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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

entgegen. Sie suchte ihre Stimme fest zu machen, aber ihr Busen wogte in mächtiger Aufregung.

„Um Gott!“ rief er und war bleich geworden – „wie kommst Du dazu?“ entfuhr es dem Fassungslosen, Ueberraschten.

„Laß unsern Herrgott aus dem Spiel!“ sagte sie ernst und ihre großen Augen lagen mit einem unaussprechlichen Ausdruck auf ihm; „nehmen wir an, ich hätte es gefunden, und dies dazu!“ Sie griff in die Tasche und hielt ihm den Brief entgegen. „Da Sie das Armband so gut wieder erkannt haben, ist die Frage, ob Sie die Handschrift hier anerkennen, wohl überflüssig – hier!“ Sie knitterte das Blatt zusammen in der kleinen Hand und warf es ihm vor die Füße; „und hier!“ das Armband klirrte auf den Fels; „und hier!“ ein kleiner Goldreif sprang auf und rollte über die Granitquadern ins Meer. Ohne einen weitern Blick wandte sie dem Wortlosen den Rücken und ging langsam auf die Thür des Thurmes zu.

Er sah nicht sehr geistreich aus in diesem Augenblick. – Plötzlich aber fuhr er auf und lief ihr nach. Er faßte ihren Arm. „Hildegard!“ keuchte er, „was soll das? Bist Du wahnsinnig?“

Mit vornehmer Bewegung machte sie ihren Arm los. Kalt und feindselig sah sie ihn an, das Haupt zurückgeworfen, die volle Unterlippe etwas vorgeschoben. Sie sagte kein Wort. Mich hatte sie doch noch anders angeschaut damals im Kursaal!

„Hildegard, was machst Du?“ rief er heiser; „so höre mich doch! Was ist denn mit Dir vorgegangen?“ Ihre Lippe schürzte sich in bitterer Verachtung. Sie blickte über ihn weg nach dem Fenster, an dem ich stand, und winkte mir. Sein Auge folgte unstet ihrer Bewegung. Jetzt strömte wieder dunkles Roth über sein fahl gewordenes Gesicht und es leuchtete auf in seinem Blick. „Ah!“ rief er.

Ich trat hinaus.

„Sprich Du mit dem Herrn!“ sagte Hildegard kalt und trat in den Thurm.

Du? Du?“ stammelte er und machte einen Schritt auf mich zu – „Herr, was ist hier vorgegangen? Stehen Sie mir Rede!“

„Kommen Sie mit,“ sagte ich und zog ihn in einen Winkel des vorspringenden Felsens, wo man uns nicht sah vom Thurme aus; „die Sache ist sehr einfach: Sie haben sich so wenig als Mann von Ehre gegen Ihre Braut benommen – Sie werden die Thatsache selbst nicht leugnen wollen, denn die Beweise sind ja erdrückend – daß Sie nichts Besseres thun können, als die Lösung Ihres Verlöbnisses ohne weiteres anzuerkennen –“

„Den Teufel will ich!“ schrie er mich an.

„Es wird Ihnen wohl nichts anderes übrig bleiben; denn ich vertrete die Interessen des Fräuleins von jetzt an –“

„Sind Sie verrückt, Herr? Mit welchem Recht?“

„Als ihr zukünftiger Gatte!“

Er sah mich an, als ob er falsch gehört hätte.

„Ihr – zukünftiger – Gatte, sagten Sie?“ Er lachte laut auf. „Das ist ja eine reizend anständige Gesellschaft hier! Auf diese Art von Leuchtthurm will ich doch die Polizei aufmerksam machen! Die Tochter und die Gäste scheinen gleich gut zu sein –“

Da langte mit einem Male ein dicker Arm in Flaus gekleidet um die Ecke und faßte den Fassungslosen in des Wortes eigenster Bedeutung am Kragen. Er sah sich um, so gut er konnte, und schaute in Brar Volkers’ grimmiges dunkelrothes Gesicht.

„So? Der Polizei wollen Sie mich melden?“ grollte der Alte im heißen Zorn; „und meine Tochter und das Fräulein wollen Sie hier schlecht machen? Nun will ich Ihnen ’mal etwas sagen: die Polizei wohnt da drüben an Land; und nun machen Sie nur schnell, daß Sie hinkommen; sonst könnten Sie hier vorher noch die Fäuste eines alten Seemanns kennen lernen, daß Ihnen Hören und Sehen vergeht –“ Und nun brach die Wuth los bei dem Alten. „Was?“ donnerte er und schüttelte den Machtlosen – „und Sie haben mir hier mein Kind, mein Mädel verführen wollen?“ –

Und was nun kam, das schenke ich dir, Fritz; aber bei jedem Kraftwort flog der geknickte, jeden Widerstand aufgebende Herr vor der Eisenfaust, die ihn hielt, vorwärts oder rückwärts.

„Und nun fort!“ brüllte Brar Volkers und schob ihn vor sich her, „und Gnade Ihnen Gott, setzen Sie je den Fuß wieder hier auf den Felsen!“

Jetzt waren sie beim Boot; mit einem letzten Stoß warf er den großen Mann hinein, daß er über die Duchten fallend hinschlug. „Ab!“ schrie er dem Schiffer zu, der in stummem Entsetzen zugehört hatte und sich beeilte, dem Befehl zu folgen.

Der Domänenpächter setzte sich aufrecht und drohte mit der Faust hinauf gegen mich und ihn, ohnmächtige Wuth im Gesicht.

„Hier, Sie haben noch ’was vergessen!“ rief Brar Volkers; „verschenken Sie’s nur anderswo, wo Sie mehr Glück damit haben!“

Damit schleuderte er das Armband mit kräftigem Fußtritt vom Stein hinaus, daß es klirrend gerade ins Boot fiel, in dem der Schiffer das Segel setzte – und hin fuhr es! Ich athmete auf. Als ich in die Thurmstube trat, fiel mir Hildegard wortlos um den Hals.

Nur einen Schmerz hatte sie noch zu überwinden, einen harten Absagebrief der Mutter, von der sie so herzlich viel hielt. „Wie weit Sie im Recht oder Unrecht sind meinem Sohn gegenüber, will und kann ich nicht untersuchen; aber es wäre Unnatur, wenn von Stund’ an nicht jegliche Verbindung aufhörte. Schreiben Sie mir nicht – ich nehme keinen Brief von Ihnen an!“

Thränen standen in ihren Augen, als sie mir das Schreiben zeigte.

„Thut’s Dir leid?“ fragte ich.

„Sprich so etwas nicht!“ sagte sie, in ihren Thränen lächelnd; „ich brächte Dir wohl noch andere Opfer!“ –

Am Nachmittag nahmen wir Abschied vom Thurm und seinen Bewohnern. Brar Volkers schüttelte mir herzhaft die Hand. Mit einem Male ließ er meine schon ziemlich zerarbeitete Rechte los, trat an den Kredenztisch und schenkte vier Gläser goldigen Portweins ein.

„Hier, Fräuleinchen, das trinken Sie nur ruhig aus; das kratzt nicht so wie der Cognac neulich! Und nun glückliche Reise, und wenn Sie im Sommer ’mal wieder an die See reisen, dann kommen Sie nur immer zu uns! Prost!“

Hell klangen die Gläser zusammen. So schieden wir.

Wiebke steuerte wieder wie an jenem Tage das Boot, das uns nach Stagersand brachte. Was lag zwischen damals und jetzt! Hildegard hielt meine Hand und sah zu mir auf. Mein Lebensglück lag in diesem Blick. Da ragte der Stein aus dem Wasser, auch jetzt noch umspült von der Brandung. Wir schauten hinüber – und schauten uns an: es war der Grundstein des Hauses, in dem wir wohnen wollten.

Um’s kurz zu machen: Wiebke war sehr bewegt, als wir Abschied von ihr nahmen, und fiel Hildegard weinend um den Hals. „Ich mag gar nicht in den alten langweiligen Thurm zurück!“ klagte sie; „nun wird’s wieder so gräßlich einsam!“ Mir drückte sie mit abgewandtem Gesicht die Hand und stieg ins Boot, hißte ihr Segel und schaute nicht um, so lange wir ihr nachsahen; und wir standen auf dem Steg, Hildegards Arm lag in dem meinen, und ich verglich diese Stunde mit jener, als ich damals in bitterer Seelenqual mit Wiebke hier ins Boot gestiegen war.

Hildegard sah träumerisch ins Wasser.

„Denkst Du an die Rose, die in Euer Boot fiel?“ fragte sie.

„Ja!“ sagte ich erstaunt, „wie kommst Du darauf?“

Er hatte sie mir wie im Scherz von der Brust genommen und sie hinabgeworfen; ich dachte nichts Böses dabei, aber es that mir doch weh; doch wie er oben auf dem Thurm ihr das Glas zutrank, da ging mir eine Ahnung auf. Und je öfter er hinüberfuhr, desto deutlicher wurde sie. O wie elend war mir zu Muth! Und als Du mich fragtest im Boot, ob ich glücklich sei – da hätte ich aufschreien können vor Leid. Aber ich durfte Dich nicht in mein gequältes Herz schauen lassen und Du durftest damals am wenigsten von allen Menschen wissen, was für Gedanken durch meine Seele auf dem Stein gezogen waren, die mich alles um mich her vergessen ließen: ich dachte an Dich und wußte, daß ich zu lebenslänglichem Unglück verurteilt sei! Und nun ist alles, alles neu geworden!“ –

Ich brachte Hildegard zu meiner Schwester. An einem Novembertage, gerade als der erste Schnee niederrieselte, traten wir aus der Kirche, fröhliche Brautleute, ein glückseliges Paar; nicht rührselig und mit feuchten Augen, jubelnder Lebensmuth leuchtete mir aus den tiefblauen Augensternen der wonnereichen Frau, die laut und frisch „Ja“ gesagt hatte. Es war Vollmond an diesem Novemberabend, wie in jener Nacht im Leuchtthurm. Hell fiel sein bläuliches Licht auf die verschneiten Felder

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