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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Weiß Gott, man steht sie ja kaum anders, als mit eigenthümlich gerötheten Augenlidern, wenn sie auch zehnmal auf meine Frage: „Hast Du geweint?“ antwortet: „Ich? weshalb sollte ich denn weinen?“

Joachim sah mich ganz erstaunt an; ich bin aber gewiß, es ist ihm schrecklich, daß ich in dieses Geheimniß einer Dichterseele gucke. – Er hat mir nicht zu widersprechen gewagt; es hätte ihm auch nichts geholfen, denn er ist einer von denen, die man mittelst Energie gefügsam machen muß; die imponirt ihm einzig und allein!

Aber verzeihe, ich schreibe so lange von Joachim, und Du willst von Claudine hören. Du hast mich gefragt, ob sie den Verlobungsring trägt. Es thut Dir gewiß weh, aber lügen kann ich einmal nicht, Lothar – der goldene Reif fehlt an ihrer Hand. Ich fragte sie darum, da wurde sie verlegen und antwortete nicht. Sie hat so etwas Herbes um den Mund; es schmerzt mich, sie anzusehen. Du hättest wohl anders um sie werben sollen; aber freilich, wie die Sachen lagen –

Manchmal denke ich, sie hat vielleicht doch den Herzog – Nein, nein, Lothar, ich will Dich nicht ängstigen, ich bin so dumm in solchen Dingen; ich weiß ja nicht, was zwischen Euch steht, und ich will mich nicht in Euer Geheimniß drängen. Gott gebe, daß sich diese Wolken verziehen! Aber Eines weiß ich, wenn sie sich nicht bald verziehen, so werdet Ihr beide sterbensunglücklich. Zuweilen packt es mich, ich möchte dann hintreten und fragen. ,Was ist das für ein Getrotze? Der Eine hier, der Andere da. – Liebt Ihr Euch, oder liebt Ihr Euch nicht, was?‘ Aber Du hast es so verboten, also weiter so!

Ich nehme Leonie immer mit nach Eulenhaus, aber sie thut, als ob sie das Kind nicht sieht, und es ist so frisch und herzig jetzt. Joachim sagt, es sei mit seinen dunklen Augen und Locken wie ein – ‚spanisches Baby‘. Einmal habe ich sie heimlich beobachtet, da hat sie das Kind geherzt und geküßt; aber als ich hineintrat, war es wieder das Alte!

Frau von Katzenstein schrieb neulich an Claudine, daß Prinzeß Helene bei der Herzogin in Cannes sei; sie soll sich fast aufopfern und mit unermüdlicher Geduld um die Kranke sein; auch die Herzogin lobt sie in ihren Briefen an Claudine. Ihre Hoheit schreibt fast täglich, und Claudine antwortet pünktlich; aber die Korrespondenz scheint ihr keine Freude zu machen. Sie kann förmlich ungeduldig aussehen, bringt der Postbote so ein duftendes Briefchen mit der herzoglichen Krone. Die hohe Frau erkundigt sich nämlich in jedem Briefe: ,Wann ist Deine Hochzeit, Claudine? Warum schreibst Du nichts von Deinem Bräutigam, von Deinem Glück?‘ Und zuweilen liegt eine Orangenblüthe zwischen den Blättern. Was Claudine antwortet, weiß ich nicht, vermuthe aber aus der immer wiederkehrenden Frage, daß sie gar nichts darauf erwidert.

Herr Gott, ist das ein langer Brief geworden! Und ich will noch mehr schreiben heute, ich beginne nämlich Joachims Manuskript zu kopiren. Ich habe schon darin geblättert, es ist das zweite Heft der spanischen ‚Reiseerinnerungen‘.

Was willst Du sonst noch wissen, Lothar? Frage nur, ich antworte aufrichtig. Laß Dir die Zeit auf Deinem einsamen Schlosse in Sachsen nicht allzu lang werden. Gott gebe im Befinden der Herzogin einen erfreulichen Fortgang! Die arme Kranke, sie soll so unruhig sein, so große Sehnsucht haben nach ihrer deutschen Heimath und nach den Kindern. Gestern schickte sie Rosen an Claudine; vor mir duftet eine der armen weitgereisten Blüthen im Wasserglase und schaut verwundert in das Schneetreiben vor den Fenstern. Es wogt und tanzt ganz unermüdlich in der farblosen Dämmerung des beginnenden Abends; welch ein lautloses Gewimmel! – Ich lege Dir eine Locke bei von unserer Kleinen.

Prinzeß Thekla hat in der That Frau von Berg bei sich; weißt Du das? Und wußtest Du, daß der Herzog Herrn von Palmer nicht mit nach Cannes nahm? Es ist auffallend, er konnte sonst nicht ohne ihn sein.“

Sie adressirte den Brief und stand eben im Begriff nach dem Kinderzimmer zu gehen – es war die Zeit, wo die Kleine ihr Abendsüppchen verspeiste, das Beate als gewissenhafte Pflegemutter nie zu kosten versäumte – da ward ihr Heinemann gemeldet.

„Nun,“ fragte sie, als der Alte eintrat, im Flauschrock und hohen Stiefeln, die Pelzkappe in der Hand, „was ist bei Euch passirt?“

„Gott sei gepriesen, nichts! Aber wir haben ein Telegramm bekommen, das gnädige Fräulein muß noch mit dem Nachtzuge fort; sie läßt Fräulein von Gerold um einen Schlitten bitten, der sie nach der Station fahren kann.“

Beate befahl in aller Seelenruhe das Anspannen und schenkte eigenhändig dem Alten einen Likör ein.

„Ich werde mitfahren,“ sagte sie, „und Sie können hinten aufsitzen.“

„Ja, darum ließ das gnädige Fräulein auch herzlich bitten; ich hatt’s vergessen,“ murmelte der Alte.

Beate fuhr nach kaum einer Viertelstunde in den schneehellen Wald hinaus. – Was in aller Welt mochte geschehen sein?

Das Eulenhaus hob sich grau aus den verschneiten Tannen und röthlich schimmerten die erhellten Fenster in die Nacht. Fräulein Lindenmeyer kam ihr im Hausflur entgegen; sie sah beängstigend feierlich aus und ihre Augen schwammen in Thränen. Sie hatte die Hände gefaltet und flüsterte der erschreckten Beate zu: „Mit der Herzogin geht es zu Ende!“

Beate flog die Treppe empor nach Claudinens Zimmer. Die packte eben eilig ein Köfferchen; sie wandte ihr ein trübes Antlitz zu.

„Um des Himmels willen,“ rief die Eintretende, „Du reisest nach Cannes?“

„O nein,“ erwiderte Claudine, „nur nach der Residenz; die Herzogin will zu Hause sterben.“

Und sie legte die Hände vor das vergrämte Gesicht und weinte.

„Sie bringen sie zurück? Ach Gott! – Meine gute Claudine, weine nicht; liebe, einzige Claudine, Du mußtest ja doch wissen, daß es nur eine Frist sein konnte, dieses scheinbare Besserwerden!“

„Da die Depesche von Frau von Katzenstein, Beate; die Herzogin erwartet, mich in der Residenz zu finden. Morgen Abend kommen sie an; die Depesche ist schon aus Marseille. Ich wollte Dich bitten, Beate, sieh zuweilen nach der Kleinen,“ fuhr Claudine fort; „Joachim ist so in der Arbeit, und Fräulein Lindenmeyer zuweilen schon recht vergeßlich. Ich hatte gedacht, an Ida zu schreiben, aber die Lindenmeyer erzählte mir, sie habe schon eine Stelle angenommen.“

„Was redest Du denn so lange darum?“ sagte Beate scheinbar böse und half der Kousine den Mantel anziehen, „das ist doch selbstverständlich; mach’ Dich gut warm, und –“

„Aber laß das Kind hier im Eulenhause,“ unterbrach Claudine sie; „Joachim ist es so gewöhnt, daß Elisabeth in der Dämmerung herauf kommt und auf seinen Knieen sitzt und sich Märchen erzählen läßt.“

„Versteht sich,“ erwiderte Beate. „Aber, was ich sagen wollte, Claudine“ – sie stockte – „vergiß den Verlobungring nicht,“ setzte sie leise hinzu.

Claudine wandte sich erschreckt um. „O ja, Du hast Recht,“ sagte sie traurig und suchte den Ring aus einer kleinen Kassette hervor.

Fräulein Lindenmeyer stand weinend neben Beate im Hausflur, während Claudine Abschied nahm von Joachim.

„Ach Gott, so jung noch und schon sterben müssen!“ schluchzte das alte Fräulein, dem in seinem Schmerz kein passenderes Citat einfiel; „von Mann und Kindern fort, und so weit da draußen in der Welt! Gott gebe es, daß sie noch lebend die Heimath erreiche!“

„Gott gebe es!“ wiederholte wie unbewußt Claudine und fuhr neben Beate in die Schneenacht hinaus. Beate ließ es sich nicht nehmen, ihre Kousine bis in das Coupé zu befördern; sie sorgte fast mütterlich für ihres Bruders Braut. Und als die erleuchtete Wagenreihe in die Nacht verschwunden war, fuhr sie mit ernsten Gedanken heim. Die Schlittenglocken klingelten seltsam feierlich im Walde, es war so lautlos still rings umher; sie dachte an den Expreßzug, der durch das Land jagte und die kranke Herzogin mit sich führte. Es mußte schlimm, sehr schlimm stehen, daß man die Reise unternahm; es konnte nur sein, weil sie daheim sterben wollte. Und sie dachte an Claudinens Weinen. Welch Wiedersehen zwischen den Beiden! Als die Herzogin Altenstein verließ, um nach Cannes zu gehen, war sie ohnmächtig geworden. Und nun kam der letzte Abschied.

Auch Claudine dachte an ihre fürstliche Freundin, als sie so ganz allein dahin fuhr. Es reist sich schrecklich mit solchem Ziel.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_374.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2016)