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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Dann saßen sie Hand in Hand an der Wiege ihres Kindes und fingen nun an, wie ein Brautpaar, welches sich nach vielen Hindernissen vereinigt, ihre Herzen zu erschließen.

„Mich kennst Du,“ sagte Karl August in seiner schlichten, offenen Weise, „ich habe es nie verstanden, mich zu verstecken, mich besser zu machen, als ich bin; ich habe oft gefühlt, daß Dir meine Art mich zu geben nicht gut genug sei, vermochte meine Natur aber nicht auf den Kopf zu stellen.“

„Vergieb, wenn ich Dich je dergleichen fühlen ließ! Suche mich zu entschuldigen. Ich fühlte immer, daß wir uns nicht verstanden. Ich konnte Dir nichts sein, nichts mit Dir theilen, und das bedrückte mich unsäglich! Jetzt weiß ich, daß es Besseres giebt, als höfische Form, als Glanz und Gepränge –“

„Und das wäre, Luise?“

„Ein häusliches Glück, Dein Beifall, Deine Liebe.“

„Also wirklich? Du könntest schlicht und herzlich sein?“

„Ich möchte es lernen. Lange fürchtete ich, daß meine abgeschlossene Existenz auf Dich nicht wirken könne; in tiefer Verzweiflung grübelte ich über mich selbst. Zerstreuende Arbeit ist ja ein den Prinzessinnen gänzlich versagtes Glück, so saß ich und sank immer mehr in unthätige Schwermuth. Da schenkte Gott mir das Kind, unsern kleinen Engel! Mit Carolinchen fange ich neu an zu leben und hoffe nun auch Dich zu gewinnen; das ist ein Segen über mein Verdienst!“

„Du hast mich oft durch kühle Strenge von Dir entfernt, Luise; vielleicht konntest Du nicht anders? Dann wieder empfand ich auch Respect, weil Deine Individualität von einer besonderen Consequenz und Ueberzeugungstreue getragen wurde. Versuchen wir’s nun, wie weit wir Jeder dem Andern auf seinem Wege aus Liebe entgegen kommen können!“

Als der Herzog am andern Tage dem Freunde die gute Nachricht von der endlichen, wahren Vereinigung mit seinem Weibe brachte, als er sich einen glücklichen Gatten und Vater nannte und sich in hoher Gemüthserregung an Goethe’s Brust warf, feierte der Getreue mit ihm ein Fest der innigsten Genugthuung.

„Mag Luise kein aus den Wolken herab gesenktes Ideal sein,“ rief Karl August begeistert, „als welches ich sie oft ansah – Gott sei Dank, daß sie es nicht ist! Aber eines der herrlichsten Geschöpfe, wie diese Erde sie selten hervorbringt, aus der wir Alle entsprossen, das ist sie!“

In der nächsten Zeit hielt der Herzog sich unausgesetzt bei den Seinen in Belvedere auf und feierte jetzt recht eigentlich seine Flitterwochen.

Dann aber, im Spätherbste, glaubte er, daß seiner rastlosen Natur das häusliche Behagen dauernd nicht gesund sei. Er wollte nicht, daß die neue, süße Kost ihn übersättige, und so schlug er Goethen eine Reise vor.

Dieser ging mit Freuden auf den Plan ein. Konnte er doch nach einer neuerlichen leidenschaftlichen Unterredung mit Frau von Stein in kein ruhiges Geleise mit ihr kommen. Immer wieder brach sein erregtes Gefühl durch und wurde stets auf’s Neue von ihr zurückgewiesen; das gab ein seltsam verstörtes Zusammensein.

„Lassen Sie uns einen abenteuerlichen Zug in die Schweiz machen, lieber gnädiger Herr,“ bat Goethe. „Das Anschauen der großartigen Natur, ein Aufenthalt in dem mit Gottvertrauen und Herzenseinfalt gesegneten Lavater’schen Familienkreise wird uns wohlthun und einen reinen Natursinn in uns stärken. Gewiß wird eine neue Epoche Ihres und meines Lebens von diesem nothwendigen Abschnitt anfangen!“

„Ja, Du hast Recht, mein Wolf, ein solcher Abschluß mit der Vergangenheit ist gut! Neugeboren werden wir heimkehren,“ sagte der Herzog zustimmend.

Mit ernstem Sinnen entgegnete Goethe: „Die Zeit, welche ich seit dem November 1775 hier im Treiben der Welt zubringe, getraue ich noch nicht abschließend zu übersehen. Gott helfe weiter und gebe Licht, daß wir uns nicht selbst zu viel im Wege stehen, lasse uns vom Morgen zum Abend das Gehörige thun und gebe uns klare Begriffe von den Folgen der Dinge! Möge die Idee des Reinen immer lichter in uns werden!“


Es bleibt nicht viel hinzuzufügen, da die „Weimarschen Brausejahre“ mit der Schweizerreise, nach welcher der Herzog sowohl wie Goethe in ruhigere Bahnen lenkten, ihr Ende erreichten.

Das treue Freundesverhältniß zwischen Goethe und Karl August blieb ungetrübt bis an ihr Ende; auch die Herzogin Luise erkannte endlich in Goethe einen stets aufrichtig ergebenen Freund, dem sie später dankbar zugethan war. Die kleine am 3. Februar 1779 geborene Prinzessin starb 1784, im Jahre 1789 ward dem damals eng verbundenen Paare Ersatz zu Theil in einer andern Prinzessin, Caroline Luise – der Mutter der Herzogin Helene von Orleans –, welcher noch zwei Prinzen folgten.

Die Herzogin Amalie erhielt sich lange ihre lebensvolle Frische und blieb unzertrennlich von ihrer muntern Thusnelda.

Prinz Constantin, endgültig von seiner Jugendliebe getrennt, knüpfte auf seinen Reisen weit unpassendere Verbindungen an, die den Seinigen manche Verlegenheiten bereiteten, und starb jung.

Knebel vermählte sich später mit Luise Rudorf, der bescheidenen Sängerin, zog sich vom Hofe zurück und lebte glücklich mit ihr in ländlicher Stille.

Corona Schröter wagte es nie, sich zu vermählen; Einsiedel blieb ihr treuer Freund, doch zog sie später mit ihrer Wilhelmine nach Ilmenau. Von dem Grafen von Saint Germain hörte man die wunderbarsten Gerüchte; in Weimar ward er nie mehr gesehen.

Wedel heirathete bald nach der Schweizerreise die längst geliebte Henriette von Wöllwarth und wurde mit dem verständigen Mädchen äußerst glücklich.

Emilie von Werthern erlangte die Scheidung von ihrem Gemahl, beerbte ihre Schwiegermutter, die das alte Testament zu Emiliens Gunsten zufällig nie geändert hatte, und verband sich endlich legal mit Moritz von Einsiedel, der eine Wiederanstellung durchsetzte. Ihr gewesener Gemahl, der Rittmeister von Werthern, heirathete ein Fräulein von Ziegesar in zweiter Ehe.

Als die Altensteiner Höhle unweit Liebenstein und Barchfeld entdeckt wurde, wußte der Herzog Karl August, in welchen „Hörselberg“ Saint Germain ihn einst geführt hatte, und lachte jetzt herzlich über sein jugendliches Interesse an des Wundermannes Persönlichkeit. Stets rechnete er aber dies Abenteuer zu seinen ergötzlichsten Erinnerungen.


Vom Weihnachtsbüchermarkt.

I.

Unter den Geschenken, welche dem Weihnachtstisch ein sinniges und höheres Gepräge verleihen, beansprucht das Buch eine große Bedeutung, denn keine Gabe vermag den offenen oder geheimen, zärtlichen oder ehrfurchtsvollen, freundschaftlichen oder conventionellen Beziehungen zwischen Geber und Empfänger beredteren und getreueren Ausdruck zu geben, als eben das Buch, von der Lyrik bis zum Specialwerk des Fachgelehrten. Und unser blühender Buchhandel sorgt dafür, daß allen diesen Ansprüchen in jeder Form und Weise Genüge geschehe.

So überreich ist aber die Fülle darin, daß wir nur einem geringen Theile der zu Weihnachten erschienenen Werke hier eine Besprechung widmen können. Wir haben deshalb eine Auswahl getroffen, die wir mit gutem Gewissen unseren Lesern zu Geschenken empfehlen können; mögen sie selber unter den hier angeführten Werken Umschau halten und sich das Passende aussuchen.

Die Pracht- und größeren illustrirten Werke, welche auf dem diesjährigen Weihnachtsbüchermarkte, sei es in erstmaligem Erscheinen, sei es in neuer Auflage sich präsentiren, beweisen wiederum, daß das Streben nach dem Schönsten und Besten, dem wirklich künstlerisch Vollendeten das ausschlaggebende Moment bei den meisten neueren Hervorbringungen auf diesem Gebiete ist.

Als eine der hervorragendsten, wenn nicht geradezu die hervorragendste Novität dieses Jahres möchten wir „Die Kunstschätze Italiens“, geschildert von C. von Lützow, mit zahlreichen Radirungen und Textillustrationen bedeutender Künstler (Verlag von J. Engelhorn in Stuttgart) bezeichnen. Die Fülle unvergänglicher, classischer Schönheit, welche in diesen durch Radirung und Holzschnitt trefflich wiedergegebenen Meisterwerken der Malerei, Plastik, Architektur geboten wird, zusammen mit den klar und übersichtlich gruppirten, ebenso instructiven als fesselnden textlichen Erläuterungen Lützow’s machen diese Kunstschätze Italiens in der That zu einem begehrenswerthen Schatze für jedes kunstsinnige deutsche Haus.

Einen hervorragenden Platz beansprucht ferner die Hinterlassenschaft eines Künstlers, der Tausenden unvergeßliche Stunden voll reinster Freude und Heiterkeit bereitet hat. Wir meinen die im Verlage von M. Hendschel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_811.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2022)