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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Ein bitteres Lächeln flog über das bleiche abgezehrte Gesicht der Kranken.

„Du hast mich belogen mit jedem Blick!“ sagte sie entsetzlich klar und kalt, „denn Du liebst meinen Gatten.“

Ein wahrer Aufschrei unterbrach sie, und schwer lag Claudinens Kopf auf der rothen Seidendecke des Krankenbettes. Was sie gefürchtet, was sie bis zur Gewißheit gefühlt – das sagte ihr jetzt der Mund der Frau, die sie so treu, so innig liebte.

„Ich mache Dir ja keinen Vorwurf, Claudine – ich will nur, daß Du mir versprichst, nach meinem Tode –“

„Barmherziger Gott!“ stöhnte das Mädchen und richtete sich wild empor. „Wer hat dieses entsetzliche Mißtrauen in Dir geweckt?“

„Mißtrauen? Wenn Du noch fragtest: wer öffnete Dir die Augen, um die entsetzliche Wahrheit zu erkennen? Und er – liebt Dich – er liebt Dich!“ flüsterte die Herzogin weiter. „Ach Gott, es ist ja so natürlich!“

„Nein! Nein!“ rief Claudine außer sich und rang die Hände.

„Ach – schweige doch,“ bat die Kranke müde; „oder laß uns ruhig sprechen; ich habe noch so viel zu sagen.“

Claudine war aufgestanden, ihr schwindelte. Was sollte sie thun, um zu beweisen, daß sie unschuldig sei?

Auf den Wangen der Kranken schimmerte es wieder so roth, sie athmete so schwer.

„Elisabeth, nur dieses eine Mal noch glaube mir, vertraue wir,“ flehte das Mädchen.

Die Kranke richtete sich plötzlich auf.

„Kannst Du schwören,“ fragte sie ruhig, „kannst Du schwören, daß nie zwischen Dir und dem Herzog von Liebe die Rede war? – Schwöre es, schwöre es bei dem Andenken an Deine Mutter , und wenn Du das kannst im Angesicht meines letzten Lagers – so will ich Dir glauben, daß meine eigenen Augen falsch gesehen haben!“

Claudine stand wie leblos. Ihre Lippen bewegten sich zum Sprechen, aber es kam kein Ton heraus, und plötzlich neigte sie den Kopf wie vernichtet.

Die Herzogin sank in die Kissen zurück. „Den Muth hast Du doch nicht!“ murmelte sie.

„Elisabeth,“ rief Claudine jetzt, „glaube mir! Glaube mir! Mein Gott, was soll ich nur thun, daß Du mir noch einmal glaubst! Ich wiederhole es Dir, Du bist im Irrthum –“

„Sei still,“ sagte die Herzogin mit verächtlichem Lächeln.

Seine Hoheit war eingetreten. „Wie geht es Dir, Liesel?“ fragte er herzlich und beugte sich über sie, indem er ihr das feuchte Haar aus der Stirn zu streichen versuchte.

„Fasse mich nicht an!“ stieß sie hervor und ihre Augen wurden angstvoll groß. „Es ist ja bald vorbei,“ flüsterte sie dann.

Claudine lehnte fassungslos an der Thür; der Herzog trat zu ihr und fragte leise und besorgt. „Phantasirt Ihre Hoheit?“

Claudine, der Verzweiflung die Brust zu zersprengen drohte, preßte den schluchzenden Schrei, der sich ihr entringen wollte, mit dem Tuch zurück und wankte in das Nebenzimmer.

Er folgte ihr ängstlich. „Was ist geschehen?“

Die Augen der Kranken richteten sich auf die Thür, durch welche jene beiden verschwunden waren. Der ganze furchtbare, gewaltsam zurückgedrängte Schmerz durchrüttelte sie und verwirrte ihre armen Gedanken. Sie lag mit geballten Fäusten und glühenden Augen. Wie, nicht einmal der Sterbenden wollte sie bekennen? Und sie hatte es so gut gemeint – sie wollte in ihrem letzten Willen bestimmen, daß sie sich angehören sollten, die beiden, für das Leben. Das sollte die Rache sein für ihr gebrochenes Glück. Und sie, sie – welch ein Abgrund von Schlechtigkeit wußte dieses Geschöpf in sich bergen, das auch jetzt noch den Himmel anrief als Zeugen seiner Unschuld!

Eine wahnsinnige, erstickende Angst legte sich auf ihre schmerzende Brust. Ihr Gemahl kam eben wieder herein; er trat an das Fußende des Bettes und blickte sie seltsam forschend an. Claudine, die sich gewaltsam gefaßt hatte, trug ein Glas in der Hand. „Trinke, Elisabeth,“ bat sie, während sie sich niederbeugte und ihren Arm unter den Kopf der Kranken schob. „Trinke, Dir ist so heiß – es sind die Tropfen, die Dir immer so gut bekommen.“

Bewegungslos lag die Herzogin mit fest zusammengepreßten Lippen. Ihre großen Augen hingen mit unheimlicher Starrheit an dem blassen Gesicht des Mädchens und wanderten dann zu ihrem Gatten hinüber. Das Glas in Claudinens Hand begann zu zittern. „O, trinke doch!“ bat sie mit versagender Stimme.

Dann ein schriller Aufschrei, und das Glas ward aus Claudinens Hand geschleudert.

„Gift!“ schrie die Herzogin gellend und saß im Bette hoch mit dem Ausdruck einer Wahnwitzigen, die Hände verzweiflungsvoll ausgestreckt. „Gift! Hilfe! – Geht es Euch denn noch nicht schnell genug?“

Dann sank sie erschöpft zurück und ein erneuter Blutstrahl überschwemmte das weiße Gewand und das Bett.

Claudine, die in die Kniee gesunken war, sprang empor; auch sie sah aus wie eine Irrsinnige. Mit übermenschlicher Kraft nahm sie sich zusammen, ging zur Glocke und half dann die Kranke emporrichten und an die Brust des Herzogs lehnen, in dessen bleichem Gesicht eine tiefe Erschütterung sich ausprägte.

„Liesel,“ murmelte er, „aber Liesel – großer Gott! –“

Sie lag mit geschlossenen Augen wie eine Sterbende.

Und nun ward es lebendig im Zimmer. Mit besorgter Miene stand der alte Medizinalrath vor der Patientin; dann sah er nach der Uhr, fühlte den matten Pulsschlag und schüttelte den Kopf. „Um neun Uhr kann er hier sein, Hoheit,“ flüsterte er der weinenden Herzogin-Mutter zu, „doch – bis dahin – nur Ruhe jetzt, Ruhe, keine Angst zeigen. Es ist am besten, Hoheit bleiben in der gewohnten Umgebung; ich werde mich einstweilen im Nebenzimmer aufhalten.“

„Claudine!“ flüsterte die Kranke, „Claudine!“

Die Herzogin-Mutter sah sich um nach der Gerufenen; sie war verschwunden. In ihrer Angst ging die alte Dame auf den Korridor hinaus und fragte nach dem Zimmer des Fräulein von Gerold. Aber die Thür war verschlossen und innen regte sich nichts.

Claudine war zusammengebrochen in ihrer Stube; einen klaren Gedanken hatte sie nicht mehr. – Dahin war es gekommen, dahin?! Die Welt hielt sie für eine Gesunkene, für die Geliebte des Herzogs – sein eigenes Weib starb in diesem Wahne!

O, diese törichte Vermessenheit ihres wahnsinnigen Stolzes! Und wenn sie die Sterne vom Himmel herunter holen könnte als Zeugen ihrer Reinheit – niemand würde ihr glauben, niemand, die Sterbende nicht und die Lebenden nicht, und jener eine nicht, den sie zurückstieß, als er sie warnte! Gott allein wußte es, daß sie rein, aber Gott thut keine Wunder mehr. Verloren! Verloren! – Der Schandfleck ihrer Familie war sie geworden, das ganze Land würde mit Fingern auf sie weisen. „Seht, seht, das ist Die, um derentwillen unserer armen Fürstin das Herz brach!“

Wer sollte sie retten? Der Herzog? – Er konnte nicht für sie in die Schranken treten; sie hätten alle gethan, als ob sie ihm glaubten, und hätten gelacht hinterher. – Barmherziger Gott, was that sie den Menschen, daß man sie haßte, so bitter haßte?

Wenn sie sterben könnte! Sie nähme damit den Schimpf nicht von sich, aber sie wäre doch todt, sie würde nichts mehr fühlen. Sie dachte und dachte; der kleine Weiher dort unten im Park – sagte eine Stimme in ihr. Es ist so still dort und so kühl – so kühl. Dort fände man sie dann vielleicht, und die Menschen würden sagen: „Sie hatte doch noch Ehrgefühl, diese Claudine; sie konnte nicht leben mit der Schuld auf dem Herzen!“ Und nur einer vielleicht würde sprechen, wenn er an den Sarg trat. „Meine Schwester, mein reiner stolzer Liebling – ich glaube an Dich!“

Und dort drüben in Neuhaus würde ein kleines dunkles Mädchen seinen Kopf an die Schulter des schönen Mannes schmiegen und eine süße Stimme würde sagen. „Was geht es mich an, Lothar, daß eine Deines Stammes auf den Namen Gerold Schande häufte? Vergiß es, ich liebe Dich dennoch!“ –

Ein paar harte Schläge an die Thür ließen sie emporfahren.

„Fräulein von Gerold,“ rief gedämpft die spitze Stimme des Fräulein von Böhlen, „die Herzogin-Mutter erwartet Sie!“

Mechanisch schritt sie hinaus, vergessend, daß ihr das Haar gelöst auf den Rücken herab hing und die goldigen Strähne ihr

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