Seite:Die Gartenlaube (1888) 630.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Ich danke, Papa,“ erwiderte er. „Man hat mir immerhin einen Beweis großen und unumschränkten Vertrauens gegeben, den ich zu schätzen weiß, und ich gestehe auch, es ist mir eine Genugthuung, daß die Vollendung des Werkes, dem ich meine beste Kraft geopfert habe, nunmehr an meinen Namen geknüpft bleibt.“

„Legst Du so großen Werth darauf?“ fragte Nordheim gleichgültig. „Freilich, in Deinen Jahren ist man noch ehrgeizig, Du wirst Dir das bald abgewöhnen, wenn erst höhere Interessen in den Vordergrund treten.“

„Höhere, als die Ehre und der Stolz, ein großes Werk zu schaffen?“

„Nun denn, realere Interessen, die schließlich doch bei allen Dingen den Ausschlag geben, und darüber wollte ich eben mit Dir reden. Du weißt, daß ich längst die Absicht hegte, mich nach Vollendung der Bahn von der ganzen Sache zurückzuziehen.“

„Gewiß, Du hast mir schon vor Monaten davon gesprochen und der Entschluß hat mich schon damals befremdet. Warum willst Du zurücktreten von einem Unternehmen, das Du ins Leben gerufen hast, dessen eigentlicher Schöpfer Du bist?“

„Weil es mir nicht mehr einträglich genug erscheint,“ sagte der Präsident kühl. „Die Baukosten stellen sich sehr hoch, viel höher, als ich glaubte. Wer konnte denn auch mit all den Widerwärtigkeiten und Katastrophen rechnen, die wir durchmachen mußten, und dazu hatte Dein Vorgänger die Manie, so unglaublich solid zu bauen. Er brachte mich oft zur Verzweiflung mit dieser Solidität, die Unsummen gekostet hat.“

„Verzeih, Papa, aber diese ‚Manie‘ habe ich auch!“ erklärte Wolfgang mit einigem Nachdruck.

„Natürlich! Du bist bisher nur Ingenieur der Bahn gewesen und es konnte Dir sehr gleichgültig sein, ob sie einige Millionen mehr kostet oder nicht. Wenn Du bei künftigen Unternehmungen als mein Schwiegersohn pekuniär betheiligt bist, wirst Du anders darüber denken.“

„In solchen Punkten – nein!“

„Nun, dann mußt Du es lernen! In diesem Falle können wir uns übrigens nachdrücklichst auf die Vortrefflichkeit der ausgeführten Bauten stützen, wenn es zur Abschätzung kommt, und das wird voraussichtlich noch in diesem Jahre geschehen. Die Aktionäre müssen die Bahn übernehmen, das steht längst bei mir fest und ich habe bereits die einleitenden Schritte dazu gethan. Ich bin mit Millionen betheiligt, wo die anderen höchstens Zehntausende gezeichnet haben, und kann mich tatsächlich als Eigenthümer des Unternehmens betrachten. Ich werde also meine Bedingungen stellen und aus diesem Grunde ist es mir sehr lieb, daß Du jetzt als Chefingenieur an der Spitze stehst. Wir brauchen dann nicht Fremde ins Vertrauen zu ziehen, sondern gehen Hand in Hand.“

„Ich stehe Dir ganz zur Verfügung, Papa, das weißt Du, aber wie die Dinge liegen, wird die Abschätzung ziemlich hoch ausfallen.“

„Das hoffe ich!“ sagte Nordheim langsam und bedeutungsvoll. „Uebrigens ist die Berechnung schon zum größten Theil fertiggestellt, so etwas muß ja lange vorbereitet werden und fordert auch einen gewiegten Geschäftsmann. Dich konnte ich dafür nicht in Anspruch nehmen, Du hast genug mit der technischen Leitung zu thun, Du sollst schließlich die Abschätzungen nur revidiren und bestätigen und ich rechne in dieser Beziehung unbedingt auf Dich, Wolfgang. Das unumschränkte Vertrauen, das Du infolge Deiner bisherigen Leistungen genießest, wird uns die Sache sehr erleichtern.“

Wolfgang sah etwas befremdet aus; es war ja selbstverständlich, daß er seine Pflicht that und dem Schwiegervater möglichst zur Seite stand, aber hinter dessen Worten schien sich noch irgend etwas anderes zu bergen, sie klangen ganz eigentümlich. Zu einer weiteren Erklärung kam es indessen nicht, denn der Präsident brach ab und erhob sich.

„Schon vier Uhr! Wir werden bald zu Tische gehen; komm, Wolfgang, wir wollen die Damen nicht warten lassen.“

„Du hast Waltenberg mitgebracht? “ fragte Elmhorst, indem er gleichfalls aufstand.

„Ja, er empfing mich in Heilborn und begleitete mich hierher. Seine Geduld scheint in den vier Wochen auf eine harte Probe gestellt worden zu sein. Ich begreife den Mann nicht! Er ist doch stolz und eigenwillig genug, hochmüthig sogar in gewisser Hinsicht und läßt sich von den Launen eines Mädchens am Narrenseil führen. Jetzt werde ich aber ein ernstes Wort mit meinem Fräulein Nichte reden und ihr ein Entweder – oder stellen, die Sache muß endlich einmal zur Entscheidung kommen!“

Wolfgang schwieg, aber das unstäte Feuer in seinen Augen flammte wieder auf, heiß und verzehrend wie der Kampf in seinem Inneren. Er mußte es ja Tag für Tag mit ansehen, wie ein anderer offen und rückhaltlos um den Preis warb, der ihm schließlich doch wohl zufallen würde – das war mehr als Folterqual und sie wurde nicht leichter durch das Bewußtsein, daß sie verdient sei.

Sie hatten inzwischen das Nebenzimmer durchschritten und traten in den Salon, wo ein Diener soeben beschäftigt war, die Vorhänge aufzuziehen, die der Sonne wegen herabgelassen waren. Nordheim fragte, ob die Damen im Garten seien.

„Nur Baroneß Thurgau und Herr Waltenberg,“ lautete die Antwort. „Das gnädige Fräulein empfängt in ihrem Zimmer den Herrn Doktor.“

„Ah, der neue Arzt, den Du aufgespürt hast,“ sagte der Präsident, sich an seinen Schwiegersohn wendend. „Es ist ja wohl ein Jugendfreund von Dir? Jedenfalls versteht er seine Sache, denn Alice hat sich merkwürdig erholt in der kurzen Zeit. Ich war ganz überrascht von ihrem Aussehen und ihrer ungewohnten Lebhaftigkeit; die Kur des Herrn Doktors scheint förmlich Wunder gethan zu haben. Wie heißt denn eigentlich dieser Aeskulap von Oberstein? Du vergaßest in Deinen Briefen regelmäßig, den Namen zu nennen.“

Wolfgang hatte das allerdings vermieden, wenn auch nicht aus Vergeßlichkeit, jetzt aber konnte er der „Grille“ seines Freundes, wie er es nannte, nicht länger Rechnung tragen und antwortete ruhig:

„Doktor Benno Reinsfeld.“

Nordheim wendete sich mit einer jähen Bewegung um.

„Wie sagtest Du?“

„Benno Reinsfeld,“ wiederholte Elmhorst, betroffen durch den heftigen Ton der Frage.

Er hatte geglaubt, der Präsident werde sich kaum noch des Namens erinnern und jedenfalls nicht das geringste Interesse mehr an den alten Beziehungen nehmen, denen der jetzige Millionär so fern stand. Jene Erinnerung mußte aber doch wohl tief und nachhaltig sein, das sah man; Nordheims Gesicht zeigte eine fahle Blässe, es prägte sich Bestürzung, ja Schrecken darin aus und dieselbe Empfindung verrieth sich auch in seiner Stimme, als er rief:

„Und dieser Mann ist in Oberstein? ist setzt sogar in meinem Hause?“

Wolfgang wollte antworten, aber in dem Augenblick wurde die Seitenthür geöffnet und Benno selbst trat ein. Er stutzte zwar, als er den Präsidenten erblickte, blieb aber ruhig stehen und verneigte sich. Er hatte ja soeben von Alice gehört, daß ihr Vater angekommen sei, und mußte auf diese Begegnung gefaßt sein.

Nordheim errieth auf der Stelle, wen er vor sich habe, vielleicht entsann er sich auch noch der Persönlichkeit des jungen Arztes, den er vor drei Jahren flüchtig im Wolkensteiner Hofe gesehen hatte, ohne daß ihm der Name genannt wurde, und er war Weltmann genug, sich augenblicklich zu fassen. Scheinbar ganz ruhig und unbewegt nahm er die Vorstellung entgegen, aber auf diesen unbewegten Zügen lag noch immer jene eigentümliche Blässe.

„Mein Schwiegersohn hat mir bereits brieflich mitgeteilt, daß er Ihren Rath für seine Braut in Anspruch genommen hat,“ sagte er mit kühler Artigkeit. „Ich kann Ihnen nur dankbar sein, Herr Doktor, denn Ihre Bemühungen scheinen ein sehr günstiges Resultat zu haben, meine Tochter hat sich außerordentlich erholt. Sie stellen eine andere Diagnose als Ihre Herren Kollegen, wie ich höre?“

„Ich glaube bei dem Fräulein nur ein hochgradiges Nervenleiden annehmen zu dürfen,“ versetzte Benno bescheiden, „und habe danach meine Behandlung eingerichtet.“

„So? Die anderen Herren nahmen ziemlich allgemein ein Herzleiden an.“

„Ich weiß es, kann mich aber dieser Meinung nicht anschließen und der Erfolg meiner Kur scheint mir so auch Recht

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_630.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)