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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

einen regen Wetteifer zur Erhaltung, Wiederherstellung und Beschreibung der baulichen Eigenthümlichkeiten Brügges und giebt auch Annalen heraus, welche unter Anderem die höchst wertvollen Abhandlungen des Architekten Verscheldt enthalten. Darunter eine auch als besonderes Buch erschienene Studie dieses Autors über die Namen der Straßen und Plätze Brügges, welche in Deutschland gelesen zu werden verdient. Denn sie zeigt uns, welch ein reiches Material von historischer, cultur- und wirthschaftsgeschichtlicher Bedeutung in diesen alten Namen steckt, daß ohne dieselben kaum die Historie und die Topographie einer Stadt erforscht und geschrieben werden kann, und wie unklug – um nicht ein schlimmeres Wort zu gebrauchen – es ist, die alten Namen polizeilich abzuschaffen zu Gunsten neuer, die allen localen oder geschichtlichen Untergrundes entbehren und häufig aus Vornamen bestehen, bei welchen etwas zu denken nach kurzer Zeit kein Mensch mehr im Stande ist. Wer weiß z. B. wer jener „Friedrich“ war, nach welchem die Friedrichstraße in Wiesbaden benannt ist? Man könnte einen Preis darauf setzen.

Doch zurück zum Butter- und Käsehaus in Brügge, oder vielmehr zu dem schönen großen Saal, der an dessen Stelle getreten.

Ich füge dem mitgetheilten Verzeichniß noch hinzu, daß Herr M. J. Fontaine, einer der Schöffen der Stadt Brügge, in Verhinderung des Herrn Bürgermeisters, des Comte Disard (welcher übrigens uns, d. h. einen Theil der Flanderfahrer, Abends in den prachtvollen Räumen seines Hauses auf das Liebenswürdigste empfing), den Vorsitz der Versammlung führte. Alle Anreden erfolgten natürlich in vlamischer Sprache.

Zunächst begrüßte Herr Van Ackeren die Gäste mit einem kräftigen und kurzen Willkomm im Namen des Comités. Ihm folgte Herr Sabbe mit einem längeren Vortrag über die glorreiche Vergangenheit Brügges, über seine Beziehungen zur Hanse und zu Deutschland und über die hoffnungsvolle Zukunft, welche man für die Stadt erwartet. Er überreichte dem hansischen Verein ein Exemplar von Gilliodt’s-Van-Serren „Inventar“ und von Edwin Gaillard’s „Glossarium“. Die werthvolle Gabe nicht nur, sondern auch die inhaltreiche Rede wurde von den Deutschen unter lebhaftem Beifall entgegengenommen, oder wie es das bereits citirte vlamische Blatt ausdrückt, „door een algemeen handgeklap begroet.“

Senator Dr. Klügmann von Bremen, früher Mitglied des deutschen Reichstags, jetzt des Bundesrathes, antwortete in einer feinen beziehungsreichen Rede Namens der Hansefahrer und schloß mit einem Hoch auf Brügge, in welches die Deutschen lebhaft einstimmten, oder, wie es auf vlamisch heißt, sie „bevestigden door en dricvoudig en vervoerend gejuich de woorden van hunnen collega“. Damit war der officielle Empfang zu Ende, und wir leisteten dann der freundlichen Einladung, uns in das Local der Gesellschaft Brügge-Nüremberg, das „Cafe des Arts“ zu begeben und dort einige Erfrischungen einzunehmen, bereitwillig Folge; denn so willig der Geist war, alle die neuen Eindrücke in sich aufzunehmen, so machte sich doch die Schwäche des Fleisches geltend.

Vom Fischmarkt in Brügge.

Einschalten muß ich noch eine Bemerkung über die vlamische Sprache, von der ich, soweit es der Raum mir gestattet, einige Proben gegeben habe. Der geneigte Leser wird sich aus diesen Proben unschwer überzeugt haben, daß diese Sprache, welche eine nicht unansehnliche Literatur aufzuweisen hat, mit unserem Deutsch demselben Stamme entwachsen und daß sie, namentlich für die Niederdeutschen, leicht zu verstehen ist. Dies ist besonders der Fall, wenn man sie gedruckt vor sich hat und sich die Sache überlegen kann. Etwas schwieriger ist es aber bei den rasch enteilenden gesprochenen Worten. Am schwierigsten zu verstehen sind die unteren Classen wegen der gutturalen Laute, welche sie mit einem Theile der Holländer und der Schweizer gemein haben.

Die Nacht mußte ich diesmal in einem Hôtel zubringen, denn der „Schwan“, unsere schwimmende Heimath, war in Folge vielfacher Schwierigkeiten, die er bei den Schleusen des Canals zu überwinden hatte, sehr spät in der Nacht an der verabredeten Stelle erschienen, und der letzte Mann unserer Expedition gelangte erst um zwei Uhr Morgens an Bord. Indessen des andern Tages waren alle Schmerzen der vergangenen Nacht vergessen und schon um zehn Uhr wurde der Marsch nach den Sehenswürdigkeiten der Stadt angetreten, unter Führung der gastlichen Herren von Brügge.

Brügge ist anders als Wisby, wohin wir 1881 unsere hansische Fahrt gerichtet hatten. Wisby, bis zum 14. Jahrhundert die Königin der Hansa im Osten, hat von ihrer Größe nur noch kolossale Befestigungswerke und Kirchen gerettet, – aber Alles in Trümmern, zwischen welchen die modernen Häuslein stehen, wie die Wohnungen der Pygmäen zwischen den riesigen Trümmerburgen der Giganten.

Brügge hat aufgehört, die Königin der Hansa im Westen zu sein, wie denn ja auch die Hansa selbst aufgehört hat und deren Geschichte und Gedächtniß nur durch die Historiker und namentlich durch unseren hansischen Geschichtsverein (für den ich hierdurch nebenbei auch neue Mitglieder werben möchte) wieder aufgeweckt und belebt wird. Brügge ist von hundert anderen Städten, die damals, zur Zeit seiner Blüthe, klein und arm waren und ihm nicht das Wasser zu reichen vermochten, weit überflügelt. Aber seine Paläste und seine Kirchen stehen noch unversehrt da. Auch heute noch dienen jene öffentlichen und diese kirchlichen Zwecken. Auch seine Privatbauten, bis auf die kleinen spitzen Giebelhäuser herunter, welche längs der canalisirten Wasserläufe aufgereiht sind und vor welchen die bekannten Spitzenklöpplerinnen eifrig an der Arbeit sitzen – wie dies unser Bild (S. 694) zeigt – haben ihren alten Charakter bewahrt, und selbst da, wo der falsche Geschmack eingerissen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_695.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2018)