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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Ich bin ganz zu Ihren Diensten, Herr Graf,“ erwiderte eine scharfe Stimme.

„Sind Sie jetzt überzeugt, daß ohne Beseitigung des Favorit hier kein Raum ist für uns und nobele Passionen?“

„Ich bin es; dieser Poet dominirt Alles.“

„Sehen Sie, wie Recht ich hatte!“

„Kaufmann insiunirt mir, daß Goethe Serenissimus ernüchtert, daß er Abneigung, Mißtrauen gegen höhere Wissenschaften in dem Herzoge erweckt.“

„Er ist uns Beiden gleich sehr im Wege!“ rief Görtz befriedigt. „Stehen wir nicht an, alle Minen gegen ihn springen zu lassen!“

„Er scheint der hoheitsvollen, schönen Herzogin zu huldigen?“

„So? - Hm - eigentlich hat er eine andere Amour und Poussage.“

„Aber er verehrt sie doch?“

„Jawohl, wie wir Alle.“

„Einerlei, hier muß angeknüpft werden; diese Sturm- und Drangjugend verträgt starke Dosen; hier kann ich auch den kleinen harmlosen Baron gebrauchen!“

Ihre Pläne weiter erwägend, bogen sie in einen Seitengang.

Der Fremde, hier sich ganz sicher und unbemerkt wähnend, nahm auch die Maske ab und plauderte so mit seinem Begleiter.

Zur Gesellschaft zurückkehrend, unhörbar über einen Rasenplatz daherkommend, kreuzte jetzt Goethe mit Corona am Arm den Weg der beiden Herren.

Ein Augenblick allseitigen Stutzens; die Masken in beider Hand flogen vors Gesicht, - und mit bebendem Arm zog die Sängerin den Freund vorbei.

„Er; großer Gott!“ murmelte sie.

Das Paar hatte jetzt den hellerleuchteten Platz vor dem Hause, wo sich die Gesellschaft in buntem Durcheinander bewegte, erreicht.

„Wer war der schwarze Domino, Corona?“ fragte der Dichter.

„Ich weiß nicht - kenne ihn nicht,“ murmelte sie, wie ihm schien, in peinlicher Verlegenheit.

Sie ward gleich darauf von verschiedenen Personen umringt und machte sich von Goethe los.

Dieser ging Frau von Stein aufzusuchen, um von ihr ein gutes Wort über sein Gedicht und sein Spiel als Niklas zu hören. An ihrer Seite vergaß er bald alles Andere.

Die Sammetschleife verborgen in der Hand haltend, begab sich Luise von Göchhausen zur Gesellschaft zurück.

Es war oft in ihren Kreisen besprochen worden, daß Corona, in Folge eines dunklen Verhältnisses, stets eine schwarze Sammetschleife, gewissermaßen als Orden trage. Diese Thatsache ließ sie überzeugt sein, daß die schöne Sängerin einem Gebot, das mit jenem Zeichen an sie gelangte, gehorchen werde.

Sie fand Corona, die als Dortchen leicht kenntlich war, bald in dem Kreis verschiedener Verehrer, die mit ihr über ihre Rolle, ihren Gesang, den Verlauf der Aufführung sprachen.

Rasch zu ihr hindurchschlüpfend, wies sie ihr die Schleife in halbgeöffneter Hand und rannte ihr zu: „Ein hochwichtiger Auftrag!“

„Himmel, auch Sie in seinem Bann!“ flüsterte Corona erschrocken und verließ sofort ihre Bekannten, um mit der Göchhausen zur Seite zu treten.

„Unser Meister,“ sagte Luise wichtig, „gebietet, daß Sie sich unverzüglich zum Herzoge begeben und ihm Folgendes ausrichten: ‚Diejenige, welche Dein Herz ersehnt, harret Deiner in der Laube hinter dem Amor!‘“

„Gut,“ entgegnete Corona, mit feierlich entschlossenem Ton, „ich gehorche unverzüglich und werde den Herzog bald finden.“

Sie ging und die Göchhausen spionirte sehr erheitert und überzeugt, daß Karl August einer solchen Lockung nicht widerstehen werde, dem weiteren Verlauf ihres Schabernacks nach.

Der Herzog scherzte mit Auguste von Kalb und Adelaide von Waldner, die, in lichte Dominos gehüllt, sich neckend an seine Fersen geheftet hatten.

Corona winkte ihn mit bittender Geberde zu sich; er entrann seinen hübschen Plagegeistern und trat zu ihr mit der Frage nach ihren Wünschen.

Ernsthaft sprach sie. „Unser Meister laßt Euer Durchlaucht ausrichte: Diejenige, welche Ihr Herz ersehnt, harre Ihrer in der Laube hinter dem Amor!“

Der junge Fürst stieß einen Freudenlaut aus. „Endlich!“ rief er begeistert, „endlich hat er sich meiner Sehnsucht erbarmt!“

Und sogleich schlug er die zu der bezeichneten Laube führende Allee ein.

Die Göchhausen, wohl überzeugt, daß der Herzog einer Liebeslockung nie widerstehen werde, aber doch überrascht von der außerordentlichen Wirkung ihrer List, vermochte kaum so rasch zu folge, wie der Herzog vorauseilte.

Jetzt hielt er, wie beklemmt von den Schlägen seines Herzens, athemlos vor Spannung, neben dem lieblichen Marmorgebilde an, welches inmitten eines Kranzes von Lämpchen stand.

Er drückte die Hand beschwichtigend auf die Brust - seine listige Verfolgerin erreichte eben die Seitenwand der Laube - dann raffte er sich auf, murmelte in äußerster Gemüthsbewegung: „himmlische Frau Venus!“ und trat, scharf in das Innere des grünen Heiligthums lugend, in die Laube.

Eine Gestalt, in hellem Domino, sprang von der Bank auf und ihm entgegen; es war zu dunkel, um Gesichtszüge zu unterscheiden; das Wesen schlang die Arme um seinen Hals und küßte ihn inbrünstig. Ein helles Gelächter an seiner Seite machte den Herzog zuerst stutzig – er machte sich los, vielleicht auch nur, um frei aufzuathmen.

„Nur zwei!“ sagte die „Göttin“ mit bedauerndem Ton und heiserem Baß.

„Die Kickenliese läßt grüßen!“ rief Luise von Göchhausen und entfloh, glückselig über das Gelingen ihres Possenspiels.

„Donnerwetter, was ist das? Wen haben wir hier?“ fluchte der Herzog.

„Ach, Durchlaucht?“ rief der Oberkämmerer kleinlaut und enttäuscht. „Bitte tausendmal um Entschuldigung!“

„Pfui!“ machte der Herzog, „werde mich waschen müssen! Wie kommen Sie in aller Welt zu solchem Zärtlichkeitsraptus?“

Nach einigen zurückhaltenden Redensarten, von beiden unverständlich eingekleidet, da keiner mit der Farbe heraus wollte, ging der Herzog, enttäuscht und auf seine Widersacherin scheltend, schließlich aber doch über sein seltsames Mißgeschick lachend, durch die Allee zur Gesellschaft zurück.

Bald darauf trat ein schlanker Mann, in einen schwarzen Domino gehüllt, zu dem Oberkämmerer in die Laube.

Den Anlauf des kleine Mannes zur Wiederholung seiner Zärtlichkeit wehrte der Kommende mit starkem Arm ab; dann nahm er mit würdig, aber halblaut gesprochenen Worten den Baron von Göchhausen in Eid und Pflicht und händigte ihm schließlich, zur Belohnung, ein Päckchen von seinem wundervollen „Langlebensthee“ ein.

Mittlerweile waren auf Kies- und Rasenplätzen vor dem Hause verschiedene Tische gedeckt, an denen sich die Gesellschaft, wie der Zufall es fügte, zum Abendbrod zusammen gefunden hatte. Lakaien liefen ab und zu, Gläser klirrten, Gelächter ertönte hier und dort und viele Stimme schwirrte durcheinander.

Es gab für den Herzog, der auf der dämmerigen Allee kam, ein hübsches und belebtes Bild, auf diese bald heller, bald minder hell beleuchtete Gruppe zu blicken, die sich's in der lauen, dufterfüllte Sommernacht wohl sein ließen. Windlichter standen auf den Tischen, zahlreiche Lämpchen hingen in den Bäumen, und farbige Papierlaternen, ausländischen Prachtblüthen ähnlich, schwebten da und dort an unsichtbaren, von einem Zweige zum anderen gezogenen Fäden über den Häuptern der fröhlich tafelnden Gäste. Umschau haltend, lehnte Karl August im Schatten an einem Baumstamm und beobachtete die Gruppen vor sich.

An dem nächsten Tische saß seine Gemahlin; der Neid mußte es ihr lassen, daß sie sehr lieblich aussah! Ueber ihr schwebte eine Kette von lichtstrahlenden rothen Kelchen; sie trug einen himmelblauen Domino, dessen zurückgeworfener Capuchon Kopf und Hals frei ließ, eine leichtgepuderte Locke fiel zu jeder Seite des zarten Gesichts auf den Nacken herab und ein weißer Rosenkranz lag in dem aufgebauschten Haar. Zu seinem Erstaunen gewahrte er Goethe, in seinem knappen Fischercostüm jugendlich und schön, Luisen gegenüber und lebhaft zu ihr redend, was sie ohne Abwehr, wenn auch mit der ihr eigenen Zurückhaltung, geschehen ließ. An der Seite der jungen Herzogin saß Frau von Stein, die sich hier und da an dem Gespräch betheiligte. Die Herzogin Amalie, der Geheimrath von Fritsch, Baron Reinbaben, Wieland und einige andere Personen befanden sich noch an dem Tische.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_666.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2023)