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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

ermächtige, seiner Regierung mitzutheilen, daß, „wenn der Prinz von Hohenzollern auf sein Vorhaben zurückkäme, Se. Majestät seine Autorität gebrauchen würde, um es zu hindern.“ Der König verweigerte dies nach Benedettis Bericht unbedingt und brach die Unterredung mit der Erklärung ab, „daß er eine solche Verbindlichkeit nicht übernehmen könne, noch wolle und daß er für einen solchen Fall, wie für jeden anderen, sich die Erwägung der Umstände vorbehalten müsse.“ Als trotzdem Benedetti an diesem Tage zum dritten Male eine Audienz verlangte, ließ der König ihm durch seinen Flügeladjutanten Fürsten Radziwill sagen, er müsse es entschieden ablehnen, in betreff der gewünschten Bürgschaften für die Zukunft sich in weitere Erörterungen einzulassen, was er am Morgen gesagt, sei in dieser Sache sein letztes Wort. Nichtsdestoweniger versuchte Benedetti den König bei dessen Abfahrt nach Koblenz am 14. Juli Nachmittags auf dem Bahnhofe nochmals zu sprechen. König Wilhelm beschränkte sich jedoch darauf, dem französischen Botschafter zu sagen, „daß er ihm nichts mehr mitzutheilen habe und daß die etwa weiter erforderlichen Verhandlungen durch seine Regierung geführt werden würden.“

König Wilhelms Begegnung mit Kaiser Napoleon nach der Schlacht bei Sedan.
Originalzeichnung von H. Lüders.

Dies waren die Vorgänge, welche Frankreich zur Kriegserklärung veranlaßten, bezeichnender Weise dem einzigen offiziellen Aktenstück, welches der preußischen Regierung im Verlaufe dieser ganzen Angelegenheit zugestellt worden.

Als eine amtliche telegraphische Meldung die dem greisen Oberhaupt des Norddeutschen Bundes in Ems widerfahrene Behandlung in Deutschland bekannt machte, lähmte im ersten Augenblick ein Gefühl des Staunens über diese unerhörte französische Herausforderung aller Herzen:

„Unser Königsaar
Mit dem schneeigen Haar
Sollt’ vor gallischen Krähen sich neigen?!
Zum Verkünder der Schmach
keinen Laut er sprach –
Doch es wirkte wie Donner sein Schweigen.“

Dann aber löste sich der Bann, und es brauste von den Alpen bis zum Nordmeer ein Sturm patriotischer Entrüstung durch das gesammte Volk, von einer solchen Plötzlichkeit, elementaren Gewalt und hinreißenden Wirkung, wie er niemals vorher – selbst in den Befreiungskriegen nicht – deutsche Gemüther durchzittert hat und in dieser Weise vielleicht in Jahrhunderten sich nicht wiederholen dürfte.

„Nun so züngelt hervor!
Nun so lodert empor
Ohne Fesseln gen Himmel, ihr Flammen!
Unser Volk, das entzweit,
Wird durch Leiden gefeit,
Schmilzt in heiliger Lohe zusammen.“

In begeisterten Huldigungen machte sich bei der Rückreise des geliebten Monarchen von Ems nach Berlin am 15. Juli die fieberhafte Spannung des Volkes an allen Orten Luft, welche der königliche Zug durcheilte. In die Hauptstadt fuhr der ehrwürdige Fürst, den man hatte demüthigen wollen, Abends wie ein Sieger ein. In derselben Nacht noch waren der Kronprinz und des Königs Paladine, Bismarck, Moltke, Roon zum Kriegsrath im kaiserlichen Palais versammelt. Die Mobilmachung der gesammten Armee wurde angeordnet und der Reichstag auf den 19. Juli einberufen.

Ein bedeutsames Zusammentreffen in dem an wunderbaren Schicksalsfügungen so reichen Leben des Königs ist es, daß dieser Tag, an welchem auch die französische Kriegserklärung übergeben wurde, zugleich der sechzigste Todestag der Königin Luise war, für deren einstiges Leid nunmehr der greise Sohn in dem bevorstehenden Kriege die letzte vollständigste Sühne fordern und ganz im Sinne der deutschdenkenden Fürstin nicht nur durch Niederwerfung des Erben jenes ersten Napoleon, sondern durch Erneuerung des deutschen Reichs finden sollte!

In Andacht weilte König Wilhelm Morgens am Grabe seiner Eltern, ließ durch Erlaß vom gleichen Tage, „in dankbarer Erinnerung an die Heldenthaten unserer Vorfahren“, das „von seinem in Gott ruhenden Vater gestiftete Ordenszeichen des Eisernen Kreuzes in seiner ganzen Bedeutung wieder aufleben“ und eröffnete sodann den Reichstag. Die vom Gefühl der gerechten Sache getragene Thronrede wurde Satz für Satz mit so stürmischer Begeisterung aufgenommen, daß der Herrscher dieselbe nur mit tiefer Bewegung zu Ende lesen konnte. Welch ein Inhalt aber auch und in welcher Stunde!

„Hat Deutschland derartige Vergewaltigungen seines Rechts und seiner Ehre in früheren Jahrhunderten schweigend ertragen, so ertrug es sie nur, weil es in seiner Zerrissenheit nicht wußte, wie stark es war. Heute, wo das Band geistiger und rechtlicher Einigung, welches die Befreiungskriege zu knüpfen begonnen, die deutschen Stämme je länger, desto inniger verbindet, heute, wo Deutschlands Rüstung dem Feinde keine Oeffnung mehr bietet, trägt Deutschland in sich selbst den Willen und die Kraft der Abwehr erneueter französischer Gewaltthat.“

Welch ein erhebender Vergleich der Zeit von 1870 gegen die Tage der Jugend des Königs, wo der Kampf gegen Frankreich nur mit ausländischer Hilfe möglich war, liegt in diesen kernhaften Worten! Und zum Schluß der vertrauende Blick in die Zukunft:

„Wir werden nach dem Beispiel unserer Väter für unsere Freiheit und für unser Recht gegen die Gewaltthat fremder Eroberer kämpfen und in diesem Kampfe, in dem wir kein anderes Ziel verfolgen als den Frieden Europas zu sichern, wird Gott mit uns sein, wie er mit unsern Vätern war.“

Die thörichte Rechnung Napoleons und seiner gewissenlosen Berather auf die süddeutschen Höfe und die unzufriedenen partikularistischen Elemente im Volke wurde schon in den ersten Tagen durch die opfermuthigen und begeisterten Kundgebungen aus München, Stuttgart, Karlsruhe, aus allen Staaten, Stämmen und Parteien Deutschlands zu Schanden:

„Sie wähnten, es schliefen die Hüter dein,
und wollten mit Lug dich umnachten,
Aber Norden und Süden hielt Wacht am Rhein
Und stürmte ins Wetter der Schlachten.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_230.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2018)