Seite:Die Gartenlaube (1884) 622.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

kommen. Das anziehende feine Gesicht mit dem matten Teint zeigte noch kein Fältchen, kein Silberfaden zog sich durch die lichtbraunen Scheitel, welche ein duftiges, mit Flieder geschmücktes Capotehütchen umschloß.

Mit einer kleinen Filetarbeit, einem Fliegennetze aus Purpurseide für Darling, beschäftigt, ließ sie das Gespräch an sich vorüber summen von Bonnen und Kleiderproben, Rennpferden und Vordermännern. Zuweilen klang auch ein interessantes Wort dazwischen.

„Nein, der Name Bartenstein ist nicht von den Barden der alten Germanen abzuleiten,“ erklärte der berühmte Mitarbeiter des Grimm’schen Wörterbuches einer jungen Amerikanerin, „und das t ist nicht alte Orthographie, sondern in seinem guten Recht. Barte heißt Beil, Streitaxt, und das Geschlecht hat gewiß zu allen Zeiten mehr vom Dreinschlagen gehalten, als vom Singen und Sagen.“

Stumm hörte Miß Smith ihm zu.

„Also von sehr altem Adel,“ flüsterte ihr ziemlich vernehmbar die Dame in’s Ohr, unter deren Schutz sie in der Gesellschaft erschien. Es war die Frau eines jungen Bankiers, die so viel Weiß, Roth und Schwarz für ihr Gesichtchen verwendete, daß sie den Spitznamen „die deutsche Fahne“ erhalten hatte.

Die Officiere lächelten über das Gespräch. Das ganze Regiment wußte, daß es für Miß Smith Sport war, einen Officier des siegreichen Kriegsheeres zu erobern, und daß sie speciell Bartenstein erkoren hatte.

Dann theilte an der andern Seite des Tisches ein viel genannter Aesthetiker mit: „Doctor Gerhard hat wieder eine scharfsinnige Abhandlung geschrieben: ‚Die Wahrheit über das Wesen der Liebe‘.“

„Ist er so erfahren in diesem Punkte?“ fragte der Oberst und blinzelte Melanie schelmisch an.

Sie lächelte gelassen. „Ich glaube, daß er die Liebe nur aus Büchern und Hörsälen kennt.“

Die Gemahlin des Obersten, eine Dame von vornehm reservirter Haltung und maßvoller Verbindlichkeit, kam weiteren Neckereien ihres Gatten zuvor. Sie sind befreundet mit ihm, Fräulein von Seebergen?“ fragte sie.

„Ja,“ antwortete Melanie. Der Verkehr mit der Jugend ist für uns alternde Frauen immer von hohem Werthe. Er erhält uns in Verbindung mit der heutigen Welt und schlägt eine geistige Brücke in die Zukunft.“

„Da kommt der Autor und wird uns gleich selbst von seinem neuesten Werke erzählen,“ sagte der Oberst. „Denn er rückt natürlich auf seinen ‚abonnirten Platz‘ los.“ So wurde der Stuhl neben Melanie bezeichnet, den Doctor Gerhard stets einzunehmen pflegte.

Die Stiftsdame wandte sich um. Da stand der junge Gelehrte vor ihr, tadellos gekleidet wie immer, die blonden Scheitel sorgfältig frisirt, einen Cylinder von neuester Façon in der Hand.

„Ich bin gespannt zu erfahren, ob ich mit Ihren Ansichten über die wahre Liebe übereinstimmen werde,“ redete Melanie ihn an.

In seine feinen blassen Züge trat ein Ausdruck von Pedanterie. „Nun, was verstehen Sie darunter?“ examinirte er, während er seinen „abonnirten Platz“ wirklich einnahm.

„Die Liebe zwischen zwei Menschen, die von Uranfang für einander bestimmt sind und einzig in ihrer Vereinigung Ruhe und Glück finden können,“ antwortete Melanie.

Er lachte überlegen. „Die veraltete Lehre von Eros und Anteros. Wie kann eine Dame sich zu derselben bekennen, die wie Sie auf der Höhe der Bildung steht und unsere modernen Schriftsteller liest?“

„Ich lese sie, aber ich lasse sie mir nicht zu nahe kommen,“ erwiderte Melanie. „Ich halte es mit den alten Dichtern, deren Worte die Seele beflügeln, während die Weisheit der neuen Schriftsteller sich uns wie ein Mühlstein um den Hals hängt.“

„Man muß die Wahrheit ertragen können, auch wenn sie schwer wie ein Mühlstein ist,“ sagte der Doctor großartig.

„Meine Herrschaften,“ rief der Oberst, jetzt streiten sich Herz und Verstand. Das ist höchst interessant,“ und er rückte seinen Stuhl herum.

Die Gesellschaft horchte auf. Die jungen Mädchen, welche mit Officieren und Studenten um das große Rosenrondell promenirten, blieben stehen.

„Die Forschungen der Wissenschaft haben ergeben,“ sprach Doctor Gerhard, „daß die Lehre von der einzigen wahren Liebe ein Hirngespinnst ist. Wir verlieben uns Alle ein Dutzendmal.“

Der Oberst lachte in seinen martialischen Schnauzbart. „Ob nicht immer solch ein solider Kauz sich gern für einen Don Juan ausgiebt!“

„Wie Flammen verlodern,“ fuhr Doctor Gerhard in seinem Vortrage fort, so erlischt die Liebe zu einem Individuum und entzündet sich auf’s Neue für ein anderes.“

„Sie meinen also,“ fragte Elsa, „daß jeder Herr sich in jede Dame verlieben kann? Wenn aber nun ein großer Altersunterschied vorhanden ist?“

Der Doctor sah sie verwirrt an.

„Zum Beispiel,“ erilärte sie. „Wenn Er schon eine Schwadron führt, und Sie soll durchaus noch die Selecta besuchen.“

„St!“ machte der Oberst.

Elsa spülte ihre Aufregung mit einem Glase Selterswasser und Himbeersaft hinunter. Der Doctor docirte, seinen tadellos gantirten Zeigefinger erhebend, weiter: „Einen bestimmten Geschmack hat natürlich jeder Mensch; aber diesem entspricht nicht nur ein Individuum, sondern Hunderte, die das Thema seiner Wünsche und Neigungen variiren. Man kann als erwiesen feststellen, daß die Gegensätze sich anziehen, um sich zu ergänzen. So werden ein Mann, dem die That näher steht, als der Gedanke, und ein Weib von feiner geistiger Organisation einander zustreben; andererseits wird der Denker eine praktische Frau suchen, wenn sie auch sonst das Capitol gerettet haben könnte.“

Melanie sah ihn mit sanften Mondscheinaugen an. „Das wäre also Ihr Fall.“

Er neigte zustimmend das Haupt. „Wir Männer der Wissenschaft suchen Ruhe, Behagen, eine warme Stube, ein gutes Diner. Geist brauchen unsere Frauen nicht; den haben wir selbst.“

Der Oberst fixirte lächelnd den jungen Gelehrten, dessen Brillengläser unverwandt auf Melanie’s sympathische Gestalt gerichtet waren:

„In der Theorie mögen Sie Recht haben. Aber solche Sätze erweisen sich stets als hinfällig, wenn man sie auf einen bestimmten Fall anwenden will.“

„Ich finde diese Auffassung sehr frivol,“ sagte die Frau des hochangesehenen Professors der Theologie, die einen groben Strumpf für eine Wohlthätigkeitsanstalt strickte. „Jede Ehe kann Gutes fördern, wenn die Gatten nur einig sind im Vertrauen auf den Herrn.“

Doctor Gerhard ließ sich auf keinen Streit mit ihr ein; denn die theologische und philosophische Facultät konnten sich nun einmal nicht mit einander verständigen.

Die Gattin eines Rittmeisters, eine ernste Westpreußin, sah ihn vorwurfsvoll an. „Und ich begreife nicht, wie man über seine heiligsten Gefühle so öffentlich sprechen kann.“

„Aber die Liebe ist ja das interessanteste Capitel im Leben,“ Lachte eine junge Wittwe, die bereits das dritte Jahr Trauer trug, weil schwarzer Krepp ihr gut stand. „Nur finde ich es komisch, daß man den Geschmack in ein System bringen will.“

„Der meinige richtet sich auf einen Großen, Schlanken, Brünetten, einen Reiter!“ verkündete Elsa.

Ihre Mutter schlug seufzend die Augen gen Himmel. Ermuthigt durch Elsa’s Vorgehen griffen auch die anderen jungen Mädchen begeistert in die Debatte ein. „Ich liebe blond!“ „Ach, blond oder schwarz, wenn ein Herr nur sonst nett ist.“ Da die Sache wissenschaftlich erörtert wurde, meinte man, daß man sich nicht zu geniren brauche.

Die jungen Herren dagegen lachten und schwiegen sich aus über die Richtung ihrer Neigungen.

Wie kann man nur so mißverstanden werden!“ rief Doctor Gerhard verzweiflungsvoll in das Gezwitscher über schlanke Gestalten, schöne Augen, weiße Zähne und Schnurrbärte hinein; aber seine Stimme verhallte ungehört.

Erst eine aufsteigende Raketengarbe machte der Erörterung ein Ende. Das Publicum wendete sich dem Feuerwerke zu, in dessen Lichtglanz lebende Bilder auftauchten, welche die verschiedenen Geschmacksrichtungen vorführten.

Ein Rudel durch einander prasselnder Schwärmer beleuchtete junge Mädchen, welche zum Zwecke besserer Aussicht, unterstützt

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_622.jpg&oldid=- (Version vom 1.12.2022)