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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

betriebene Industrie. Lässig schleicht der Esel mit den gefüllten Schwitzkrügen durch die Stadt, an der Hausthür schellt der braune Bursch, dessen getreuen Typus wir auf Seite 789 finden, setzt den Behälter ab und der Troß zieht weiter. „Durch Wasser lebt alles Ding“, lautet ein Koranspruch, und „vom Wasser leben Viele“, könnte man in Südspanien hinzusetzen. Der Durst quält in heißer Zeit den Menschen weit furchtbarer, als der Hunger, den dieses genügsame Volk kaum zu kennen scheint. Dann umsteht eine stetig wechselnde Kundschaft den Aguador, den Händler mit Trinkwasser, der im Süden auf allen Straßen, meist an den Ecken anzutreffen ist. Er ruft nicht, er lockt nicht; gleichmüthig sitzt er da und wartet, das rothe Baumwollentuch um den Kopf geschlungen, die Beine mit Bockfellen bekleidet, Sandalen an den Füßen, eine mit Knöpfen reichbesetzte Jacke an und natürlich, wie jeder Spanier, die breite rothe Binde um den Leib. Er thut, was jeder männliche Spanier thut, vom kleinsten Knaben bis zum Greise: er raucht, dampft eine Cigarette, ohne Cigarette sieht man Niemand hier. Die Cigarette ist Gemeingut. Man giebt sie jedem Unbekannten, bittet sie sich aus, legt sie niemals ab. Der Kellner kleinerer Gasthäuser raucht, bis die Mahlzeit angerichtet ist, und nimmt das glimmende Papier sofort wieder in den Mund, wenn er eine Schüssel gereicht hat.

Der copirende Maler im Museum raucht, der Beamte im Bureau, der Schaffner der Bahn, der Bettler in der Kirchenthür, alle rauchen, rauchen immer fort. Dem spanischen Straßenbilde würde ein wesentlicher Zug fehlen, wenn man die Cigarette daraus hinwegließe – und den Papierfächer. Valencia fertigt diese Fächer, es trägt sie Mann und Frau, Jüngling und Matrone, sobald es wärmer wird. Der Aguador hat keinen Fächer; er darf doch seinem eigenen Geschäfte nicht selbst Concurrenz machen. Dieses beschränkt sich nicht nur auf Verkauf des Wassers, das seine Tinajas kühl erhalten. Er tropft Süßigkeiten, etwas Schnaps oder Lakrizensaft hinein, füllt sein Schälchen auch wohl mit süßen Erfrischungen, kühler, wohlschmeckender Labe. Der eigentliche Nebenbuhler des Aguador ist jedoch der Horchatero, der Eisverkäufer. Aber der Horchatero gilt als der vornehmere von Beiden, das verräth schon sein halbstädtischer Anzug, noch mehr aber seine Waare. Mit Rufen und Preisen lockt auch er nicht Käufer an. Ist es Phlegma, ist es angeborner spanischer Stolz: lästig werden diese Straßenhändler niemals dem Publicum. Vielleicht sind sie Fatalisten wie ihre arabischen Vorfahren. Das Geschäft des Horchatero wird stets von zweien betrieben. Langsam schiebt der eine der jungen Burschen den Karren mit Eimern vor sich her, in denen sich Zinkbüchsen mit süßem Eise befinden, während der andere aus einer dieser Büchsen Portionen mit dem Leckerbissen in Gläser vertheilt.

So finden wir die Eisverkäufer überall, auf dem Markte, in den Straßen. Die Landleute sind ihre besten Kunden. Unsere geistigen Getränke, Wein, Bier, Schnaps, kennen sie kaum. Etwas Gutes muß der Bergbewohner, der Bauer der Huerta sich aber anthun, wenn er zur Stadt kommt, etwas, was er draußen nicht haben kann. Da wird dann eine Kupfermünze dem Horchatero geopfert und das gefrorene Gemisch von Milch und Zucker geschlürft. Große Auswahl führt der Horchatero nicht.

Nicht nur das kleine, umherwandelnde Geschäft bewegt sich ziemlich geräuschlos, mit einer gewissen beschaulichen Ruhe durch die Straßen; Lärm hört man überhaupt selten in den südspanischen Städten. Wer je das gellende Geschrei und Getobe der italienischen Gassenbevölkerung kennen gelernt hat, den befremdet anfangs diese Stille. Das Auge allein wird beschäftigt. Die Schaar der Betteljungen ist unendlich. Prächtige Burschen finden sich darunter ohne die hohe Rasseschönheit der italienischen Gassenbuben, aber auch lange nicht so gewitzt, so raffinirt und durchtrieben. Sie lungern, sie sonnen sich am Boden, rauchen ihre Cigarette und warten, bis der Zufall ihnen etwas in den Schooß wirft. Sie alle könnten dem Murillo als Modelle gedient haben, so prachtvoll schmutzig und zerlumpt, so herrlich braun und gedrungen, so naiv und zufrieden sehen sie aus. Der Mensch braucht ja fast gar nichts unter diesem Himmel, um zu leben. Wozu soll man denn arbeiten, sich mühen? Verhungern wird niemand, das höchste Elend kennt man nicht. Wohnung, Schlafstätte ist überflüssig, eine Hand voll Kichererbsen, eine Traube, ein Apfel sind leicht zu haben. Das genügt. Dieser Zug naiven Selbstgenügens geht durch die ganze Bevölkerung. Selbst die Blinden sehen kaum unglücklich aus. Die Straßen wimmeln von solchen Unglücklichen. Die Blattern, verschleppte Krankheiten, Sorglosigkeit, richten gräuliche Verstümmelungen der Sehorgane an. Meist bedarf der Blinde keines Führers. Den Stock in der Hand, tastet er sich längs der Häuserreihen weiter. Das Volk ist gutmüthig; jeder nimmt sich seiner an, Mitleidige drücken ihm eine Kupfermünze in die Hand.

Aber nicht nur was auf der Straße sich bewegt, fesselt unsere Aufmerksamkeit. In den engen Gassen von Granada, auf dem Markte von Murcia, in der aus arabischer Zeit stammenden Altstadt zu Malaga dringen Handwerk und kleine Hantirungen aus den Häusern auf die Straße hinaus. Man lebt, man arbeitet völlig im Freien. Kälte kennt man nicht und vor der Sonne schützen die Zelttücher, die an losen Schnüren von einem Hause zum andern über die ganze Breite der Gasse gespannt sind. Nur ein plötzlicher Regen jagt alles hinein in den hintern dunklen Schlafraum, den einzigen, den man gemeinhin besitzt.

Diese Straßen sind für alles Fuhrwerk gesperrt, mit Quadersteinen gepflastert; man kann sich also ausbreiten. Selbst der Holzkohlenhändler, der mit seinem Eselfuhrwerk von den Bergen herab zur Stadt kommt, um den kleinen Leuten das zugewogne Feuerungsmaterial zu verkaufen, muß sein an der oberen Körperhälfte geschorenes Grauthier in der breiteren Straße halten lassen und trägt seinen Kunden die Waare in dem Flechtkorbe von Sparto oder Palmenbast zu. Da drinnen aber breitet der Flickschneider seine Lappen aus, da sitzt das Weib über ihrem Kohlenbecken und bäckt knusperige Kuchen aus Maismehl in Oel, da läßt der Weinschänk Schläuche von Bockfellen, gefüllt mit dem schweren süßlichen Landwein der Huerta, in seine Keller tragen, da hängen vor den offenen Läden an langen Stangen die buntstreifigen Manteldecken, ohne die kein Südspanier sich behilft. In diesen engen Gassen wimmelt es wie in einem Ameisenhaufen. Aber das rege Leben macht wenig Lärm. Deutlich hört man aus der Ferne das Geklapper von Castagnetten. Es kommt aus einem der niedrigen Kaffeehäuser, die allenthalben anzutreffen sind.

Im Halbdunkel sehen wir dort zwei junge Burschen den Fandango tanzen. Dieser Tanz kann nur in Andalusien entstanden sein. Das feurige Locken und Haschen, das Ausweichen und Vordringen, das gefällige Wiegen der elastischen Körper, das Bewegen der Arme mit den kleinen Klappern in anmuthigen Schwingungen, das könnte ein Castilianer nimmermehr so ausführen, dazu gehört die Geschmeidigkeit, die Grazie des Andalusiers.

Der Tanz ist ihnen hoher Genuß, fast Leidenschaft. Diese schönen jungen Burschen, ein Soldat und ein gebräunter halbnackter Bauer, tanzen nicht vor Zuschauern, nicht aus Eitelkeit oder Gewinnsucht, sie tanzen aus innerer Herzenslust. Mäßig am Weinkruge, mäßig bei der Mahlzeit, ohne Talent und Lust zum Singen, scheinen sie im Tanz die höchste Belustigung zu finden.

Am Sonntag kommen Landleute in Sammetjacken, mit kurzen Kniehosen, mit gestickter Manteldecke über der Schulter zur Stadt, die Begüterten aus der Vega, die der Bettlerschaar vor den Kirchenthüren ein Kupferstück hinwerfen. Da sieht man sie sitzen in ihrer malerischen Tracht, die Maulthiertreiber bei der dickbauchigen Flasche, die unvermeidliche Cigarette in der Hand, politisirend, debattirend, während der Knecht der Herberge die Thiere versorgen muß in dem Raume, der, wie unsere Illustration S. 788 zeigt, nur durch eine niedere Mauer getrennt ist, von dem Platze, an dem die Señores sich niedergelassen zur Rast. Sie haben heute viel zu thun gehabt, diese Herren, denn viel, zu viel für ihre Bequemlichkeit, hat man ihre Dienste in Anspruch genommen. Heute pilgern vornehme Damen in Schleier oder Mantille zum Dome, heute sind zu den Sevillaschen Volksfesten Fremde in Schaaren angelangt, die zuvor die berühmten Altargemälde von Murillo sehen wollten, heute begiebt sich der kirchliche Pomp, Processionen, Aufzüge mit Fahnen, Heiligenbildern, Reliquien, Priester in goldstarrenden Gewändern mit Edelsteinen übersäet, in’s Straßenleben. Der Festtag äußert auf dasselbe überall seinen Einfluß, anders während der heiligen Gebräuchen gewidmeten Osterwoche, anders nach dem Feste, wo die Zeit der „Feria“ Volksbelustigungen gewidmet ist.

Auf den Balconen, selbst auf den Dächern stehen hohe Vasen, die in der nahen Töpfervorstadt Troma gefertigt werden, voll Blumen, duftenden Jasmin, Purpurrosen, blauer Iris, Orangenblüthen, Fliederdolden. Jedes Mädchen steckt täglich eine Rose,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_787.jpg&oldid=- (Version vom 4.10.2022)