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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

über dem alten Buche da verspätet; verzeihen Sie, Kousine, ich räume sofort das Feld.“

„Jetzt nicht!“ erklärte sie, noch immer lachend; „denn Lothar wird Sie auch sehen wollen; ihm gilt ja wohl Ihr Besuch?“ Und sie drückte ihn sanft auf den Sessel zurück und suchte ihren Bruder.

Er stand in seinem Zimmer am Fenster und starrte auf die Landstraße hinaus.

„Lothar,“ bat sie, „komm herüber! Joachim sitzt noch immer dort und hat Zeit und Weile vergessen über dem alten Reisetagebuch aus Spanien – weißt Du, das vom Großvater, in dem weißen Lederband.“

„Wie kam er denn eigentlich hierher, der Joachim nämlich?“ fragte Lothar und nahm eine Cigarrentasche nebst Aschenbecher von dem eleganten Rauchtischchen.

„Ich fand ihn hier vor, als ich vom Eulenhause zurückkam, und da ich noch allerlei zu besorgen hatte, wie Du Dir denken kannst, das mich hinderte, ihm Gesellschaft zu leisten, ihn auch nicht unausgeruht heimschicken durfte, so fiel mir das Buch ein. Du siehst, er hat sich trefflich damit unterhalten.“

Er blickte sie lächelnd an, indem er neben ihr durch die erleuchtete Halle schritt und in den Korridor einbog.

„Sage einmal, Beate,“ fragte er, „hast Du die Warnung an die Thür dort geschrieben, als er schon drinnen saß, oder vorher?“

„Natürlich vorher,“ erwiderte sie unbefangen, und dann ward sie roth. „Ich verstehe Dich nicht!“ fügte sie ärgerlich hinzu.

„Nun, weißt Du, Schwester,“ sagte er mit einem Anflug von Schelmerei, der sein vornehmes Gesicht wunderbar gut kleidete, „verbotener Eintritt! schreibt man mitunter an Thüren, die etwas verschließen, das man am liebsten ganz allein für sich behalten will.“

„O Du abscheulicher Mensch,“ schmollte Beate verlegen und wischte eilig mit der Hand über die Kreideschrift. Und dann saßen sie alle drei in der Wohnstube beim Glase Wein und Joachim erzählte, an das Buch anknüpfend, von seinen Reiseerlebnissen. Er sprach wunderbar gut. „Wie Musik“ dachte Beate, die auf der Estrade hockte und alles vergaß; vergaß, daß die Wachskerzen auf dem Kronleuchter im Eßsaal unnütz verbrannten, vergaß, die Reste der Tafel in die Speisekammer zu verschließen und das Dejeuner für morgen anzuordnen. Der Schlüsselbund an ihrem Gürtel verhielt sich ganz still; nicht das leiseste Klirren mahnte sie an ihre Hausfrauenpflichten. Vor den Fenstern flüsterten die Linden im Abendwind und der Duft vom frisch gemähten Gras zog in das Gemach.

Es war spät, als Lothar seinen Vetter durch den Wald fuhr nach dem Eulenhause. Auf dem Rückwege kam ihm das Koupé der Herzogin entgegen. Er wußte, wen es trug; in rasendem Tempo jagte er an dem Gefährt vorüber. Als er vor der Neuhäuser Rampe hielt, klirrte über ihm ein Fenster zu, und in dem stillen Zimmer dort oben barg sich ein leidenschaftliches junges Gesicht wieder in die Kissen.

Prinzessin Helene hatte ihn fortfahren sehen – dort hinaus, wo das Eulenhaus lag. Gottlob, jetzt war er daheim!




Im Eulenhause war eine Veränderung eingetreten: Fräulein Lindenmeyer hatte Besuch.

Es war erst ein mächtiges Hin- und Herschreiben gewesen, und dann war am Morgen nach dem Tage, als Claudine mit der Herzogin spazieren fuhr, Fräulein Lindenmeyer mit rothem verlegenen Gesicht in die Stube Claudinens getreten, einen offenen Brief in der Hand.

„Ach, Fräulein Claudinchen, gnädiges Fräulein, ich hätte so eine rechte Herzensbitte.“

„Nun, meine liebe gute Lindenmeyer, dann ist sie bereits gewährt,“ hatte Claudine erwidert, indem sie Thee aufgoß für Joachims Frühstück.

„Aber Sie müssen es ehrlich sagen, gnädiges Fräulein, wenn’s nicht paßt; ich werde alles thun, damit keinerlei Störung zu bemerken ist, aber –“

„Nur heraus damit, Lindenmeyerchen,“ hatte das schöne Mädchen freundlich ermuthigt; „ich wüßte nicht, was ich Ihnen abschlagen könnte, es sei denn, daß Sie das Eulenhaus verlassen wollten – und das würde ich nicht zugeben.“

„Ich von hier? O gnädiges Fräulein, das würde ich ja nicht überleben! – Ach nein, das ist’s nicht – ich erwarte – ich soll – ich bekomme Besuch, wenn’s die Herrschaft erlauben will.“

„Ei, wen denn, meine liebe Lindenmeyer?“

„Frau Försters Zweite, die Ida; sie soll so ein bischen Schick bekommen und feine Handarbeit lernen. Da hat sich nun die Försterin in den Kopf gesetzt, daß sie das bei mir altem Wurm am schönsten kapiren würde. Ich thue es ja auch sehr gern, wenn Sie es erlauben; sie könnte in dem Kämmerchen wohnen hinter meiner Stube, wenn –“

Die alte gute Seele hatte die Hände über ihren Brief gefaltet und ihre Augen sahen mit gespannter Erwartung zu der jungen Herrin hinüber.

„Na, das wird ja sehr hübsch für Sie,“ lautete die freundliche Antwort, „lassen Sie das junge Mädchen nur bald kommen; sie mag hier bleiben, so lange es ihr gefällt.“

Und so stand anderen Tages, als Claudine in die Küche trat, um ihren Hausfrauenpflichten zu genügen, eine kleine runde Mädchengestalt am prasselnden Herdfeuer und wirthschaftete dort mit Tassen und Theekessel umher, als ob es gar nie anders gewesen wäre. Ein Paar schelmische blaue Augen sahen über das Stumpfnäschen hinweg zu Claudine hinüber, und die Besitzerin dieser Augen machte einen etwas unbeholfenen Knix, als sie die schöne schlanke Gestalt über die Schwelle treten sah.

„Aber, liebes Kind!“ sprach Claudine verwundert.

„Ach, gnädiges Fräulein, lassen Sie mich das thun!“ bat das Mädchen zutraulich. „Den ganzen Tag kann ich nicht bei Tante Doris in der Stube sitzen und sticken; ich käme um dabei, wenn ich nicht ein bischen Wirthschaft hätte. Bitte recht sehr, lassen Sie mich!“

„Aber das darf ich nicht annehmen, liebe Ida – so heißen Sie ja wohl? – gewiß nicht; ich verwöhne mich nur dadurch.“

„Ich möchte so gern etwas lernen,“ sagte das Mädchen und schlug die schelmischen Augen nieder.

Claudine lächelte. „Bei mir? O, da sind Sie schlimm angekommen – ich bin selbst noch Lernende.“

„Gnädiges Fräulein, dann will ich nur die Wahrheit sagen – ich kann schon etwas in der Wirthschaft, aber in so manchen andern Dingen fehlt mir’s; ich möchte gern eine Stelle als Kammerjungfer in S. annehmen, und da dachte ich, ich könnte hier so ein wenig wegbekommen, wie man seine Dame zu behandeln hat beim Ankleiden, und so weiter. Lassen Sie mich das bischen Wirthschaft hier thun und sich dafür meine ungeschickte Hilfe gefallen beim Nähen, Toilettenmachen und Schneidern.“

Die Blicke des Mädchens hingen so freudig erwartungsvoll an Claudinens Augen und sie selbst fühlte sich so müde und traurig; aber sie antwortete nicht und ging zu Fräulein Lindenmeyer.

„Gestehe es nur, Lindenmeyerchen,“ sagte sie, sich zum Scherz zwingend und das alte Fräulein duzend, wie in ihrer Kinderzeit; „Du hast Dir Besuch eingeladen, um die Last der Wirthschaft von meinen Schultern zu nehmen?“ Dabei flimmerten ihre Augen feucht.

„Ach, Herzenskindchen,“ jammerte das gutmüthige Geschöpf; „so hat’s die Ida doch dumm angefangen und wir hatten es uns so fein ausgedacht! Seien Sie nicht böse! Ich kann’s nicht mit ansehen, wie Sie des Morgens mit verwachten Augen herunter kommen und so blaß sind, so blaß! Es ist so ein altes Sprichwort: ‚Rosenbeet und Ackerland, gedeihen nie in einer Hand.‘ Wenn Sie frisch sein wollen bei Hofe, dann müssen Sie auch Ihr Recht haben; sonst ist’s bald vorbei mit Ihrem weißen klaren Teint. Heinemann sagt’s auch; er hat sich mit mir um die Wette geängstigt Ihretwegen. Und, Fräulein Claudine, die Ida hat ihren regelrechten Profit dabei. Sie könnte durch ihre Tante die Stelle bei der Gräfin Keller als Kammerfrau bekommen; aber so weg von der Waldwiese geht’s doch nicht. Wahrhaftig, es ist so!“ betheuerte die alte Seele.

Und so hatte Claudine plötzlich eine Hilfe bekommen, so sehr sie sich auch sträubte und wehrte. Es war eine ordentliche Behaglichkeit in das Haus eingekehrt durch dieses frische unscheinbare

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_187.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)