Seite:Die Gartenlaube (1888) 572.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
In der Schutzhütte.
Novellenkranz von Johannes Proelß.
(Fortsetzung.)
4. Die Geschichte der Malersleute.

Professor Schröder hatte kaum seine Erzählung geschlossen, als ihm auch schon eine Menge Fragen aus der Tischgesellschaft entgegenklangen. Nicht nur sein ehemaliger Zuhörer, der Astronom, auch alle übrigen erkundigten sich nach der Heldin der Geschichte und ihrem Befinden. Mit Theilnahme hörten sie, daß Frau Josephine auch dieses Jahr den Professor auf seiner alljährlichen Gebirgsreise begleitet habe und nur unten in Weißbad geblieben wäre, doch nicht allein, denn eine seiner Nichten, die er eingeladen, die Reise mitzumachen, leiste ihr angenehme Gesellschaft. Mr. Whitfield, der Engländer, nahm ein noch größeres Interesse an der Schwiegermutter, wie das seiner Vorliebe für Unglücksfälle entsprach. Dieselbe werde doch ihr Möglichstes gethan haben, die Mesalliance ihrer Tochter zu hintertreiben. Der Professor bejahte, wenn auch mit einiger Zurückhaltung, die Frage: trotz aller Schonung und zarten Rücksicht hätte sie dem Eheprojekt ihrer Tochter den hartnäckigsten Widerstand entgegengesetzt, doch sei vor ihrem Tode noch eine Versöhnung erfolgt. Jetzt aber schnitt mit freundlicher Abwehr der Vielgefragte die Debatte ab, indem er seiner Präsidentenpflicht eingedenk die Mahnung aussprach, nun ohne weiteren Aufschub dem dritten Erzähler das Wort zu gönnen. Diesmal wurde gelost, und das Los traf Frau Breitinger, die anmuthige Gattin des fleißigen Malers, der auch während des Erzählens nicht aufgehört hatte, an seinem Skizzenblatt weiter zu arbeiten.

„Wenn ich es denn schon sein soll, die nach des Herrn Professors so ergreifender Geschichte den Versuch wagen soll, ein Erlebniß in geordnetem Zusammenhange vorzutragen, dann muß ich schon meinen lieben Mann bitten dürfen, daß er mich dabei unterstützt – leider habe ich gar nichts vom Talent einer Scheherezade.“

Der Maler lachte und wollte protestiren; Herr Kurz aber unterstützte den Vorschlag: auch er werde, wenn er an die Reihe komme, gleichzeitig im Namen seiner Frau seine Geschichte erzählen, schon in Anbetracht der Zeit empföhle es sich, daß in dieser Weise die anwesenden Ehepaare ihre Einheit und Einigkeit zum Ausdruck brächten.

Der Maler nickte nun zustimmend und rief: „Fang’ nur an, Aennchen, ich werde schon helfen; nur mußt Du keine Geheimnisse erzählen, von denen ich selber nichts weiß.“

„Behüte, Fritz! Erstens hab’ ich gar keine solchen und dann weißt Du doch selbst, daß man schönstes Reiseerlebniß unser gemeinsames Eigenthum ist; freilich, so recht schön wurde es damals erst, als das Reisen vorbei war und die Rückkehr uns zusammenführte.“

„Still, Aennchen! Nichts verrathen! Du verdirbst ja die Spannung. Nur ohne lange Einleitung frisch drauf los! Erster Abschnitt: Warum an eine Heirath zwischen uns nicht zu denken war oder – ‚Sie konnten nicht zu einander, das Wasser war viel zu tief‘. Vorher aber mußt Du Dich den Herrschaften in Deiner Eigenschaft als Malerin, nicht nur Malersfrau, vorstellen. Anch’ io sono pittore. Oder laß mich das besorgen: Hier, mein blondes Weibchen, das so bescheiden ihre Blumen ins Herbarium ordnete, während ich ihr ins Handwerk pfuschte, ist ihres Zeichens eine Malerin von Beruf und auch leidlichem Rufe; ihre Bilder, die noch weiter unter ihrem Mädchennamen gehen, sind auf dem Kunstmarkt in erfreulicher Weise gesucht. Konkurrenz machen wir uns nicht, da sie Landschaftsmalerin ist, während ich mich bis auf gelegentliche Sünden im Skizzenbuch auf das bäuerlich-ländliche Genre – Sittenbild sagen jetzt die Sprachreiniger, ohne den Begriff zu erschöpfen – beschränke. Und das ist wahr: ohne daß wir beide unser Leben der edlen Malkunst geweiht, würden wir uns schwerlich je kennen, schätzen, lieben und heirathen gelernt haben, während andererseits der Umstand, daß wir unser Talent zwei verschiedenen Gebieten unserer theuren Kunst gewidmet, umgekehrt beinahe zum Anlaß wurde, eine gemeinsame Haus-, Herd- und Ateliergründung dauernd zu verhindern. Und das kam so … Jetzt, Aennchen bist Du aber dran. Ueber den Anfang wärst Du hinüber.“

Frau Breitinger folgte heiter der Mahnung:

„Ich bin Holländerin. Bereits mein Vater war Maler und liebte es, seine Studien am Ufer des Meeres zu machen. Als halbwüchsiges Mädchen schon durfte ich ihn begleiten, wenn er des Sommers sich in einem der Fischerdörfer des Nordseestrands in irgend einer gastlichen Hütte einquartierte, um zwischen den Dünen frei nach der Natur das Meer in seinem Zorn und in seinem Frieden zu malen. Die ersten Anfangsgründe der Malerei lernte ich in solcher Umgebung von ihm; er war mein Lehrer, und meine ersten Versuche, auch meinerseits die Eindrücke der in ihrer Einfachheit so großartigen Meereslandschaft im Bilde festzuhalten, vollendete ich unter seiner Leitung. Sie werden begreifen, daß dieser Anfang die Richtung meiner bescheidenen Künstlerlaufbahn entschied. Auch als ich in meinem neunzehnten Jahre vom Vater nach München geschickt wurde, um hier unter Leitung von Professor Schönleber, den er nicht nur seiner vollendeten Technik, sondern auch seiner tiefen Naturauffassung wegen besonders schätzte, mein Talent weiter auszubilden, blieb ich derselben treu. Die Motive, die Vorlagen zu meinen Bildern, die ich jetzt in München unter des Meisters anregender Kontrolle mit peinlichster Sorgfalt bis ins Detail ausführte, entnahm ich meinen Skizzenmappen, welche ich aus der geliebten Heimath mitgebracht hatte und nun während des Sommers eifrig um neue Studienblätter bereicherte. Denn sobald Pfingsten vorüber war und die den Malern eigenthümliche, aus ihrem Beruf erwachsende Reiselust die große Münchener Künstlerkolonie auseinandersprengte, brach auch ich auf nach Holland, um dort wie früher an der Seite meines Vaters dem Meere bei Sonnenauf- und -untergang, bei heiterer Stille oder bei Sturmeswüthen seine zauberhaften Schönheitsreize abzulauschen. Auch als mein Vater durch ein sich immer öfter und stärker wiederholendes rheumatisches Leiden verhindert ward, mein regelmäßiger Begleiter und Genosse in der sommerlichen Villeggiatur zu sein, und ich den größeren Theil meiner Ferien bei ihm und den Meinen in der Stadt verbringest mußte, wurde ich meinem geliebten Nordseestrande nicht ungetreu, zumal eine uns befreundete Familie in der Nähe von Zandvoort ein Landgut besaß, welches sie im Sommer bewohnte und in dem mir ihre Gastfreundschaft ein Stübchen immer bereit hielt. Außerdem aber kannte mich in unserem alten Fischerdorfe, das damals noch nicht den Rang eines Seebadeplatzes beanspruchte, jedes Kind und jedermann war gastlich und freundlich zu mir; wurden mein Vater und ich doch von allen wie zum Orte gehörig und mit allerhand Ehrenbürgerrechten ausgestattet betrachtet. Und so sehr mich meine Münchener Freunde auch baten, doch einmal mit ihnen ins Gebirge zu ziehen und das langweilige Holland, wie sie sagten, sich selbst zu überlassen, ich konnte es nicht übers Herz bringen, sowohl um der Meinen willen, als in Rücksicht auf das Meer und meine Kunst, die nun einmal zusammengehörten. Selbst mein Mann, das heißt Herr Breitinger –“

„Ja, selbst ich,“ nahm mit humoristischem Lächeln dieser nun den Faden der Erzählung auf, „selbst der liebenswürdige, aufmerksame und redegewandte Maler Fritz Breitinger, der mit der jungen Holländerin täglich auf dem gleichen Flur und auch sonst mancherorts zusammentraf, aus dem sehr einfachen Grunde, weil unsere Ateliers in demselben Stockwerk neben einander lagen – selbst ich konnte die hochgeschätzte Kollegin nicht überreden, einmal versuchsweise unsere Sommervilleggiatur im Hochgebirg zu theilen, sollte darüber auch Holland in Nöthe gerathen. Ich muß hier einschalten, daß diese Aufmunterung von meiner Seite einzig und allein aus kameradschaftlichem Interesse, keineswegs aber unter dem Antrieb einer wärmeren Empfindung stattfand, die über das Niveau freundnachbarlicher Theilnahme hinausging. Es ist unter uns Malern eine sehr angenehme Sitte, gegenüber den weiblichen Talenten, die sich unter uns mischen und mit uns dieselben Berufsinteressen theilen, von dem Geschlechtsunterschied möglichst abzusehen und mit ihnen auf Grundlage dieser Gemeinschaft zu verkehren; der Ernst ihres Strebens und ihr Können entscheidet,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_572.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)