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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Aber wieder erglänzt Lichtschein aus diesem Dunkel, an mächtiger Fluß kommt in Sicht, über eine Brücke donnert der Zug, wir sind in Yuma, am Colorado, in Arizona. Am Bahnhofe drängen sich Mexikaner, Indianer, Chinesen, Neger und Yankees bunt durch einander; neben der englischen Sprache erschallt das Gurgeln der Yumaindianer, der Wohnklang der spanischen Laute und das Kauderwelsch des Negers.

Wie die Gebäude aller mexikanischen Städte, so sind auch die Häuser von Yuma aus „Adobe“, sonngebrannten Lehmziegeln, errichtet und nur ein Stockwerk hoch. Die Wände sind zwei bis vier Fuß dick, die Dächer aus Holz, Leder- und Weidengeflecht gebildet und mit Erde beworfen. Verandas, roh aus Pfählen und Weidengeflecht gefertigt, schieben sich nach allen Seiten zehn bis zwanzig Fuß weiter hinaus, um Schutz gegen die Sonnenstrahlen zu gewähren. Auffällig erscheinen noch die hohen Umzäunungen der Gehöfte. Eine Reihe von Pfählen wird dicht neben einander vier Fuß tief eingerammt und mittelst rohlederner Riemen fest verbunden. Manche dieser „Fenzen“ haben ein originelles Aussehen, zumal die an Länge und Dicke sehr ungleichen Pfähle nicht zu einer gleichmäßigen Höhe abgeschnitten werden.

Fata Morgana in der Coloradowüste.

Eingeborene wie Weiße tragen während der Sommerzeit so wenig Kleider wie möglich; erstere, dem Stamme der Yumas angehörig, große, behende Gestalten von dunkler Hautfarbe, beschränken sich zumeist auf einen die Lenden umgürtenden Schurz; denkt man sich hierzu, daß sie sich das Gesicht kohlschwarz bemalen und es durch einen rothen Strich in zwei gleiche Hälften theilen, den übrigen Körper aber mit weißer Erde bestreichen und mit den Fingernägeln allerlei Streifen in diesen Untergrund hineinreißen, so wird man der Versicherung christlicher Sendboten gerne Glauben beimessen, wenn sie uns erzählen, es habe ihnen geschienen, als befänden sie sich in der Nähe leibhaftiger Teufel. Selbst die Kinder tragen schon diese eigenartige Bemalung des Körpers, wie wir sie auf unserer Illustration S. 542 erblicken. Im Gegensatz zu den Männern sind die Weiber klein, untersetzt. Auch sie tragen ihren Farbenschmuck und dazu einen bis zum Knie reichenden Bastrock. Von weitem gleicht eine solche Indianerin beinahe unseren Ballettänzerinnen.

Yuma ist an der Mündung des Gila in den Coloradofluß gelegen, welch letzterer, überaus schmutzige Strom, dessen Wassermenge ungemein wechselt, von seiner Mündung in den kalifornischen Meerbusen bis etwa 800 Meilen aufwärts schiffbar ist. In seinem mittleren Laufe, da wo Nevada, Arizona und Kalifornien zusammenstoßen, ist der Strom durchweg unfahrbar; denn hier sind die fast unzugänglichen Cañons, die Schluchten des Colorado, und niemand anders ist hier Herrscher, als er.

„In uralter Zeit – vor vielen Jahrtausenden – herrschte ein mächtiger, weiser Häuptling über die Stämme von Arizona. Der Tod raubte demselben sein Lieblingsweib, und so tief und ergreifend war des Häuptlings Klage hierüber, daß Ta-vwoats, einer der indianischen Götter, sich seiner erbarmte und ihm versprach, ihn für kurze Zeit ins bessere Land zu der verlorenen Gattin zu führen, falls er nach seiner Rückkunft nicht mehr trauern wolle. Der Häuptling sicherte ihm dies zu, und nun nahm der Große Geist eine ungeheure Kugel in die Hände und rollte sie vor dem Häuptlinge über den Boden, und wo die Kugel rollte, da schnitt sie tief in die Erde ein und bildete einen viele tausend Fuß tiefen Engpaß. Durch diesen führte Ta-vwoats, den Indianer zu jenem glücklichen Lande, wo er sein Weib wiederfand. Nachdem der Gott den Häuptling zurückgeleitet, nahm er die Schneewasser der Hochgebirge, die Regenströme, die aus die Ebenen niederfielen, und leitete einen furchtbaren brausenden Strom durch den Engpaß, damit niemand im Stande sei, aufs neue durch die Schlucht nach den Ländern der Seelen vorzudringen.“

So lautet die indianische Sage über die Entstehung der mächtigen Cañons des Colorado, über welche auch an den Lagerfeuern der westlichen Jäger und Goldgräber manche wunderbare Erzählung verbreitet wurden.[1]

Von dem Vorhandensein dieser furchtbaren Engschluchten hatte man schon seit Jahrhunderten Kenntniß, aber diese war eine höchst beschränkte und mangelhafte, da die ungeheuere Dürre, die endlose Zerissenheit der ganzen Landschaft, die Unzugänglichkeit der Cañons aller Erforschung unüberwindliche Schranken entgegensetzten. Die spanischen Mönche und Conquistadoren, die im 16. und 17. Jahrhundert diesen Theil Amerikas berührten, mußten sich damit begnügen, einen Blick in die grausigen Abgründe geworfen zu haben; sie zu erforschen oder zu überschreiten, war ihnen nicht beschieden.

Auch verschiedene Expeditionen, die in den fünfziger Jahren von der Regierung der Vereinigten Staaten ausgesandt wurden, um den Colorado bezüglich seiner Schiffbarkeit zu erforschen, blieben erfolglos und erst in den Jahren 1869 bis 1872 ward das Cañonland zum ersten Male in seiner ganzen Länge von dem amerikanischen Major J. W. Powell befahren. Die unerhört kühnen und heldenmütigen Bootfahrten dieses Gelehrten bilden eines der glänzendsten, wenn nicht das glänzendste Kapitel in der Erforschungsgeschichte des amerikanischen Westens.

Der Colorado ist eines der großartigsten Naturwunder. Ist sein unterer Lauf nur wenig über dem Meeresspiegel gelegen, so ist sein Quellgebiet hingegen im Bereiche jener Gebirgsketten, deren schneegekrönte Häupter bis zu 14 000 Fuß emporragen. Hier fällt den ganzen Winter hindurch Schnee, und so weit das Auge reichen mag, sind Wälder, Klippen und Thäler in einen weißen, leuchtenden Mantel gehüllt. Bringt der Sommer mit seinen Feuergarben den Schnee zum Schmelzen, so stürzen von

  1. Nach Powell, Exploration of the Colorado River (Erforschung des Coloradostroms).
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_540.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)