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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

man weniger streng, nicht blos die Actien der Compagnien, die den Handel Ost- und Westindiens gepachtet hatten, wurden zu Zeitkäufen benutzt, sondern auch Effecten, die ihrer Natur gemäß ganz und gar nicht zu Speculationsobjecten geeignet scheinen, vor Allem die Tulpen.

„Tulipa,“ sagt der Dichter Rist in seinem Büchlein ‚von der alleredelsten Thorheit‘, „kommt zwar vom Schlawonischen Tulipant, das einen türkischen Hut bedeutet, aber Diejenigen irren nicht weit , die an das niederländische Wort Tülpa, Tülpisch denken, welches einen groben Phantasten oder dummen Menschen bedeutet, sodaß die Blume selbst eigentlich Narrenkraut zu heißen.“

Die etymologische Ableitung ist nicht unrichtig. Das Wort Tulipane bezeichnete die dem türkischen Kopfbund, türkisch Tulband, ähnliche Blume, die, wie so viele andere, aus dem Orient in’s Abendland gebracht wurde und sich hier allmählich einbürgerte. Die natürliche, ungekünstelte Tulpe ist fast einfarbig, großblätterig und verhältnißmäßig langstielig; erst unter dem Einfluß der Cultur verliert sie die ursprünglich starken Farben, sie wird blasser, bunter, kleiner, sie wird je schöner, desto schwächlicher, sodaß sie nur durch sorgfältige Wartung erhalten werden kann.

„So verschönert die Cultur,“ klagt der Göttinger Professor Beckmann in einer 1780 geschriebenen Abhandlung, „das vierschrötige Bauernmädchen zur schwächlichen Prinzessin so verfeinert Paris den starken Teutschen!“

Kaum eine andere Blume hat so viele Varietäten aufzuweisen; holländische Blumisten erzogen von den Spättulpen über 1000 Spielarten. Alle diese aber sind Abkömmlinge derjenigen Art, die nach dem Linné des 16. Jahrhunderts, dem Polyhistor Conrad Gesner, Tulipa Gerneriana benannt wurde. In Augsburg wurde sie in dem ob seiner Seltenheiten hochberühmten Garten des um Kunst und Wissenschaft verdienten Rathsherrn Johann Heinrich Herwart gezogen. Hier sah sie Gesner im Jahr 1559 und entwarf die erste wissenschaftliche Beschreibung in seinen Zusätzen zu den Werken des Pharmaceuten Valerius Cordus. Er erwähnt auch eine andere, in Italien bereits eingebürgerte Tulpe, die jedoch nur eine Spielart der Augsburgischen war.

Balbinus, in seinen Böhmischen Miscellen, nimmt das Verdienst der ersten Uebertragung der bei den Türken sehr beliebten Blume nach dem Abendland für Kaiser Ferdinand’s I. Gesandten bei der Pforte, Augier Ghislen von Busbek, in Anspruch. Nun thut dieser allerdings in seinen für die Kenntniß türkischer Lebensweise bahnbrechenden, 1555 geschriebenen „Türkischen Briefen“ der Tulpen ziemlich ausführlich Erwähnung. Er habe auf dem Wege von Adrianopel nach Constantinopel außer Narcissen und Hyacinthen auch andere Blumen gesehen, „welche die Türken Tulipan heißen“, die sich zu seinem Erstaunen mitten im Winter, der doch sonst den Blüthen wenig hold, entfalteten. „Sie haben entweder gar keinen oder doch nur dürftigen Duft, dagegen zeichnen sie sich durch Mannigfaltigkeit und Schönheit der Farbe aus. Die Türken vervollkommnen die Pflanze sehr und tragen, sonst keineswegs verschwenderisch, kein Bedenken, für hervorragend schöne Exemplare einige Aspern aufzuwenden. Auch mir kamen diese Blumen theuer zu stehen.“ Allein Busbek scheint keine Exemplare davon nach dem Abendland gebracht zu haben, denn an anderer Stelle heißt es: „An Wurzeln und Pflanzen habe ich fast Nichts heimgebracht, nur Abbildungen, die mir Mathiolus fertigte.“

Entschieden unrichtig ist die Angabe eines anderen Zeitgenossen, des Reisenden und nautischen Schriftstellers Hakluyt, daß der Botaniker de l’Ecluse, genannt Clusius, die ersten Tulpen nach Europa gebracht habe; diesem Botaniker gebührt nur das Verdienst, in seiner 1601 veröffentlichten Geschichte seltener Pflanzen zuerst die damals bekannten Spielarten untersucht und beschrieben zu haben. Er verdankte seine Kenntniß der noch immer seltenen Blume glücklichem Zufall. Einem Kaufmann in Antwerpen, erzählt er, war von einem Geschäftsfreund in Constantinopel mit einer Sendung Baumwolle eine Anzahl Tulpenzwiebeln geschickt worden. Der Kaufmann, der von der Bestimmung der Knollen keine Ahnung hatte, ließ sich einige mit Essig und Oel als Salat zurichten, andere setzte er zwischen Kohlstauden in seinem Garten ein, wo sie verkamen. Aber ein Kaufherr aus Mecheln, Georg Ryn, der sich einige Knollen geben ließ, schenkte Dank seinen botanischen Kenntnissen den Fremdlingen größere Aufmerksamkeit und bessere Pflege. Er ward mit herrlichen Blüthen belohnt, und diese konnte de l’Ecluse untersuchen und classificiren.

In Holland, wie im Abendland überhaupt, pflegten damals vorzugsweise Gelehrte und Antiquare mit Zucht seltener Pflanzen sich zu beschäftigen. Der große Philologe und Kritiker Justus Lipsius (eigentlich Joest Lips) hatte in Leyden und später in Löwen berühmte Gärten, deren Blumenschätze meist durch Geschenke weitgereister Freunde gesammelt waren. Hier unter Tulpen und Ranunkeln – so erzählt sein Biograph Aubertus Miraeus – fernab vom Tumult der Städte suchte und fand er Zerstreuung und jene reine Freude, welche den Blumenfreund für alle Anstrengung und alles Sinnen und Sorgen reichlich entschädigt. In seiner Schrift „Ueber die Beharrlichkeit“ feiert Lipsius begeistert die Gärtnerei. Mit großen Kosten legte sich der Philologe und Dichter Johannes Barclay in Rom nahe beim Vatican einen Garten an, wo er ebensowohl mißachteten Alpenpflanzen, wie theuer gekauften Tulpen und Narcissen sorgfältige Pflege widmete. Auch Pompejus de Angelis wird als eifriger Blumist geschildert, und es fehlte nicht an Eiferern, die – wie Reimann, der Begründer der Literargeschichte in Deutschland – so kostspielige „Allotria“ mit der Gelehrtenwürde unvereinbar fanden.

Mit besserem Recht konnte man über die Ausartung der Blumenliebhaberei in Holland den Stab brechen.

„Die Rose, die Königin des Blumenreichs, wird mißachtet,“ klagt der holländische Humanist Schrevelius in seiner Beschreibung von Haarlem, „die Tulpe dagegen um so mehr überschätzt – die Nachwelt wird unsere Verirrungen kaum glaublich finden.“

Und in der That erzielte diese Blume, welche nur durch ihre Farben sich auszeichnet, verhältnißmäßig märchenhafte Preise. Am tollsten steigerte sich die Manie für sie in den Jahren 1634 bis 1637 in Amsterdam, Utrecht, Haarlem und einigen anderen holländischen Städten, in Haarlem gerade in der Zeit, da die Pest am furchtbarsten wüthete. Manche Angaben mögen übertrieben sein, aber auch die wohl beglaubigten lesen sich heutzutage wie lächerliche Uebertreibung. Die Stadtkammerregister von Alkmaar bezeugen, daß im Jahr 1637 120 Tulpen zum Vortheil des Waisenhauses um 90,000 Gulden versteigert wurden. Der Botaniker Munting zog aus den Handelsregistern einige Preise für Tulpenzwiebeln aus, von denen nur derjenige für die Spielart Viceroi erwähnt sei. Es wurden für eine Zwiebel 2 Last Weizen, 4 Last Roggen, 4 fette Ochsen, 8 fette Schweine, 12 fette Schafe, 12 Oxhoft Wein, 4 Tonnen Bier, 2 Tonnen Butter, 10 Centner Käse, ein vollständiges Bett, ein Kleid und ein silberner Becher, Alles im Gesamm[t]werth von 2500 Gulden, verschrieben. Die Spielart Semper Augustus – weiß mit Lackroth aus einem blauen Grunde bis zu oben fein proportionirlich und ebenmäßig geflammt, wie sie in Francisci „lustiger Schaubühne vielerhand Curiositäten“ beschrieben – kostete 2- bis 5000 Gulden, etwas niedriger im Preis standen die Spielarten Admiral van Eyck, Admiral Liesken, Schilder und Andere. Für eine Zwiebel wurden einmal, wie Munting erzählt, 4600 Gulden verschrieben, und da sich der Verkäufer noch nicht begnügte, gab der Liebhaber eine neue, mit zwei Apfelschimmeln bespannte Kutsche dazu.

Mancherlei Anekdoten sind aus jenen Tagen überliefert. Ein Amsterdamer Kaufmann hatte eine Tulpenzwiebel um 500 Gulden gekauft. Noch lag der unscheinbare Schatz auf dem Tisch, als ein Matrose in’s Zimmer trat und eine Botschaft überbrachte. Der Kaufmann ließ ihm eine Kanne Bier und einen Häring vorsetzen, und unbemerkt griff der Bote auch nach der Zwiebel, schälte und aß sie, – ein Frühstück, das dem Wirth mehr kostete, als wenn er durch den Koch des Prinzen von Oranien ein stattliches Tractament hätte rüsten lassen. Ein englischer Naturforscher, mit welchem Matthews reiste, steckte in einem Garten in Holland ein paar Zwiebeln zu sich, um die schädliche Wirksamkeit der sogenannten Tulpenfliege zu untersuchen, wurde aber des Diebstahles bezichtigt und sollte einen Schadenersatz leisten, als wenn er sich in einer fürstlichen Schatzkammer einen kühnen Griff erlaubt hätte.

Ein treffendes Urtheil über jene Handelschaft findet sich in Francisci’s oben genannter Schrift. Er läßt einige Freunde über die Tulpenmanie der Holländer ein Gespräch führen. Ehrenhold verwirft ein für allemal solche Geschäfte, ein ehrlicher Mann dürfe sich nicht aus eines Andern Thorheit bereichern. „Warum nicht?“ erwidert ihm Freund Gaston, „wenn die Narren zu Markte gehen, freuen sich die Weiber, denn sie lösen Geld!“ „Warum,“ fährt er fort, „soll gerade nur ein edler Stein und nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_722.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2022)