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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Vor ihr stand die dicke, kleine Freundin, ihr, wie so oft schon, vergeblich Trost zusprechend.

„Es muß sein; und wenn er alles weiß, wird es besser mit mir werden!“ seufzte Corona. „Sorge Dich nicht um mich, Minchen, ich muß es überstehen! Und laß uns allein, wenn er kommt, denn was wir in dieser Stunde miteinander ausringen, darf Niemand, auch das treuste Freundesherz nicht, theilen.“

Bald darauf hörten sie Einsiedel’s Schritt auf dem Hausflur. Wilhelmine sprang hin ihm zu öffnen und schlüpfte dann, mit einem traurigen Blick auf die Freundin, hinaus.

Corona erhob sich und streckte dem Kommenden die Hand entgegen; ihre Glieder bebten, und sie mußte sich niedersetzen, um nicht hinzusinken.

Er eilte auf sie zu, preßte ihre Hand an Lippen und Herz und sah sie mit dem warmen Blick besorgter Liebe an.

„Wie bleich, Corona!“ flüsterte er; bewegt aber fuhr er fort: „Was werden Sie mir Großes, Trennendes zu sagen haben? O, ich schwöre Ihnen im Voraus: ich nehme es mit jedem Feinde, jedem Hindernisse auf! Sobald ich nur weiß, um was es sich handelt, bin ich zur That bereit.“

„Ich danke Ihnen für diesen Enthusiasmus der Liebe, der Ihrer still träumerischen Art seltsam, aber herzbestrickend läßt. Armer Freund! Sie und ‚Er‘, welch ein ungleicher Kampf! Armes unschuldiges, vertrauendes Kind, möchte ich sagen, wenn ich Sie mir Ihm gegenüber denke!“

„Corona! schonen Sie mein männliches Selbstgefühl und sprechen Sie es endlich aus, wer dieser Er, dieser Gewaltige, Unbezwingliche, Ihr Herr und Tyrann, der Spender jener unheimlichen Sammetschleife ist, und was er Ihnen ist.“

„Wir sind zu diesem Zwecke heute beisammen,“ erwiderte sie mit dem tiefsten Ernste. „Was er mir ist? O Einsiedel! - Er ist - mein Gemahl!“

Sie sank zurück und bedeckte ihr Angesicht mit den Händen. „Corona!“ schrie er aus, „Sie, Sie vermählt? Das ist also jenes Hinderniß! - Schrecklich! -“

Er ging mit starken Schritten in dem kleinen Zimmer auf und ab und trat wieder vor sie hin. Ihr mit sanfter Gewalt die Hände von den tränenfeuchten Augen nehmend, sah er sie liebevoll an und bat:

„Erzählen Sie mir Alles; sagen Sie mir, wie Sie ihm verbunden wurden und wer er ist!“

„Ja,“ entgegnete sie, sich aufraffend, „das Furchtbare ist ausgesprochen, es wird mich erleichtern, Alles erklären, Ihnen aus tiefster Seele beichten zu können.“

Er setzte sich zu ihr, nahm dann und wann ihre Hand und lauschte mit ganzer Hingabe ihren Worten. Corona hub an:

„Als ich zwölf Jahre alt war, kam ich mit Eltern und Geschwistern nach Leipzig und sang ein paar Jahre darauf in den großen Concerten. Der treffliche Capellmeister Hiller bildete mich aus, und ich lebte von ganzem Herzen in der Musik. Ich mußte mich anstrengen, denn ich sah eine hochbegabte, Alles verdunkelnde Rivalin mit mir um die Gunst des Publicums ringen; Sie wissen, wen ich meine: Demoiselle Schmehling, die jetzige Frau Mara. Diese Anspornung, Tüchtiges zu leisten, erhob mich und bewahrte


Spottvögel.
Nach dem Oelgemälde von Charlotte Hampel.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 681. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_681.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)