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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Diejenigen, denen sie wohl will, sind entzückt von ihr. Sie ist ein Sprühteufelchen, anziehend, ohne gerade hübsch zu sein, voller Leben, launisch –.“ Sie stockte. „Ja, ja,“ sagte sie dann leise, „sie ist sehr reizend, sehr – und nun leb’ wohl, Beate!“

„Willst Du weinen?“ fragte die Kousine, „Du hast so glänzende Augen!“

„Nein,“ sagte Claudine, „ich will nicht weinen.“

„Na, dann Adieu, Herzenskind, und denke an frische Toiletten. Lothar will ein Fest geben; ich meine, Du wirst dann selbst diese ‚sehr reizende‘ Prinzessin ausstechen, und nicht wahr, Du leihst mir ein wenig Deinen Rath; ich bin in der Hofetikette so unerfahren wie ein kleines Kind. Adieu, Schatz, leb’ wohl!“

Claudine eilte ins Haus zurück in ihr kleines Stübchen. Ihr war, als sei die Welt aus den Fugen gegangen seit gestern; sie wußte ja nur zu gut, warum Prinzeß Thekla ihr zweites Töchterchen nach Neuhaus brachte!

„Verloren!“ flüsterte sie, „verloren für immer! – Aber kann man denn etwas verlieren, was man nie besessen?“

Sie war nicht ärmer als bisher, und doch – seit gestern, seit diesem bunten schrecklichen Gestern hatte sich riesengroß eine Hoffnung in ihr Herz gedrängt; sie hatte wider Willen an seinen nächtlichen Ritt tausend süße thörichte Gedanken geknüpft. Hoffen und Bangen hatte sie bewegt bis zum grauen Morgen. Als sie dann nach einem kurzen Schlummer erwachte, stand wieder sein Bild vor ihr, wie sie es gestern Abend gesehen in dem dämmernden Lichtschein ihres Fensters.

Welche Thorheit! Er war nicht gekommen, um mit liebendem Auge ihren Schatten zu erspähen; er hatte kontrolliren wollen, ob sie daheim sei, wie es ehrbaren Mädchen ziemt! O, er war sehr besorgt um die Ehre seines Namens!

Sie preßte die Hände vor die Augen, so fest, daß sie Feuerfunken zu sehen vermeinte; aber mitten darinnen gaukelte eine zierliche Mädchengestalt. Sie ließ die Arme wieder sinken – und schaute durchs Fenster. War sie überhaupt noch bei Sinnen? Durch die rothen Flecke, die noch vor ihren Augen tanzten, leuchtete von jenseit des Gitters die Purpurlivree des herzoglichen Dieners, und nun stürzte Fräulein Lindenmeyer bereits ins Zimmer:

„Claudinchen! Fräulein Claudine, die Hoheiten!“

Mit schwankendem Schritt trat Claudine vor den Spiegel, setzte das weiße Strohhütchen auf, ließ sich von Fräulein Lindenmeyer den blaugefütterten Sonnenschirm in die Hand drücken und ging hinunter. Sie sah kaum, daß auf dem hohen Bock des sehr niedlichen zweisitzigen Wagens der Herzog in eigenster Person die Zügel hielt. Mechanisch beugte sie sich auf die Hand der Herzogin, deren zartes Gesicht vor Wonne über diese Spazierfahrt leuchtete.

„O, danke, danke, meine beste Claudine, es geht mir vortrefflich!“ sagte sie mit ihrer matten belegten Stimme, „wie soll es auch anders sein? Dieses himmlische Wetter, dieser Tannenduft, der Herzog als Wagenlenker und – Sie mir zur Seite! Sagen Sie selbst, meine Beste!“

Man war stundenlang in den Wäldern umhergefahren; vor einer einsamen Mühle am rauschenden Bach wurde Halt gemacht und die Herzogin hatte von der jungen, ganz bestürzten Müllersfrau ein Glas kühler Milch erbeten, während der Herzog dem Diener die Zügel zuwarf und plaudernd am Wagenschlag lehnte. Den ehrerbietig herzu geeilten Müller hatte er huldvoll nach dem Gange des Geschäftes gefragt und ihn geheißen, der Frau Herzogin die drei Buben vorzustellen, die mit den kleinen Prinzen just in einem Alter standen, und die fürstliche Frau hatte die blonden sonnverbrannten Kinder gefragt, was sie werden wollten, und auf die Antwort: „Soldaten!“ jedem für die Sparkasse einen blanken Thaler mit dem Bilde des Herzogs geschenkt. Dann war man weiter gefahren, heimwärts; denn die Abendsonne begann schon durch das Tannengezweig zu leuchten.

Die Herzogin that noch immer tausend Fragen; gewaltsam mußte Claudine ihre wild davon flatternden Gedanken zusammennehmen.

„Neuhaus hat Gäste,“ sagte jetzt die fürstliche Frau; „dort weht die Standarte unseres Hauses.“

„Ihre Durchlaucht Prinzeß Thekla,“ bestätigte Claudine mit matter Stimme.

„Und Helene?“

„Prinzeß Helene wird ebenfalls erwartet, Hoheit.“

„Adieu, du schöne Einsamkeit!“ seufzte die Herzogin.

Die Equipage näherte sich rasch der niedrigen Mauer des Neuhäuser Parkes; ihr entgegen rollten in scharfem Trabe zwei Landauer, die Kutscher und Diener in großer Livree. Man mußte sich unmittelbar an der Einfahrt begegnen, und in der That, der Herzog senkte grüßend die Peitsche, und die Herzogin winkte freundlich mit der Hand zu dem Wagen hinüber, in dessen braunseidenem Fond zwei Damen saßen, gegenüber Baron Lothar. Claudine sah, wie die junge Prinzessin, im koketten Reisemantel aus hellgrauer glänzender Seide mit blaugefütterten weiten Aermeln, unter dem zierlichen Strohhütchen hervor einen spöttisch verwunderten Blick zu ihr hinüber warf; wie Prinzeß Thekla die Lorgnette bei der Verneigung, die sie der regierenden Herzogin halb widerwillig angedeihen ließ, kalten Auges auf sie richtete und wie Lothar sie kaum zu beachten schien. Nach ein paar Sekunden war man an einander vorüber.

„Dort tritt die künftige Herrin in das Neuhäuser Schloß,“ sagte der Herzog, indem er sich wandte auf dem hohen Sitz, und seine blitzenden Augen streiften das bleiche Mädchengesicht.

„Du meinst wirklich, Adalbert? Welch Glück für die kleine Verwaiste!“

Er antwortete nicht. Claudine preßte die Hände um den Griff ihres Sonnenschirmchens; sie zwang sich gewaltsam, ihre tiefe Bewegung nicht zu verrathen. Ahnte der Herzog, wer es war, den sie im Herzen trug? – Sie konnte nicht hindern, daß eine heiße Röthe sich über ihr Antlitz ergoß, und jetzt begegnete sie abermals dem forschenden Auge des Herzogs.

„Sie ist ein verwöhntes kleines Geschöpf,“ sagte die Herzogin, die jetzt wie träumerisch in dem Polster des Wagens lehnte; „möchte sie Glück bereiten und finden! Unter uns, liebste Claudine, ich glaube, Gerolds Neigung wird von ihr erwidert und von Prinzessin Thekla begünstigt.“

„Ich glaube es auch, Hoheit,“ bestätigte Claudine und erschrak fast über ihre harte Stimme. Es war mit einem Male seltsam kalt und still in ihr geworden.

In Neuhaus waren indessen die fürstlichen Gäste heimisch geworden. Prinzeß Helene hatte das Kind ihrer Schwester, das Frau von Berg den Damen im weißen, überreich mit Spitzen garnirten Kleidchen entgegen trug, geküßt und dann sofort das Terrain sondirt. Sie war treppauf und -ab gegangen, hatte Thüren geöffnet, in die Zimmer gesehen und gefragt, wo denn ihr Schwager sein Domicil habe, um stehenden Fußes auch in dessen Räume einzudringen, die mit ihren Jagdtrophäen und Waffen, mit Bilderschmuck, mit antiken Möbeln und persischen Teppichen das Muster einer eleganten Garçonwohnung boten, und hatte dort, neugierig wie ein Kind, mit ihren schwarzen Beerenaugen alles gemustert. Sie war im Garten gewesen und wieder in das Herrenhaus gekommen und hatte da plötzlich vor einer Thür gestanden, die mit großer energischer Schrift die Worte: „Verbotener Eingang!“ zeigte. Sofort hatte Ihre Durchlaucht den Drücker gebogen, und ihr dunkles Köpfchen lugte neugierig in das altväterische Wohnzimmer. Wie das gemüthlich aussah! Wie traulich das Abendroth die altersbraunen Möbel überhauchte! Und wunderbar – dort am offenen Fenster saß ein schlanker Mann und las; sein feines Profil hob sich scharf ab gegen das dunkle Grün der Bäume hinter den Scheiben. Er war so tief in den alten Lederband versunken, daß er garnicht bemerkte, wie er beobachtet wurde.

Leise machte die kleine Prinzeß die Thür wieder zu und flog die breite eichene Treppe hinauf. Oben warf sie sich in einen Lehnstuhl und wollte sich todtlachen über das erschreckte Gesicht der Frau von Berg, die da eifrig schrieb auf ihrem gewöhnlichen Platz.

„Was haben Sie uns denn eigentlich immer berichtet von diesem Neuhaus, liebste Berg?“ fragte sie und setzte ihre kleinen Füße energisch auf ein Kissen. „Da war in Ihren Briefen an Mama von weiter nichts die Rede, als von ‚durchaus nicht comme il faut‘, von ‚spießbürgerlichen Gewohnheiten‘ et cetera. Ich finde es reizend, überaus reizend hier; ich werde nicht einen Augenblick die Langeweile verspüren, die man immer zwischen Ihren Zeilen lesen mußte. Und was wollen Sie denn von der Schwester des Barons? Sie ist eine originelle

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_183.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)