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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Und lobet Gott den Herrn!“ schloß sie mit schallender Stimme, indem sie wieder die Treppe nach ihrem Wohngemach hinaufstieg.

Dort saß der Schloßhauptmann im flockigen Hauskleid und löffelte seine Morgensuppe.

„Nun habe ich alle Vorkehrungen getroffen,“ sprach sie, „daß Vetter Achatius erst geweckt wird, wenn er nur noch genug Zeit hat, sich schön zu machen für die Audienz. Mit dem Morgentrunk wird ihm der Befehl der Frau Herzogin gebracht, sich um die zehnte Stunde dazu einzufinden. Und es ist alles beschickt, daß hierauf das Abrücken des Alamodenarren ohne Anstand vor sich gehen kann.“

Der Schloßhauptmann lachte.

„Nu, nu! muß ich mein liebes Ehegespons mit einem seiner Sprüchlein strafen? Laß lieber nicht den Gast ins Haus, als wirfst Du ihn zur Thür hinaus.“

„Der Gast ist an hochgefiederter, wohlgespornter, weitgestiefelter Monsieur,“ schalt sie. „Ich begreife nicht, wie die ernsten Herzöge von Weimar einen solchen an ihrem Hofe dulden mögen.“

„Der Vetter hat dem weimarischen Haus von Kindesbeinen an treu gedient,“ war die Antwort. „In der unglücklichen Schlacht bei Stadt Lohn kämpfte er tapfer mit seinem Herzog Wilhelm und ließ sich mit ihm von dem General Illo in die Gefangenschaft nach Wien führen. Ich bin auch überzeugt, er hat ihn aus derselben lösen helfen. Der Plan, daß Herzog Wilhelm der Kaiserin seine spinnewebfeinen, aus Elfenbein gedrechselten Spinnrädchen und Weisen zum Geschenk sandte, ist gewiß von ihm ausgeheckt worden. Die erhabene Dame hat richtig darauf ihren ,Nandl‘ beredet, daß er dem Herzog durch einen Kapuziner die Freiheit verkünden ließ. Vetter Achatius wird mit allen Frauenzimmern fertig, selbst mit einer Kaiserin.“

„Um so weniger soll er eine unnütze Löffelei mit unserer Käthe anfangen,“ antwortete Frau von Tautenburg, und die steife Spitze ihrer Haube nickte nachdrücklich. „Wird der Utz kopfscheu gemacht, so fängt ihn am Ende gar die Hofjungfrau ab, die drüben immer ihre lange Nase hinter ihm her zum Fenster heraussteckt. Und meint mein werther Gespons, daß der Käthe nach dem Buntspecht der graue Holztauber noch gefallen wird? Wenn er auch alles hat, was ein Weib wünschen kann: ein Schloß, fruchtbares Land, Vorrathskammern, darin es aussieht wie im Lande Gosen, wo Milch und Honig fleußt, einen Garten, in welchem sogar Melonen wachsen -“

„Und auch eine starke treue Hand,“ unterbrach der Schloßhauptmann ihre Rede, „unter deren Schutz unser Kind in den jetzigen schlimmen Zeitläuften wohlgeborgen wäre.“

Sie nickte. Dann meinte sie sorglich:

„Wenn ich nur wüßte, wo wir die Käthe heute verbergen könnten, bis der ungebetene Gast abgeritten ist.“

Er lachte in sich hinein.

„Auf dem Taubenschlag. Junker Utz schickte vorhin an Paar Turteltauben in einem Bäuerlein. Da hat sie genug zu thun, um selbige in einem besonderen Gitter unterzubringen. Ja, solch ein Taubenschlag ist eine fürtreffliche Einrichtung.“ –

(Fortsetzung folgt.)

Menschenrettung bei Theaterbränden.
Von W. Döhring, Pr. Regierungsbaumeister und Branddirektor der Stadt Leipzig.

Gott zur Ehr’, dem Nächsten zur Wehr.

Nur wenige Monde noch, dann jährt sich zum siebenten Male der bedeutungsvolle Tag, an welchem Wien von der furchtbaren Ringtheaterkatastrophe heimgesucht worden ist; beinahe zwei Jahre sind im rasch dahinfließenden Zeitenstrome verrauscht seit dem namenlosen Brandunglücke bei der Opéra comique in Paris, und das Jahr 1887 kann als eines der traurigsten in der Chronik der Theaterbrände verzeichnet werden. Sechzehn Schauspielhäuser und Vergnügungslokale wurden von Flammen zumeist völlig verzehrt; in drei Theatern – der Komischen Oper zu Paris, dem Alcazar-Theater in Hurley und dem Opernhause in Stockport – sind zusammen 277 Personen verbrannt, siebzehn wurden im Gedränge auf der Flucht erdrückt. Zusammen kamen also 294 Menschen ums Leben, zwanzig wurden schwer, viele leicht verletzt. Fürwahr, eine reiche Auslese des Todes gerade an jenen Stätten, welche dem Vergnügen und der Erholung gewidmet sind. Keine noch so rege, aufrichtige und warmgefühlte Theilnahme für die unglücklichen Hinterbliebene der Opfer solcher Schreckensscenen, keine noch so wohlthätige Handlungsweise von Behörden und Menschenfreunden vermag die heftig blutenden Wunden der trauernden Herzen zu stillen und deren Schmerzen zu lindern, welche zumeist unverantwortlicher Leichtsinn geschlagen hat. Selbst strengste Verurtheilung der Schuldigen vermag dies nicht. –

Von der Redaktion der „Gartenlaube“ bin ich gebeten worden, ihr einen kleinen Beitrag über das so hochwichtige Gebiet der Menschenrettung aus Feuersgefahr und über die neueste Taktik der Massenrettung von Menschen bei Theaterbränden zu liefern. Diesem Wunsche komme ich sehr gern nach, und die Erörterung der häufig auftretenden, durchaus berechtigten Frage des großen Publikums, wie es mit der Rettung von massenhaft bedrohten Menschenleben beim Ausbruch einer Katastrophe bestellt ist, erscheint mir darum sehr zeitgemäß, weil die beklagenswerte Thatsache, daß selbst zweckdienliche Hilfsmittel zur Rettung von Menschen bei dem Brande der Opéra comique in Paris gänzlich fehlten, auch für die Stadtverwaltungen eine Mahnung sein mag, welche für den Feuerschutz und die Ausrüstung der Feuerwehr Sorge zu tragen haben; eine ernste Mahnung mag es sein, daß falsch angebrachte Sparsamkeitsrücksichten, Unterlassungssünden und Verschleppungen sich erfahrungsmäßig schwer rächen.

Im Anschluß an diese Mahnung muß an dieser Stelle aber auch betont werden, daß, wie dies seit dem Urbeginn staatlicher und kommunaler Systeme der Fall gewesen ist, nach Heraufbeschwörung von Katastrophen jedesmal ein Impuls der Reinwaschung sich bemerkbar macht, immer bei denjenigen, welche in erster Linie berufen sind, für die Verhütung solcher unverantwortlichen Unglücksfälle dasjenige zu thun, was nach menschlichem Ermessen immer nur thunlich ist. Niemand will aber dann schuld haben, jeder hat dann seine Schuldigkeit gethan. Es sei nur an die bekannten Gerichtsverhandlungen in Wien und Paris erinnert! Wie zu alter Zeit bei den Römern, wenn eine Schlacht verloren ging, so besteht leider auch noch bei uns das sogenannte Abwälzungsprinzip, und wie bei diesen, so sehen wir auch heute noch nach vielem Hin- und Herdebattiren den Abschluß so mancher wichtigen Berathung und Verhandlung über Entstehung und Verhütung solcher Unglücksfälle im Sande verlaufen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_692.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)