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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Die Alpenfee.
Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Es war am Sonntag nach dem Johannistage, wo nach altem Brauche in Oberstein der Johannistanz stattfand. Der kleine hochgelegene Gebirgsort, der Wohnsitz des Doktor Reinsfeld, hatte durch den Bau der Eisenbahn allerdings etwas von seiner Einsamkeit und Abgeschiedenheit verloren. Die Arbeiter der Strecke verkehrten bisweilen dort und einige der jungen Ingenieure hatten in dem einzigen Gasthause ihre Wohnung genommen; das war aber bis jetzt alles; das ziemlich armselige Aussehen des Oertchens hatte sich vorläufig noch nicht geändert.

Die Wohnung des Herrn Doktors machte auch keine Ausnahme davon, es war ein kleines Häuschen, das sich nur wenig von den übrigen unterschied, nothdürftig eingerichtet und kaum mit den einfachsten Bequemlichkeiten versehen. Die Witwe des verstorbenen Meßners führte dem jungen Arzte das Hauswesen, so gut oder so schlecht sie es eben verstand, und viel verstand sie wirklich nicht. Es gehörte in der That eine so bescheidene und fast bedürfnißlose Natur wie die Bennos dazu, um in solchen Umgebungen auszuhalten. Seine Vorgänger waren auch stets nur kurze Zeit in dieser Stellung geblieben, er saß nun schon im fünften Jahre hier, unermüdlich und unverdrossen in seiner anstrengenden Thätigkeit, und hatte auch vorläufig noch keine Aussicht, fortzukommen.

In seinem Arbeitszimmer sah es freilich anders aus als in den schönen, behaglichen Räumen, die Oberingenieur Elmhorst bewohnte. Die weiß getünchten Wände zeigten als einzigen Schmuck ein paar kleine Familienbilder, die verstorbenen Eltern Reinsfelds. Ein alter, schon sehr gebrechlicher Schreibtisch, mit einem Armstuhl, dessen ehemals schwarzes Leder längst grau geworden war, ein sehr hartes Sofa, mit derbem Leinenüberzug und Tisch und Stühle von gleich ehrwürdigem Alter, das war die ganze noch von dem Vorgänger übernommene Einrichtung dieses „Salons“, in welchem der Doktor wohnte, arbeitete, Rath ertheilte und auch Besuche empfing wie in diesem Augenblick, wo sein Vetter Albert Gersdorf sich bei ihm befand.

Der Rechtsanwalt war bereits gestern von Heilborn gekommen und hatte schon einen Gast vorgefunden, den er gleichfalls kannte, Veit Gronau, der sich hier von den Folgen seines


Kinderstudie von A. v. Werner.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 597. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_597.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)