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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Aber der fehlt wirklich! In dieser kleinen Truhe pflegt die gnädige Frau ihn aufzubewahren. Alles ist verschlossen – natürlich. Und den Schlüssel hat sie mitgenommen. Wie schade! Der Schmuck gehört nun einmal dazu. Man sieht so unfertig aus – und gar nicht vornehm. Nur eine Kette, ein Armband ...

Ob denn voll meinen Schlüsseln kein einziger paßt? Vielleicht doch! Es käme auf den Versuch an. Der – oder der? Zu groß – zu klein. Der aber -? Was schadet’s denn? Ich will ja nichts nehmen! Wenn sich das Schloß ohne jede Gewalt ... Ah! wie leicht der Schlüssel sich dreht! Und der Deckel – da ist er schon auf. Wie das glitzert und funkelt – welche Pracht!

Und mit hastenden Fingern nahm sie die Armbänder und legte sie um das schmale Handgelenk. Eine Agraffe steckte sie links über der Brust in den schimmernden Atlaß. Die Arme zierte sie mit Spangen, in die rosigen Ohrläppchen zog sie kleine Gehänge von blitzenden Diamanten, an die Fingerchen steckte sie Ringe – an jedes zwei, drei – immer mehr. Es durfte nichts zurückbleiben.

Wie schön sie war! Etwas Schöneres hatte der Spiegel noch gar nicht gesehen. War das die arme Marie? Sie konnte sich gar nicht satt schauen. Aber unangenehm wäre es ihr gar nicht gewesen, wenn auch noch ein Gewisser sie hätte in all dieser Herrlichkeit bewundern können – nur ganz zufällig natürlich, etwa durchs Schlüsselloch. Wo mochte der jetzt sein? Gewiß vergnügte er sich irgendwo und dachte gar nicht an sie.

Die Uhr der Aegidienkirche schlug feierlich langsam zwölf.

Vor einer Stunde kommen sie nicht zurück. Wir haben nicht Eile. Man hört ja den Wagen, wenn er sie abholen fährt. Dann ist’s allenfalls Zeit zum Auskleiden.

Die tiefen Töne klangen ihr wie der Grundbaß zu der Walzermelodie, die sie leise trällerte, die Pausen immer mit einigen flatternden Tacten ausfüllend.

Sie warf die Schleppe zurück, wiegte den Körper anmuthig hin und her, setzte sich, kokettirte mit dem Fächer, den Blick immer fest auf den Spiegel gerichtet. Plötzlich aber schien sie zu erstarren, alle Farbe wich von ihren Wangen, die Augen hefteten sich voll Entsetzen auf eine Stelle dicht über der linken Schulter ihres Ebenbildes, das nun gleichfalls wie versteinert war – – : das Gesicht eines Mannes hob sich ganz deutlich gegen den dunklen Hintergrund ab.

Marie wollte aufschreien, aber die Kehle brachte keinen Ton vor. Konnte sie sich getäuscht haben? Darin gewiß nicht, daß ein Mann hinter ihr stand. Die Augen bewegten sich, und der Mund lächelte wie spöttisch. Aber ob es wirklich der war, an den sie eben gedacht hatte –? Zwar flimmerte es ihr vor dem Gesicht, als ob das Lampenlicht unaufhörlich zuckte, und die Züge wurden immer undeutlicher. Doch die Aehnlichkeit ... Unter der scharf gebogenen Nase ragte ein dunkles Bärtchen zu beiden Seiten spitz auf, und in derselben Richtung strebten die Augenbrauen an der Stirn aufwärts; das Haar hob sich in zwei gesonderten Büscheln von der schmalen Stirn ab, und ein feiner Spitzbart schien das lange Kinn noch zu verlängern. Der Kopf war ihr sonst nicht so interessant vorgekommen, die Augenbrauen nicht so hochgeschwungen, der Bart nicht so spitz. Aber ein Irrthum war doch nicht möglich. Und die grauen Augen blitzten ja auch so sicher auf sie hinein - sie hätte in die Erde sinken mögen.

„Mein Herr,“ begann sie, nachdem sie sich von dem ersten Schreck ein wenig erholt hatte, zitternd und leise, - „in welcher Absicht ...?“

„In der unverdächtigsten, mein sehr verehrtes Fräulein,“ antwortete er lispelnd. „Ich komme nur, Ihnen meine aufrichtige Bewunderung zu erkennen zu geben und meine Dienste anzubieten. Sie sehen in der That reizend aus. Es wäre doch jammerschade, wenn Sie sich nur für sich selbst geschmückt hätten.“

„Aber dieses Kleid - diese Juwelen ...“ bemerkte sie mit ängstlicher Hast und verstummte wieder.

„Ich weiß, was Sie sagen wollen,“ fiel er lächelnd ein. „Ich bin ein Mann ganz ohne Vorurtheil: diese Robe, diese Blumen, diese Steine würden Sie nicht besser kleiden, wenn es der Zufall so gewollt hätte, daß Sie die reiche Frau geworden wären, bei der Sie nun diese unschuldige Anleihe machen. Ihre Schönheit hat das beste Recht darauf –“

„Sie entschuldigen – zu gütig, mein Herr ...“ Marie wagte sich zurückzuwenden. Da stand er nun vor ihr im feinsten Gesellschaftsanzuge, den Hut in der Hand.

„Ich habe durchaus nichts zu entschuldigen,“ versicherte er mit gefälliger Verbeugung. „Alles Natürliche erklärt sich selbst. Es giebt unter den Menschen keinen berechtigten Unterschied, als den die Natur selbst in sie gelegt hat. Den künstlich zugebrachten nach Möglichkeit abzugleichen ist allemal eine sehr dankenswerthe Aufgabe. Und man darf sich ja nur genügend hoch stellen, um die kleinen Bedenken schwinden zu sehen, die leider so oft alle Thatkraft lähmen.“

Diese Worte beruhigten sie sehr. „Wenn ich nur wüßte, mein Herr ...“ sagte sie schon freundlicher.

„Doch nicht, wer ich bin?“ fiel er ein.

„Nein, nur ob ich nicht irre ...“ flüsterte sie verlegen.

Er zuckte leicht die Achseln. „Wenn man sich freilich zum Ball hat frisiren, toupiren und in den modernsten Frack stecken lassen ... Aber wozu auch jedes Ding beim rechten Namen nennen? Ich bin heute für Sie Herr Wunschhold und betreibe zur Zeit auch wirklich kein anderes Geschäft, als denen gefällig zu sein, die mich brauchen.“

„Das ist sehr liebenswürdig,“ sagte Marie, doch wieder ein wenig stutzig gemacht. „Nur begreife ich nicht ... Ich glaubte doch die Thüren verschlossen zu haben.“

„O, ein so rein äußerliches Hinderniß -!“ entgegnete er achselzuckend. „Ich würde meinem Namen schlecht Ehre machen, wenn ich mich dadurch abhalten ließe. Und nun, mein Fräulein - zögern wir nicht länger! Es bleiben uns knapp zwei Stunden Zeit.“

Er trat näher, indem er bei jedem Schritte den linken Fuß ein wenig nachschleifen ließ, und bot ihr galant den Arm. Sie legte die Fingerspitzen darauf, ohne sich doch von der Stelle zu rühren, und fragte verwundert, was er im Sinne habe.

Er nahm ihre Hand und ließ sie nicht mehr los. Sie hatte die Empfindung, als müßte jeder Versuch, sie ihm zu entziehen, ganz fruchtlos sein.

„Mein Wagen hält vor der Thür,“ entgegnete er, „in wenigen Minuten sind wir auf dem Sylvesterball, zu dem Sie sich ja eben so herrlich geschmückt haben.“

„Nein, nein!“ versicherte sie lebhaft, aber nicht erzürnt. Das Herz hüpfte ihr in der Brust, und das Blut schoß ihr in die Wangen.

„Sie dürfen ganz aufrichtig sein,“ sagte er lächelnd. „Wenn eine schöne junge Dame sich zum Ball ankleidet ... und Sie trällerten vorhin schon einen Walzer –“

„Das haben Sie gehört, mein Herr ...“

„Ich bitte, folgen Sie mir ohne Bedenken!“ – Er zog sie sanft fort, und sie konnte nicht widerstehen. Es ging wie ein magnetischer Strom von ihm aus. Sie schloß die Augen, als wandele sie eine Ohnmacht an. Und im nächsten Augenblicke stand sie auch schon auf der Straße. Ihr Begleiter öffnete den Schlag eines Wagens und hob sie hinein. Sie konnte nur gerade noch bemerken, daß zwei Rappen vorgespannt waren und der Dampf aus ihren Nüstern eine Garbe von Feuerfunken schien. Es war ihr nun schon nichts mehr verwunderlich.

Das war eine Fahrt! Wie durch die Luft ging’s. Die Räder schienen das Pflaster garnicht zu berühren, die Hufe der Rosse nicht aufzuschlagen. Die Gaslaternen huschten nur so vorüber. Plötzlich schreckte Marie auf. „Ich habe die Handschuhe vergessen!“ rief sie.

„O, das thut nichts,“ beruhigte Herr Wunschhold. „Warum eine hübsche kleine Hand durch ein so garstiges Ding verunstalten? Und alle die köstlichen Ringe verstecken? - Auf unserm Ball hat übrigens Jeder irgend eine Kleinigkeit vergessen - das fällt nicht auf. Man hat’s so eilig, sich sein Vergnügen zu stehlen ... Aber, da sind wir zur Stelle!“

Aus einem breiten Portal drang eine Fülle von Lichtglanz auf die Straße. Diener in glänzender Livree sprangen zu, rissen den Kutschenschlag auf. Den ersten Absatz der Treppe hielt eine Doppelreihe von Herren in Frack und weißer Cravatte besetzt. Und wie das Paar vorüberschritt - der Cavalier immer ein wenig hinkend - verbeugten sie sich wie die Halme eines Kornfeldes, über die der Wind streicht. Und hinauf ging’s, immer hinauf, Treppe nach Treppe über farbenprächtige Teppiche und an strahlenden Kandelabern vorbei. Die Wände waren Spiegelglas, und wohin Marie sah, sah sie sich. Endlich öffnete sich ein riesiger

Saal – Musik scholl ihnen daraus entgegen – Tanzpaare wirbelten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_854.jpg&oldid=- (Version vom 26.10.2018)