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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Untersuchung der Schule und der Schüler amtlich berichten. Die Einführung hygienisch gebildeter Schulärzte ist auch in Deutschland ein dringendes Bedürfniß; ihre Thätigkeit muß aber vor allem darin bestehen, die Güte der vorhandenen Einrichtungen bezüglich der Wirkung auf die Allgemeinheit der Kinder fortdauernd zu prüfen und die von den Lehrern gefundenen krankhaften Abweichungen der Schüler in Augenschein zu nehmen. Eine merkliche Verminderung der ansteckenden Krankheiten durch die Schulärzte zu erzielen, würde nicht einmal durch tägliche Untersuchungen zu ermöglichen sein und eine so große Anzahl von Aerzten erfordern, daß das Zusammenwirken zwischen Lehrer und Arzt verloren ginge. Für jeden größeren Schulbezirk würde nur ein Arzt anzustellen sein.

Noch ein anderes Thema, welches bis jetzt nicht in Betracht gezogen worden ist, gehört in den Bereich des Arztes, nämlich ein kurzer Vortrag über gewisse Kapitel der Gesundheitspflege in dem letzten halben Jahre der oberste Gymnasial-, Real-, Volksschul- und Fortbildungsklassen. Der Schüler soll darin nicht mit der Kenntniß der neuesten Untersuchungen aus dem Gebiete der Hygiene überbürdet werden, sondern aus dem Leben heraus die Gefahren erkennen lernen, welche dem Jüngling bei seinem selbstständigen Eintritt in das Leben in gesundheitlicher Beziehung entgegentreten.

Hiermit ist die Thätigkeit des Arztes in der Schule abgeschlossen; die Beobachtung des einzelnen Kindes ist für ihn nicht möglich. Dazu ist nur der befähigt, welcher das Kind fortdauernd vor Augen hat und eine jede Veränderung desselben mit Bezug auf Haltung, Farbe, Ausdruck berücksichtigen kann: dies ist der Lehrer. Durch seine Stellung als geistiger Erzieher muß er mit Nothwendigkeit während der Schulzeit auch dem körperlichen Befinden des Kindes sein Augenmerk zuwenden; er kann krankhafte Abweichungen oft früher entdecken, als dies im Hause geschieht, weil ihm der Vergleich mit normal gesunden Kindern täglich zu Gebote steht. Der Lehrer ist ferner zur Ueberwachung der Gesundheit seiner Schüler berechtigt, weil gegen die Schule oft die unbegründetsten Vorwürfe wegen Entstehung von Krankheiten erhoben werden, deren Ursachen vielfach nur im Hause zu suchen sind. Die Eltern sollten deshalb dem Lehrer für eine Benachrichtigung über den Gesundheitszustand ihres Kindes um so dankbarer sein, als das Institut der Hausärzte immer mehr in der Abnahme begriffen und daher von dieser Seite Aufklärung nicht zu erwarten ist. Um sein Wächteramt aber genügend erfüllen zu können, muß der Lehrer eine gewisse Kenntniß von einigen krankhaften Abweichungen des Organismus, Rückgratsverkrümmungen, Kurzsichtigkeit, den wichtigsten ansteckenden Krankheiten, sowie von allgemeinen Schuleinrichtungen, Ventilation und Heizung etc. besitzen. In den nachfolgenden Artikeln wollen wir nun den Versuch machen, eine kurze Erörterung dieses Stoffes aus dem praktischen Leben heraus zu geben. Es sind oft Kleinigkeiten, die herangezogen werden, doch verdienen sie für die Entwickelung des Kindes Berücksichtigung.

Eine Vorfrage, welche dem Lehrer oft von den Eltern gestellt wird, lautet: wie soll das Kind vor dem Besuch der Schule unterrichtet werden? Hier kommt eine Einrichtung in Betracht, deren häufig auftretende Nachtheile noch nicht überall die genügende Beachtung, besonders von behördlicher Seite, gefunden haben, nämlich die „Kindergärten“, nicht zu verwechseln mit den Kinderbewahranstalten, welche, fast stets gesund gebaut, für die ärmeren Klassen unserer Bevölkerung die segensreichste Wirkung ausüben. Während bei Schulbauten alles geschieht, um die Räume gesundheitlich so günstig wie möglich auszubauen, werden in Kindergärten mitunter (rühmliche Ausnahmen sind ja glücklicherweise auch nicht selten) in einem gewöhnlichen, gegen Norden gelegenen Miethlogis über 40 Kinder schon vom dritten Jahre an in gänzlich ungenügenden Räumen untergebracht; durch unpassende Beleuchtung, Sitze und Arbeiten, besonders das Ausstechen mit Nadeln, entsteht auf diese Weise schon im frühesten Alter die Grundlage der spätern Augen- und Schulkrankheiten. Ein Kind muß bis zum sechsten Jahre so viel durch eigene Beobachtung lernen, daß jeder methodische Lehrstoff vor diesem Alter zu verwerfen ist. Fernere Nachtheile schafft das längere Stillsitzen, weil hierdurch für den Organismus ungünstige Wachsthums- und Blutkreislaufsverhältnisse eintreten. Außerdem droht dem Kinde die Gefahr von ansteckenden Krankheiten schon in einem früherem Lebensalter, als dies im Hause durchschnittlich der Fall ist. Je älter aber ein Kind, desto leichter wird gewöhnlich eine derartige Krankheit überstanden. Diese Zustände in den sogenannten „Kindergärten“ fordern gebieterisch eine Abhilfe durch gesetzliche Bestimmungen und besonders folgende Punkte sind zu berücksichtigen:

1. Die Räume und Einrichtungen müssen in jeder Beziehung der modernen Gesundheitspflege und der Anzahl der Kinder entsprechen.
2. Die Aufnahme ist nicht vor dem fünften Jahre zu gestatten.
3. Der Zwang zum Stillsitzen darf nicht über eine halbe Stunde dauern.
4. Es sind Beschäftigungsmittel zu benutzen, welche den Augen nicht nachtheilig sind.
5. Jeder methodische Lehrstoff, welcher zur Schule Beziehung hat, ist verboten.
6. Bezüglich der ansteckenden Krankheiten müssen die Schulgesetze in größter Strenge zur Anwendung kommen.

Unmittelbar aus dem elterlichen Hause nimmt der Lehrer schon deshalb am liebsten das Kind entgegen, weil es dann im vollsten Umfange die Vorfreude und Sehnsucht nach der Schule mit sich bringt, die es schon Jahre lang in Spiel und Gedanken beherrscht hat. In dieser Vorfreude ist eben einer der Hauptgründe zu finden, daß das Kind die Anstrengungen der Schule in körperlicher und geistiger Beziehung nach der vollständige Freiheit so gut erträgt, und das Erhalte dieser Freude an der Schule besonders im erste Schuljahre ist von der größte Wichtigkeit für die gesammte geistige Entwickelung des Kindes.

Erwarten wir unsere Schuljugend früh beim Eintritt in die Schule, so finden wir immer noch in manchen Orten den Uebelstand, daß zu früh gekommene Kinder nicht das Schulgebäude betreten können, sondern vor der Thür eine Zeitlang warten müssen. Bei schlechtem Wetter wird dieses Warten leicht zu einer Quelle von Erkältungskrankheiten. Die Kinder müssen daran gewöhnt werden, die mittlere Durchschnittszeit innezuhalten, und nötigenfalls sind die Eltern zu benachrichtigen. Eine offene Hausthür im Schulhause für zu früh gekommene Kinder ist aber durchaus zu fordern.

Eine große Härte liegt oft auch in der Bestrafung der zu spät gekommenen Kinder. Vergleichen wir diesen Uebelstand an verschiedenen Schulen, so sehen wir in den Bezirksschulen, welche von den Kindern der weniger bemittelten Stände besucht werden, viel seltener diese Spätlinge. Der Vater muß hier früh das Haus verlassen, es wird zeitig gefrühstückt, das Kind kann, nachdem es in Ruhe seinen Kaffee getrunken hat, sich langsam zur Schule rüsten und zur rechten Zeit eintreffen. In den wohlhabenderen Ständen hat dagegen das moderne Leben eine größere Benutzung der späteren Abendstunden herbeigeführt; gleich den Eltern kommt auch das Kind oft erst spät ins Bett. Am Morgen schlafen die Eltern länger, das Dienstmädchen weckt das Kind, welches sich müde erhebt; die nothwendige Zeit zum Frühstück fehlt, im Stehen wird der Kaffee hinuntergegossen; zuweilen werden auf dem Schulwege noch einige Bisse gegessen, aber manchmal kommt das arme Kind vollkommen nüchtern, erregt an seinen Platz, um bald geistig zusammenzusinken und oft noch von dem Lehrer falsch beurtheilt zu werden und nachsitzen zu müssen. Die Schulordnung ist selbstverständlich aufrecht zu erhalten, doch sind vor allem in solche Fälle die Eltern zu benachrichtigen und dringend aufzufordern, dieser Unordnung abzuhelfen. Ein Kind bedarf 10 Stunden Schlafes, und eine jede Verkürzung desselben rächt sich bitter bei der Entwickelung des Organismus.

Hiermit hängt die Frühstücksfrage eng zusammen. Ich besuchte in der Frühstückspause verschiedene Schulen. In den Bezirksschulen aßen die Kinder ihre oft sehr ansehnlichen Butterbrote mit größtem Appetite; ich habe auch in diesen Ständen selten gehört, daß die Kinder ihr Frühstück unberührt aus der Schule mitbrächten, wie es bei besser situirten Kindern häufig die Klage der Mütter ist. Durch das übereilte späte Frühstück wird der Magen geschwächt, in der Pause ist kein Hunger vorhanden, nach der Schule stellt sich derselbe ein und das verspätet gegessene Brötchen verdirbt wiederum den Mittagsappetit. Oft wird auch das Frühstück vergessen und die Pause zu Schularbeiten benutzt. Dieser große bis jetzt nicht genügend hervorgehobene Fehler macht sich besonders in den höheren Schulen bemerkbar, und es muß hiergegen mit größter Strenge eingeschritten werden; die Pause soll ohne jede geistige Anstrengung verlaufen und nur der Ruhe gewidmet sein; die Hauptpause ist zum Frühstücken zu benutzen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_655.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2019)