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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

die Meute auf den ungläubigen Thomas und begann, an diesem emporspringend, sich zum Theil auf die Hinterbeine zu erheben, worauf alsbald die bereits ortsüblich gewordene hypnotische Prügelei ihren Anfang nahm. Unser Thomas nahm Reißaus, so lange es heil davonzukommen noch möglich war, und der Experimentator beruhigte seine Schar und gab ihr die Erkenntniß ihrer Menschennatur und Menschenwürde wieder zurück.

Noch etwas besser ging es in einem geselligen Verein, wo gleichfalls Demonstrationen mit 7 bis 8 empfänglichen Personen angestellt wurden, die schon oft hypnotisirt worden waren. Eine Zeit lang ging alles gut und schön; als aber einer der anwesenden Herren eines der Medien vor einem besonderen Tische Platz nehmen und auf das Ticken einer auf diesem liegenden Taschenuhr achten ließ, um es durch den Eindruck dieses gleichmäßig wiederkehrenden Geräusches in Hypnose zu versetzen, da wurde unvorsichtigerweise vor diesem harmlosen Versuche gewarnt und hinzugesetzt, es könne dadurch Tobsucht entstehen. Diese Aeußerung wirkte suggestiv, denn in der That stellte sich bei der Versuchsperson Hypnose und bei der ganzen Mediengesellschaft Tobsucht ein, welche binnen kurzem den Schauplatz friedlicher, fröhlicher Unterhaltung in ein Schlachtfeld verwandelte, wo Kampfesrufe ertönten, Tische und Stühle krachend zur Seite flogen, Bier in Strömen auf den Fußboden floß, Püffe, Stöße sowie noch weit handgreiflichere Thätlichkeiten hinüber und herüber flogen und die Vernünftigsten in schleuniger Flucht ihr Heil suchten. Nicht ohne Mühe gelang es, aus dem wirren Knäuel der Recken die tollgewordenen Medien herauszubekommen, welche dann der Experimentator mit kundiger Hand bändigte, bis die hochgehenden Wogen ihrer Gemüthsstimmung sich beruhigten und wieder friedlicher Denkungsart Platz machten.

Doch das Beste, ein farbenreiches Schlußtableau, kam im Dezember, als Pforzheims vereinte Tiger dem berechtigten Drange nicht mehr widerstehen konnten, im Gasthofe „Zur Post“, dem Hauptschauplatz ihrer alltäglichen Frühthätigkeit, einmal ein friedliches abendliches Festmahl zu feiern. Dasselbe verlief ursprünglich, durch verschiedene künstlerische Veranstaltungen verschönt, aufs prächtigste. Herr S., ein ebenso gewandter Tiger wie Hypnotiseur, hatte dem zur Würze des Mahles dienenden Programm eine Vorführung seiner Kunst einverleibt, die ihm nur zu sehr gelingen sollte.

Als nämlich die Herren Tiger sich genugsam durch Speise und Trank auf die ihnen noch bevorstehenden Aufregungen und Anstrengungen vorbereitet und gekräftigt hatten, ließ Herr S. seine Medien aufmarschiren und zeigte deren vielseitige Fähigkeiten und Künste. Eine geraume Weile ging alles ausgezeichnet, bis durch irgend welche jetzt schwer festzustellende Zufälligkeiten der Funke ins Pulverfaß flog und die Tobsuchtsleidenschaft entfesselte. Mit einem der Medien soll, wie gesagt wird, ein Theilnehmer des Mahles, ein holländischer Geschäftsreisender, im Vorzimmer auf eigene Faust experimentirt haben, was schon zu einer beginnenden kleinen Balgerei führte, die von Herrn S. gedämpft wurde. Das war der Vorbote des Sturmes, der sehr bald im Saale selbst mit der medialen Hauptperson zum Ausbruch kam und in seiner Ausdehnung alle bisherigen derartigen Erfahrungen weit übertraf. Da wurden die Medien zu Tigern und manche Tiger sehr bald zu flüchtenden Lämmern, was übrigens unter den obwaltenden Umständen für die meisten das Beste war. So begann denn die große Schlacht, reich an wechselvollen Episoden, das schönste, was Pforzheim der Sport des Hypnotismus an packenden dramatischen Situationen gebracht hat. Im Handumdrehen veränderte sich der Anblick des Schauplatzes. Geballte Fäuste, blutige Nasen, Beulen – das alles war das Werk eines Augenblicks. Stühle krachten und splitterten im Getümmel, Tische flogen zur Seite und wurden umgestoßen. Ungezählte Teller, Flaschen und Gläser sollen da ein unrühmliches Ende gefunden haben und unter der Wucht der die Luft durchsausenden Wurfgeschosse der Kronleuchter bös mitgenommen worden sein. Einen großem schönen Spiegel wollte man retten, nahm ihn herab, versäumte es aber, ihn fortzuschaffen und ließ ihn an die Wand gelehnt stehen. Das Hauptmedium K. ergriff ihn mit beiden Händen und schlug die Vorderfläche dem ihm in den Wurf kommenden Herrn R. auf den Kopf, daß alsbald die Scherben zum Glück nicht des Kopfes, sondern des Glases davon flogen.

Was der Thür zunächst war, ergriff die Flucht. Einer der Herren Tiger soll mit beiden Armen einen Tisch ergriffen und sich mit ihm gegen den Ansturm des Mediums gewehrt haben, das Möbel wie einen Schild benutzend. Unter andern Tischen hatte gleich anfangs hier und da ein weniger wehrhafter Tiger einen zeitweiligen Zufluchtsort gefunden. Bald war der Saal geräumt und K. im alleinigen Besitz des Kampfplatzes. Er durchschritt denselben im Gefühl des Sieges, ergriff da und dort einen Stuhl, hob ihn empor und stauchte mit kräftigem Rucke die Vorderbeine desselben gegen den Boden, daß nur die splitternd abkrachende Lehne in den Händen des Tobenden zurückblieb, welche er alsbald mit Ingrimm wegschleuderte. Auch warf er nach allen, die Miene machten einzudringen, mit Stühlen und anderen schweren Geschossen. Ungehindert durchmaß er, vor dessen riesig gewachsenen Kräften alles scheu zur Seite wich, den Flur und gelangte hinab auf die Straße, fand es aber sehr bald wieder gerathener, den Saal aufzusuchen, von wo er der Küche einen Besuch abstattete. Da Herr S. die Geister, die er gerufen, weder bannen noch meistern konnte, so blieb als letzter Rettungsanker in der Noth nur noch der eiligst herbeigerufene Herr W. übrig. Dieser erschien nachts gegen 1 Uhr auf der Wahlstatt. Er fand K., der indeß schon einmal kurz vorher von einem anderen Herrn erweckt, aber später nochmals in Hypnose und Tobsucht verfallen war, ein großes Küchenmesser schwingend, allein in der Küche vor, wo er bereits zum Zeitvertreib verschiedenes Geschirr umhergeworfen und zerschlagen hatte. Herr W. ging dem Rasenden kühn zu Leibe, packte mit einem Griffe beide Handgelenke desselben und versenkte ihn, nachdem er selbst eine Hand freibekommen hatte, in tiefsten hypnotischen Schlaf. Nunmehr entzog er dem still Daliegenden das Messer und weckte ihn kunstgerecht. Leider kam es jedoch bald darauf durch irgend welche Störung zu nochmaligem Toben und zum Austausch von abermaligen handgreifliche Liebenswürdigkeiten, bis man von anderer Seite den Thäter schließlich beim Rockkragen packte und seinen Kopf dem Strahle der Wasserleitung aussetzte. Das führte denn zur Abkühlung seiner Leidenschaftlichkeit und zu endgültigem Erwachen. Zwar erklärte K. zunächst, noch nicht sehen zu können, da offenbar der hypnotische Zustand noch nicht vollkommen gewichen war. Herr W. hob nunmehr in regelrechter Weise auch das letzte Uebel, und so schloß die berühmte Tigerschlacht in der „Post“. Zu bedauern war ein anderer Festtheilnehmer, den man im Getümmel für ein rasendes Medium angesehen hatte, während doch nur die Geister des Weines aus ihm in allzu lebhafter Sprache redeten: da er sich wiederholt unnütz machte, wurde er nach kurzem Handgemenge vom Kellner unsanft an die frische Luft befördert, bei welcher Gelegenheit auch sein Trommelfell zeitweilig benachtheiligt worden sein soll. Ein anderer Tiger hatte in der Eile der Flucht auf dem Flur ein Fenster eingeschlagen, um sich nach einem andern Raum hin retten zu können. Viel Heftpflaster und Bleiwasser zu kühlenden Umschlägen soll noch in jener Nacht verbraucht worden sein, und wer in den nächsten Tagen mit Beulen, dicker, blauer Nase und schönen Kratzwunden im Gesicht betroffen wurde, der konnte mit Sicherheit darauf rechnen, ohne weiteres nach seinen Erlebnissen aus dem Tigeressen gefragt zu werden. Der angerichtete Schaden wurde auf alle Theilnehmer als eine Kriegssteuer umgelegt, der sich jedermann willig unterwarf; „denn schön war’s doch gewesen,“ sagte mir erst kürzlich einer der Augenzeugen. Vielleicht wäre damals die Tigerschlacht, wenn auch nur in engerem Rahmen, auch noch ins „ewig Weibliche“ übertragen worden, denn auf einem Damenkränzchen sollte, nachdem bereits mit Erfolg das Gedankenlesen geübt worden war, zum Hypnotisiren übergegangen werden. Die schöne, kühne Unternehmerin wurde aber von einer Genossin, welche die Greuel des Tigeressens in der „Post“ mit eigenen Augen hatte schauen müssen, von ihrem sträflichen Beginnen zurückgehalten, so daß der manches Interessante in Aussicht stellende Plan nicht zur Ausführung kommen konnte. Uebrigens wurde nunmehr jedes nicht von beruflicher Seite und nicht zu rein wissenschaftlichen Zwecken ausgeübte Hypnotisiren mit Recht seitens der Behörde unter Strafandrohung gestellt. Jetzt ist’s in Pforzheim von der Sache still geworden, oder es wird höchstens noch in der Erinnerung an die vergossenen schönen Ereignisse geschwelgt.

Unser Bild von Pforzheims Erfahrungen auf diesem Gebiete würde indeß ein unvollständiges sein, wenn wir nicht auch des wiederholten strafenden Einschreitens der Behörde gedenken wollten. Das Bezirksamt erließ von Anfang an gegen solche, die in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_507.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)