielten in rechter Kinderfestart bunt durch einander.

Nachdem das Treiben im Garten einige Zeit gewährt hatte, schlug die Herzogin Amalie eine Lotterie vor, um die appetitlichen Störche, Hasen und Füchse, die noch in den Büschen saßen, zu vertheilen. Man sammelte sich auf dem runden Grasplatze vor dem offenen Gartensaale, wo die Verloosung stattfand, und bald hatte jedes Kind sein Kuchenthierchen erhalten und fing an, die Rosinenaugen heraus zu pflücken und an den Ecken zu knabbern. Die Kleinsten wurden jetzt nach Hause geschickt. Die Größeren spielten mit den erwachsenen Personen auf dem Rasen.

Als dies harmlos luftige Treiben im besten Gange und Alles Gelächter und Fröhlichkeit war, erschien plötzlich auf den Stufen in der offenen Salonthür die Herzogin Luise mit Görtz und ihren Dienern. Sie stand da im weißen Kleide, lichtumflossen, ruhig und schön. Das Plötzliche ihres Daseins, ihr mit der herrschenden Stimmung völlig contrastirender Ausdruck erschreckte, ja erstarrte Alle.

Es war ihnen, als müßten sie sich schämen, sich schuldig fühlen, als seien sie auf einer Ungehörigkeit ertappt.

Die Herzogin Amalie faßte sich zuerst und ging ihrer Schwiegertochter artig entgegen; es lag aber auch aus ihren heiteren Zügen etwas wie Unbehagen.

Die ganze Versammlung verneigte sich, und die Kinder steckten, indem sie knixten, die angebissenen Kuchen hinter den Rücken oder unter die Schürze.

Niemand wurde aber mehr erkältet, als der Herzog; ihm schien es, als gehöre jene Erscheinung, die hier so störend dazwischen trat, einer fremden Welt an, als habe er seinem innersten Wesen nach nichts mit ihr gemein. Er vermochte es nicht über sich, ihr entgegen zu gehen, sondern wandte sich ab und

murmelte ein Wort zwischen den Zähnen, das in der Erregung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_594.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)