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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Der Blumenschmuck ägyptischer Mumien.
Von G. Schweinfurth.


Unser Zeitalter ist durch einen beständigen Kampf mit den Schranken des Raumes sowie durch das Bestreben gekennzeichnet, die verborgensten Naturkräfte den Zwecken des menschlichen Daseins dienstbar zu machen; aber bei der großartigen Beständigkeit der Natur vermag der Mensch nur wenig. Zwar werden Landengen gespalten und die höchsten Gebirge durchbohrt; wirksamer jedoch, um sich bequeme Verkehrswege zu schaffen, modelt die Natur an den Formen des Erdballs im einzelnen Regentropfen, denn ihr Werk ist nicht an das Zeitmaß gebunden, das der Mensch nach Tagen und nach Jahren berechnet. Die Zeit aber ist unüberwindlich. Mit ihren gewaltigen Tritten löscht sie das Dasein von Eintagsfliegen aus so gut wie die Maulwurfsarbeiten der Menschheit, sie verwischt die Erinnerung an ganze Reihen von Völkern, über deren Wanderungen und Wandelungen oft kaum deutlichere Spuren berichten, als jene Fährten, die vor undenkbaren Jahrhunderten räthselhafte Thiere der Vorwelt in den weichen Ufersand der Flüsse eintraten und die nunmehr für ewig dem Felsen eingeprägt erscheinen. In Zeiträumen, die dem

Blumengewinde von der Rückseite.

Blumengewinde von der Mumie Ramses II., bestehend aus Mimusops-Blättern und Blumenblättern des blauen Lotus (½ natürlicher Größe).
Originalzeichnung von Prof. G. Schweinfurth.

Menschen ungeheuer erscheinen, die aber kaum nachweisbare Veränderungen in der Fortentwickelung des Erdballs aufzuweisen haben und daher nur wenig in der Geschichte des letzteren bedeuten, verwischt sich die Erinnerung an das Dasein jener zahllosen Geschlechter, die von der ersten Menschwerdung bis zum frühesten Culturbeginne auf einander folgten, zu einem inhaltsleeren Blatte oder hüllt sich in so dichte Nebelschleier, daß auch das schärfste Auge des Forschers sie nicht zu durchdringen vermag.

Im Kampfe wider die Hindernisse des Raumes und der Zeit hat das Menschengeschlecht indeß auch Erfolge aufzuweisen, und solche begegnen uns am deutlichsten im alten Wunderlande am Nil, in Aegypten. Dreiundzwanzig Jahrhunderte sind verstrichen, seit das Auge eines Herodot sich daselbst in Andacht senkte vor der Ehrfurcht gebietenden Fülle uralter Zeugen der Vergangenheit, und heute noch ragen dort bergegleich und unverkürzt im Laufe der Jahrtausende die Pyramiden in den Himmel, während die tiefen Felsschachte der alten Gräber uns Einblicke eröffnen in schwindelnde Abgründe der Zeit.

Hier haben die alten Aegypter in zahllosen Steininschriften, Papyrusrollen und Bildwerken aller Art uns den Entwickelungsgang ihrer reichen Ideenwelt im Laufe der Geschlechter erschlossen und in dem ebenso mannigfachen als umfangreichen Bestattungspomp ihrer Todten, die sie zur Fortsetzung ihres Daseins im Jenseits mit allen Dingen ihres auf Erden gewohnten Haushalts, sei es in Substanz, sei es durch symbolische Vertretung im Bilde umgaben, Proben zur Schau gestellt, die uns ihre Häuslichkeit vergegenwärtigen, sodaß wir, diese Zeugen an der Hand und dem Fluge unserer Einbildungskraft folgend, nur hineinzugreifen haben „in’s volle Menschenleben“, wie es sich vor hundert Menschenaltern an den Ufern des Nils bewegte.

Seit Jahrhunderten wühlt nun die neugierige Epigonenzeit in diesen Vorrathskammern unseres Wissens, und immer neue und überraschendere Funde gelangen an’s Tageslicht. Die Geschichte der ägyptischen Ausgrabungen hatte ihre besonderen Glanzpunkte zu verzeichnen, wenn es dem Forscher gelang, ein von der Habsucht früherer Generationen noch unberührt gelassenes Heiligthum zu erschließen und der Kunde vom Alterthum mit einem Schlage neue und ungeahnte Horizonte zu öffnen.

Derartiger Glanz umstrahlte die Schritte des ersten Entdeckers, als vor 65 Jahren Belzoni den Eingang zu dem prachtvollen Königsgrabe fand, das heute seinen Namen trägt, als Mariette das Serapeum mit seinen kolossalen Apissarkophagen aufdeckte. Nie aber ist ein denkwürdigerer Fund gemacht worden als derjenige, welcher am 6. Juli 1881 unserem Landsmanne Emil Brugsch, einem Bruder des großen Aegyptologen, zu Theil wurde. Ganze Geschlechter der größten und berühmtesten Könige des alten Aegyptens erstanden da im engen Grabschachte nahe beim Tempel Der-el-bahari zu Theben vor seinen staunenden Blicken. Unter den vierzig Mumien aus königlichem Geschlechte, die sich hier vorfanden, glänzten so erlauchte Namen wie die eines Amosis, eines Thutmosis, eines Amenophis, eines Sesostris auf den Brustschildern ihrer leibhaftigen Körper. Ein König der gegen das 9. Jahrhundert vor Christus über Theben während einer Periode des Niedergangs herrschenden zweiundzwanzigsten Dynastie hatte die in ihren von Dieben erbrochenen Grabhallen nicht mehr vor Plünderung sicheren Mumien seiner großen Vorgänger in das erwähnte Grabversteck von Der-el-bahari bringen lassen, nachdem einige derselben in neue Särge gethan und ihnen ein erneuter Bestattungspomp zu Theil geworden war. Hier in dem tiefen Grabstollen, der mit der Außenwelt durch einen natürlichen und leicht zu übersehenden Felsriß in Verbindung gesetzt war, wurden die königlichen Särge niedergesetzt und mit einer Menge von Opfergaben und ähnlichen Dingen aufgespeichert. Araber aus der Umgegend waren in neuester Zeit in das seit 3000 Jahren unentweiht gebliebene Versteck gerathen und hatten zu plündern angefangen. Allein die durch sie in den Handel gebrachten Beutestücke lenkten bald die Aufmerksamkeit der Kenner auf den räthselhaften Fund, und endlich gelang es, die glücklicher Weise nur aus wenigen Theilnehmern, den Gebrüdern Abd-er-Rassul, bestehende Bande zum Geständniß zu bringen, bevor noch größerer Schaden angerichtet werden konnte.

Dieser großartige Gräberfund hat für die Kenntniß des Culturlebens der alten Aegypter eine besondere Bedeutung durch die Fülle von natürlichem Blumenschmuck, der an den Mumien angebracht war und der sich in so vollkommener Weise erhalten hat, daß die botanische Untersuchung der dreitausendjährigen Blatt- und Blüthentheile nichts zu wünschen läßt.

In mannigfaltiger Gestalt haben sich pflanzliche Reste aus dem ägyptischen Alterthum bis auf unsere Tage erhalten. Zunächst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_628.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)