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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Die Natur und der betreffende Herr und Meister,“ bestätigte Bartenstein, in dem die Kampflust tobte, und sah Ereme herausfordernd an.

Diese aber blickte über ihn hinweg, als seien er und seine Rede für sie gar nicht da.

„Ich fürchte, der Ignorant hat schon wieder Ihren Zorn erregt,“ sprach er weiter, nachlässig die Knöpfe seines Handschuhs wieder schließend.

„Wer das Eiserne Kreuz erster Elasse trägt, darf sich schon einen Ignoranten nennen,“ beschwichtigte Melanie.

„Man thut auch als Kanonenfutter seine Schuldigkeit,“ antwortete er aufstehend, ohne den Blick von Ereme zu wenden. „Und was Anderes bin ich nicht: ein Mensch, der alles Angelernte nicht hoch schätzt, gelehrte Bücher nicht ansieht, Kunstwerke nicht versteht, und dessen Wahlspruch ist: Einen Säbel in die Faust und frisch auf’s Pferd.“

„Ein Spartaner, um in Ereme’s Sprache zu reden,“ antwortete Melanie mit einem Versuche zu scherzen.

„Nein, ein Deutscher, ein echter Sohn der Mark,“ widersprach er fast heftig, „der gar nicht mit einem andern Volke verglichen sein will. Mir ist der tiefe Sand meiner Heimath theurer als aller Marmor Griechenlands, und ich bilde mir ein,“ schloß er, muthwillig wieder lachend, „daß ich als Altmärker und nicht als Spartaner über die Pallas Athene triumphiren werde.“

Er nahm die Czapka, verneigte sich mit einem schalkhaften Lächeln tief vor Ereme wie vor einer Fürstin und grüßte mit Ehrerbietung Melanie.

„Sag’ Adieu, Darling,“ suchte Melanie in ihrer Verlegenheit den Kleinen zu ermuntern.

Darling rührte sich nicht.

„Darling!“ rief Bartenstein mit seiner klingenden Stimme.

Da rappelte sich Darling auf, trippelte langsam mit hängendem Köpfchen zu ihm, steckte sein rosenrothes Naschen in seine Hand, leckte ihm den Handschuh, wedelte demüthig und warf einen respectvollen Blick unter seinem Toupet hervor auf ihn.

„Dem Manne wird einmal lieber gehorcht, als den Damen,“ lachte Bartenstein, und fort war er.

Als sich die Thür hinter ihm geschlossen hatte, faltete Melanie die Hände. „Aber, liebe Ereme, wie konnten Sie ihn mit diesem Citat attakiren?“

„Er hat mich angegriffen,“ widersprach Ereme, „und muß nun die Streiche hinnehmen, die ein Kampf mit sich bringt.“

„An solche ist er besser gewöhnt als Sie,“ warnte Melanie. „Sie fachen durch Ihr Verhalten den Streit nur immer heftiger an.“

„Mag es sein,“ antwortete Ereme, und ein heißer Strahl brach aus ihren Augen. „Ich weiche nicht zurück. Er soll erfahren, daß eine Frau auch zu kämpfen vermag und an stolzem Muthe ihm nicht nachsteht.“

Melanie war sprachlos. Ihr Blick folgte Ereme, die mit glühenden Wangen und blitzenden Augen im Gemache auf- und abschritt. Dabei schien der Stiftsdame ein neues Licht aufzugehen. Sie wehte mit dem duftenden Spitzentuche über die Stirn, als wolle sie einen leichten Nebel verjagen. Dann sagte sie: „Man ist doch manchmal recht blind. Sie werden kämpfen, und ich hätte mir sagen können, daß ich Sie nicht davon zurückzuhalten vermag. Ebenso gut könnte ich mich dem Blitze entgegenstellen wollen. Doch möchte ich Ihnen noch rathen: Werden Sie sich klar über das, was Sie wollen. Wenn Sie mit Grazie kämpfen, ihm immer eine Chance lassen, ein wenig necken und ein wenig nachgeben, dann wird Alles gut endigen. Aber hüten Sie sich, ihn zu beleidigen. Denn in dem Kampfe, den Sie führen, würden Sie erst recht die Verlierende sein, wenn Sie ihn ernstlich verletzt hätten.“

Sie bekam keine Antwort. Ereme hatte sichtlich nicht auf ihre Rede gehört, sondern war ihren eigenen Gedanken gefolgt, die erregt genug sein mochten, dem düster glühenden Blicke nach zu urtheilen, mit dem sie vor sich hinstarrte. Melanie sah ein, daß alle Warnungen und Rathschläge in den Wind gesprochen waren, und empfahl sich.

Ganz erfüllt von dem eben Erlebten ging sie nach Hause. Es war eine schwüle Luft, einzelne Regentropfen fielen, Darling trottete müde hinter ihr her.

Da wurden ihre Gedanken in andere Bahnen gelenkt. Doctor Gerhard kam ihr entgegen unter einem höchst eleganten Regenschirm.

Sie seufzte. Denn es stand ihm im Gesicht geschrieben, daß er erwartete, von dem Eindrucke zu hören, den sein Essai über die Liebe auf sie gemacht hatte. Er besaß ja den ganzen Egoismus, mit dem die jüngere Generation stets die ältere ausbeutet, ohne ihre Schuld auf andere Weise abzutragen, als daß sie selbst wieder von der nächsten Generation sich ausbeuten lassen muß.

Er grüßte athemlos und erröthend und bot ihr seinen Schirm an; denn sie wurde nur durch einen kleinen Entoutcas geschützt.

Sobald Darling des Doctors ansichtig wurde, drückte er sich dicht an Melanies rechte Seite und zog den Schweif ein; denn die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß der Doctor in seiner Zerstreutheit auf denselben trat.

„Ihr Werk interessirt mich sehr,“ begann Melanie, mütterlich nachsichtig seinen Wünschen entgegenkommend; „aber ich glaube, Sie sind zu einem Trugschluß gelangt. Der Mensch ist nicht mehr im Stande, mit klarem Blick die Tiefen seines Ichs zu erforschen von dem Augenblick an, da er liebt. Die Liebe macht nach allen Seiten hin blind. Ich habe dafür ein ganz bestimmtes Beispiel vor Augen.“

„Natürlich, Damen haben ja immer Beispiele,“ lächelte Gerhard herablassend und gesellte sich an ihre linke Seite.

„Ich meine,“ fuhr Melanie fort, „eine geistig hoch beanlagte Persönlichkeit, welche sich in jenem leidenschaftlichen Zustand der Verwechselung der Gefühle befindet, den man mit dem Worte ‚Liebehaß‘ bezeichnet.“

„Der Liebehaß,“ antwortete Gerhard, indem er docirend den Finger hob, „entspringt bei einer sehr selbstbewußten Natur einem Gefühl der Empörung darüber, daß ein anderes Individuum sie zwingt, sich mehr mit ihm als mit sich selbst zu beschäftigen. Die Wichtigkeit des Ichs wird nie ohne Kampf aufgegeben.“

„Mein Gott!“ seufzte Melanie, „nun betrachten auch Sie die Liebe als einen Kampf und werfen mit schrecklichen Worten wie Zwang und Empörung um sich, und sie allein vermag doch unsere Seele mit einer Ahnung von schrankenloser Seligkeit zu erfüllen.“

Er schüttelte nachsichtig das kluge Haupt wie einem lieben Kinde gegenüber. „Der denkende Mensch weiß, daß er keine Seele hat, und daß mit den sogenannten Ahnungen der Weltwille ihn betrügt.“

Melanie lächelte. „Ich muß es ertragen, daß Sie mir das Zeugniß geistiger Reife nicht geben wollen.“

„O,“ erwiderte er in einem tröstenden warmen Tone. „Sie sind eben eine echte Frau. Und Gott, um in Ihrer Sprache zu reden, erhalte Sie so! Wir Männer haben leider mit der Illusion über die Gefühle auch Manches eingebüßt, was uns, wenn wir es bei Ihnen wiederfinden, wie ein Märchen aus der Kindheit angenehm berührt.“

Sie waren am Stiftsgebände angelangt. Er zog den Hut. Dann sagte er lachend: „Adieu, Darling; Du weißt, daß das kein Liebehaß ist, den Du für mich entpfindest.“

„Rrrrr!“ knurrte Darling und brachte sein Schweifchen in der Hausthür in Sicherheit.

Melanie stieg in heiterer Stimmung in ihre Wohnung hinauf. Sie mußte sowohl über Ereme’s Kampflust als über die große Selbstschätzung des jungen Doctors lachen. Das waren nun beides ein Paar kluge junge Menschen, aber man sah, daß es auch in den hellsten Köpfen dunkle Ecken gab.


Ereme rang indessen danach, Aufklärung in diese Verfinsterung zu bringen. Wie war es möglich, daß einem übermüthigen Mann die Gewalt gegeben war, den Frieden ihres Lebens so unablässig zu beunruhigen? Womit hatte sie es verschuldet, daß ein solches Geschick über sie hereinbrach? Und wo war das Mittel zu finden, durch das sie sich von dem Friedensstörer befreien konnte?

Brütend über diesen Problemen saß sie an ihrem Nähtische; die feinen alten Spitzen, die sie auszubessern gedachte, lagen, über das dunkle Sammetkissen gebreitet, vor ihr. Die Aussicht auf den Universitätsplatz mit den ab- und zuströmenden jungen Studenten, den würdigen Professoren war so altvertraut, die Arbeit, die sie vorgenommen hatte, so einförmig; aber die Umgebung wirkte nicht nervenberuhigend auf sie. Sie sah gar nicht, wie der Professor der Geschichte, der Freund ihres Vaters, heraufgrüßte, und das Spinnennetz, das sie in eine durchlöcherte Spitze weben wollte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_670.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2022)