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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Das Eulenhaus.
Hinterlassener Roman von E. Marlitt. Vollendet von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Claudine war mit dem jungen Erbprinzen dem letzten Theile des weiten Parkes zugeschritten. Sie war innerlich froh, fortzukommen aus dem Bereiche von Lothars Augen, die ihr wehthaten. Die absichtliche Kränkung der kleinen Prinzeß hatte sie kaum verletzt; es erschien ihr so überaus kindisch, daß sie sich nicht die Mühe nahm, weiter darüber nachzudenken. Es hatten ja stets kleine Plänkeleien von jener Seite gegen ihre Person stattgefunden; sie datirten von Bällen und anderen Hoffestlichkeiten her, wo ihre Erscheinung zuweilen – wider ihren Willen – die Prinzessin etwas verdunkelt hatte. Warum die Prinzessin es aber heute, sogar unter den Augen des Herzogs und der Herzogin, wagte, ihre Abneigung in so herausfordernder Weise zu zeigen, begriff sie allerdings nicht. Die kleine Durchlaucht mußte sehr schlechter Laune gewesen sein, oder – sollte sie mit dem hellsehenden, ahnenden Geist der Liebe Claudinens Gefühle für den Mann, den sie begehrte, erkannt haben? Aber doch nicht! Die Prinzessin war ja ihrer Sache sicher, so sicher, daß sie sogar Beatens Wirthschaftsschürze lieh und ein wenig Hausfrau spielte im künftigen Heim.

Und auch Lothar mußte dieses wetterwendischen koketten kleinen Herzens gewiß sein; sonst würde er sich kaum erlaubt haben, sie in so ironischer Weise auf die Unart aufmerksam zu machen, die sie beging.

Claudine runzelte plötzlich die Stirn und biß sich auf die Lippen. Was ging ihn das an, wenn ihr wehgeschah? Er würde es sicher kaum bemerkt haben, wenn sie nicht den Namen „Gerold“ trug. – Immer dieser wahnsinnige Familienstolz! Sie wußte doch wahrlich selbst, wie weit man ihr gegenüber gehen dürfe, sie wußte sich allein zu vertheidigen, sie wollte keine Bevormundung, kein Mitleid, am allerwenigsten von ihm!

Sie war mit ihrem jugendlichen Begleiter in den einsamsten Partien des Parkes angelangt, wo schon zu ihrer Kinderzeit die Büsche und Bäume wuchsen und wachsen durften, wie sie wollten. Es war eine feuchte, moosdurchduftete Wildniß, von einem kleinen Bach durchrieselt, an dem die Farrenkräuter in üppigster Pracht ihre grünen Wedel entfalteten. Unter der kleinen Brücke, aus Birkenstämmchen gezimmert, gluckste und schluchzte das Wasser noch eben so eigenthümlich wie damals, als sie, ein Kind, hier umhergestreift. Dort war das halbzerfallene Mooshüttchen, das bei ihren Spielen bald als Gefängniß, bald als Ritterburg diente; wie oft hatte sie darinnen gesessen als gefangenes Burgfräulein! Ein wehmüthiges Gefühl beschlich sie, als sie dem Prinzen davon erzählte und ihm alles zeigte. Da war auch der

Nach langem, bangem Winterschweigen:
Willkommen, heller Frühlingsklang!

Nach dem Oelgemälde von W. Menzler.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_221.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)