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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Brausejahre.
Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)

Es gab noch mannigfache Erörterungen über jenes Abenteuer in der geheimnißvollen Grotte, und Goethe hielt dem Herzog gegenüber mit seiner Meinung nicht hinter dem Berge.

„Sie sind der Lüge im Grunde ebenso abgeneigt wie ich,“ sagte er eines Tages mit freundschaftlichem Eifer. „Sie haben den schlichtesten Menschenverstand, mein lieber gnädiger Herr, Sie sind thätig, fertig, entschlossen und durchaus kein Schwärmer; warum nun hier von Allem absehen und sich einem Menschen gefangen geben, der Ihr Denken verwirrt, Ihr Vertrauen mißbraucht und dessen Zwecke man nicht kennt? Verlangen Sie Klarheit, Beweise, und halten Sie den närrischen Großkophta, bis er dieselben beibringt, fern.“

„Dir hilft weder Spott noch Tadel!“ rief seinerseits Karl August heftig. „Ich weiß, was ich sah, und mache damit, was ich will, und damit basta!“

Fast entzweit durch ihre völlige Meinungsverschiedenheit trennen sich die Freunde.

Der Herzog hielt sich Goethen in der nächsten Zeit ferner; er war mit seiner Erinnerung beschäftigt, behandelte das Verhältniß zu seiner Gemahlin mit noch größerer Gleichgültigkeit und entschloß sich endlich, an Saint Germain zu schreiben und ihn um Aufklärung, um ein nochmaliges Zusammenkommen mit der geheimnißvollen Schönen zu bitten.

Der Graf antwortete ausweichend, ablehnend und versicherte, wenn die Zeit gekommen sei, werde er von ihm hören. Endlich, in dem Verlangen, sich gegen einen Vertrauten auszusprechen, besuchte Karl August wieder den Freund.

Er saß an Goetheʼs Schreibtisch, auf welchem dessen aufgeschlagene Zeichenmappe lag, und blätterte. Indem er wiederum mit glühenden Farben jene holde Venus pries, ließ er mechanisch die Skizzen des Freundes durch seine Finger gleiten. Plötzlich schrie er laut auf, hielt ein Blättchen hoch, sprang empor, stürzte auf Goethe zu und rief:

„Sie ist’s! O Wolf, Freund, Mensch, woher hast Du dies?“

Es war die Portraitskizze Gretchen Slevoigt’s, welche Goethe einst vor dem Waldhäuschen genommen hatte. Goethe erschrak, „unmöglich,“ stammelte er.

„Matt, nicht blendend und göttergleich,“ murmelte der Herzog, „aber doch ihre unvergeßlichen Züge. Bist Du im Complot gegen mich? Sprich, was weißt Du und wo finde ich sie?“

Goethe überlegte. War es möglich, daß Gretchen – Nein – unmöglich; aber wenn sie es doch gewesen, wie konnte sie in diese seltsame Intrigue verwickelt worden sein? – Er mußte sie vor den Nachstellungen des heißblütigen jungen Fürsten bewahren, und vor allem durfte keine neue Scheidewand zwischen den Herzog und seine Gattin sich aufthürmen, er mußte Luise schützen, die ihn ohnehin den Verführer des Herzogs nannte. Nein, sie durfte, sie sollte nicht Recht haben mit diesem Vorwurf!

Karl August fuhr ungeduldig auf, als Goethe schwieg: „Du siehst, wie ich mich seit Monaten nach ihr sehne, Du weißt von ihr, sie ist ein sterblich Weib und mir nicht unerreichbar! Wolfgang, bist Du mein Freund, so beweise es jetzt, rede und hilf mir!“

Goethe lachte. „Woran denken Sie?“ sagte er schelmisch. „Wenn hier eine Aehnlichkeit vorliegt, so hat Ihre Schilderung meine dichterische Einbildungskraft befruchtet und meinem Stift divinatorische Gaben verliehen; machen Sie mir ein Compliment, aber verlangen Sie nicht, daß ich, ein zweiter Pygmalion, sogar diese Bleistiftskizze belebe.“

Zornig brach der Herzog auf: „Auch Du führst mich an! Aber laß mich, ich werbe sie mir schon selbst aufsuchen.“

Er ging directen Weges zu Görtz – kannte er diesen doch als einen Feind und Widersacher Goethes. Darum stellte er sich in diesem Augenblicke gereizten Gefühls auf Seiten des Hofmarschalls.

Görtz empfing den seltenen Besuch in submissester Weise; als er einzelnen Andeutungen nach merkte, daß der Herzog auf Goethe nicht wohl zu sprechen sei, erhellten sich seine Züge noch mehr.

„Ich habe da Anfang Mai beim Landgrafen in Barchfeld eine höchst interessante Bekanntschaft gemacht, lieber Hofmarschall,“ sagte der Herzog endlich nicht ohne Verlegenheit. „Eine Bekanntschaft, die ich fortzusetzen wünsche. Es war dies ein Graf Saint Germain, der sich in Kassel aufhält; schreiben Sie dem Herrn und laden ihn in höflicher Weise zu uns ein.“

Görtz versprach, in kürzester Frist und so geschickt wie möglich dem Auftrage nachzukomnen.

Als der Herzog gegangen war, setzte er sich an seinen Schreibtisch und verfaßte folgenden Brief:

„Triumph, lieber Graf! Ihre eminente Geschicklichkeit, Ihre Menschenkenntniß trägt den Sieg davon! Sie haben in jeder Hinsicht recht prophezeit; unser allergnädigster Herr ist total von Ihnen enchantirt und ladet Sie hiermit, in bester Form, durch mich ein, an seinen Hof zu kommen.

Sie sind in der That ein Wundermann, denn sein uns so unliebsamer, plebejischer Günstling geräth in’s Wanken; es bedarf nur noch einer kleinen Nachhülfe, eines Schachzuges Ihres bewunderungswürdigen Geistes, um den Frankfurter Advocaten, der sich in unsere Reihen drängte, total aus dem Sattel zu heben! Wollen Sie ihn jetzt offen bekämpfen, oder wollen Sie sich erst incognito hier umsehen, das Terrain persönlich recognosciren, die eine oder andere Mine gegen ihn legen und erst, wenn er gänzlich beseitigt ist, hervortreten, um, allerdings mit anderer Berechtigung, seinen Platz, also den eines allmächtigen Günstlings einzunehmen?

Dies alles muß ich Ihrem bewährten Scharfsinn überlassen. Rechnen Sie, wie bisher, ganz auf mich und eine kleine Elite gesinnungstreuer Aristokraten, von denen Sie vielleicht den einen oder andern durch Ihr Genie sich auch noch fester zu attachiren für zweckmäßig erachten werden.

Wie immer Ihr treuergebener

Graf Görtz. Hofmarschall.“

Die nach einiger Zeit auf diesen Brief eintretende Antwort lautete:

„Verehrter Graf!

Durchaus bereit mich weiter mit Ihnen und Ihren Gesinnungsgenossen zu associiren und sehr verbunden für die complaisante Einladung, werde ich mir erlauben, derselben später nachzukommen.

Vorläufig habe ich noch einen Besuch in Hanau zugesagt, wo ich den Landgrafen Karl bei seinem Bruder treffe, um mit ihm das System der stricken Observanz – der Regeneration des Freimaurerorden im aristokratischen Sinne – wofür Sie sich auch so lebhaft interessiren, auszuarbeiten.

Der Landgraf ist mir ein lieber, höchst sympathischer Gönner, und wenn er auch kein regierender Herr ist, so darf seine Stellung in Schleswig, wo dänische Dienste ihn fesseln, eine durchaus fürstliche genannt werden. Jedenfalls komme ich aber, bevor ich mich ganz für den Landgrafen entscheide, nach Weimar, befreie Sie von Ihrem verhaßten Eindringling und sehe mich dort genauer um. Vermuthlich werde ich vorziehen, dies erst incognito zu thun.

Empfehlen Sie mich Ihrem Gebieter ganz unterthänigst, und stellen Sie meinen Besuch für eine spätere Zeit in Aussicht.

Im Namen der Vorsicht, Verschwiegenheit und Klugheit grüßt Sie Ihr

St. G.“

So mußte sich also der Herzog noch einige Zeit gedulden, ein Aufschub, der ihm um so peinlicher wurde, als er vergeblich versuchte, den alten guten Ton mit dem Herzensfreunde anzustimmen.

Dieser litt ebenso unter der zwischen ihnen obwaltenden Kühle und mehr als einmal überlegte er ernstlich, ob es nicht doch gerathener sei, Karl August die volle Wahrheit zu enthüllen. Wenn er ihm sagte: Deine Venus ist eines Försters Kind im Walde, sie ist rein wie eine Blume, auf der noch der Thau liegt; schone

sie, gieb sie ihrem Verlobten, mache sie nach ihrem Sinne glücklich,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_646.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2023)