Seite:Die Gartenlaube (1888) 209.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Trauertage und des großen Kaisers Leichenbegängniß.
Von Hermann Heiberg.

Ganz Berlin hatte sich in ein Trauerhaus verwandelt. Kein Gebäude im Osten, Süden Westen und Norden der Kaiserstadt, das nicht durch ein stummes Zeichen an dem ungeheuren Schmerze sich betheiligte, der das Volk ergriffen hatte. Hing keine Fahne auf das Dach herab, waren die Etagen nicht umflort, in den Schaufenstern die Büsten des großen Todten nicht umhüllt von düsteren Stoffen, so sah man doch Männer, Frauen und Kinder, in dunkle Gewänder gekleidet, ein- und ausgehen. Jedes Haus machte dadurch den Eindruck, als sei hier, gerade hier, ein theurer Todter zur Ruhe gegangen. Wohin das Auge

Leichenbegängniß Kaiser Wilhelms: Die Spitze des Trauerzuges.
Originalzeichnung von F. Wittig.

blickte, der Ausdruck eines tiefen, nachhaltenden Schmerzes. Mit den äußeren Bildern deckten sich die Empfindungen. Jedem war zu Muthe, als sei aus seiner Familie jemand dahingegangen, als ob ihn persönlich ein ungeheurer Verlust betroffen habe. Denn man trauerte nicht allein um den ersten Kaiser des neugeeinten Deutschen Reiches, nicht allein um den Sieger, der sich einen Ruhm sondergleichen erworben, sondern auch um den Mann, der sich durch seltene Pflichttreue auszeichnete und in dem sich alle Tugenden eines Fürsten und Menschen vereinigten. Und welche Masken auch sonst die Menschheit vorsteckt, in dieser grandiosen Trauer der Stadt Berlin war kein Falsch. Sie war so echt wie die Thränen eines unschuldigen Kindes. Greise und Unmündige weinten und schluchzten beim Bekanntwerden des Geschehenen.

An jenem Tage der Todesnachricht trat der Direktor einer öffentlichen Lehranstalt in den Kreis der Schüler und sagte mit zitternder Sprache: „Unser Kaiser ist gestorben , liebe Kinder! Geht still nach Hause.“ Er wandte sich ab, seine Stimme erstickte, und unter den Knaben war keiner, der sich nicht das Naß aus den Augen wischte.

Wohin man in dieser Trauerwoche den Weg nahm, stieß man in Berlin auf die Ausdrücke des Schmerzes. Und in diesen Schmerz mischte sich noch – eine Tragik ohnegleichen. Da wir Menschen sind, hat Recht auf Würdigung, was in dem Innern einer menschlichen Seele sich regt. Wir trauern doppelt!

„Obschon mit Wunden tief geschlagen,
Heißt’s nun fast größ’res Leid noch tragen!“

Im Charlottenburger Schloß stand des großen Kaisers Sohn am ersten Tage nach seiner Ankunft, stand der deutsche Kaiser Friedrich früh morgens und blickte hinaus auf den todten Schloßhof und auf die kahle Chaussee! Nicht unter den Linden inmitten der Stadt, umjubelt von seinem Volke. Kein Palais, umgeben von Tausenden; keine Wallfahrt zu dem Erben des Thrones! Kein mächtigeres Aufzucken in den Seelen, nun, da sie ihn vor sich sahen in seiner herrlichen, kraftvollen Erscheinung! Der große Kaiser Wilhelm todt, der edle Kaiser Friedrich am Leben, aber von tückischer Krankheit erfaßt! Das ist für ein Volk Tragik, namenlose Tragik!

Und dann kam der 16. März, an welchem dem verstorbnen Monarchen die letzte Ehre erwiesen wurde. Von diesem erhebenden Trauerakte werden noch die kommenden Geschlechter sprechen. Es übte durch die Theilnahme der Bevölkerung einen Eindruck ohne Gleichen!

Die Linden waren eine Trauer- – eine Todesstraße geworden. Wer in den vorangehenden Tagen das Aufbauen beobachten konnte, den mußte Bewunderung erfüllen! Wie durch Zauber entstand das Alles , wuchs alles gleichsam aus dem Boden: Postamente, Pyramiden, Pavillons, Säulen, Masten, Baldachine, Zelte, Nischen, Stangen, Embleme, Velarien, Fahnen,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_209.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)