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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

der Innenseite der Umfassungsmauer empor – hinabgestürzt. So sagte das weinende Kind aus, welches die Unglückliche auf dem verhängnißvollen Gange begleitet hatte und nun jammernd und verstört die steile Treppe herabkam.

Das Ausbleiben des gewohnten Vespergeläuts hatte ein wahres Wunder gewirkt und die Dornröschenstadt im Nu geweckt und mit Menschen gefüllt. Es waren wohl sämmtliche Bewohner des kleinen Ortes, die nun, dürftig gekleidet, aber größtenteils den Ausdruck tiefen Mitgefühls in den Zügen, den Campanile umstanden. Drinnen hatte sich ein schönes junges Mädchen – die ältere Schwester, wie wir erfuhren – laut schluchzend und ihr reiches dunkles Haar zerraufend, über die Todte geworfen. Es war ein herzzerreißendes Bild. Drängte es sich wohl in die Träume des jungen, schwarzlockigen Gondelführers, der jetzt vielleicht gerade, sein schmelzendes „Bella Venezia“ singend, schwatz- und schaubegierige Forestieri von Palazzo zu Palazzo ruderte? Flehte er wohl eben zur Santa Madonna della Salute, ihm reichlichen Verdienst zur Beschleunigung seines Glückes zuzuwenden? Malte er sich rosige Zukunftsbilder aus, die ihm sein dunkeläugiges Liebchen zeigten, den Brautkranz auf der klaren Stirn, wie sie an seiner Seite vor den Altarstufen des alten Domes zu Torcello kniete? Armer Bursche! Wie bald wird deine lichte Traumwelt zerrinnen, wie jäh ein rauher Frost den blühenden Liebesfrühling deines jungen Herzens vernichten!

Man hatte inzwischen die Leiche in ein rasch herbeigeschafftes, mit zwei Rudern bemanntes Boot geladen, um sie zum Begräbniß nach dem nahen Burano zu bringen. Uns aber, die unser Rückweg gleichfalls an Burano vorüberführte, ersuchte man, auf dem dortigen Bezirksgericht die nöthigen Aussagen über den traurigen Vorfall, von welchem wir fast unmittelbar Augenzeugen gewesen, zu leisten.

Die halbstündige Fahrt nach Burano gehörte zu jenen Erlebnissen, deren Eindrücke niemals wieder aus unserer Erinnerung schwinden können. Selten fanden Jugend und Schönheit ein Grabgeleite von wehmütigerer Romantik. In der großen, uns voran rudernden Barke lag die Leiche; ein weißes Tuch bedeckte die Umrisse des jugendlichen Körpers, welchen die in trostloser Verzweiflung vor sich hinbrütende Schwester mit ihren Thränen netzte. Selbst die rauhen, bärtigen Ruderknechte schienen wehmüthig bewegt; ernst und stumm führten sie das Boot im raschesten Tempo über die stillen, glatten Wellen. In dem langen Silberstreifen, welchen es hinter sich ließ, folgte unsere Gondel mit ihren gleichfalls stillen und traurigen Insassen. Das weite Himmelsrund aber schwamm in Gold und Purpur. Dunkelblau zeichnete sich die Alpenkette vom westlichen Firmament ab, schon zur Hälfte das scheidende Tagesgestirn verdeckend, das mit seinen letzten glühenden Strahlen Meer und Inseln in Feuer tauchte und die leblose weiße Gestalt im Boote überfluthete, die all diesen Glanz nun nimmermehr schauen sollte.

Der traurigen Pflicht in Burano rasch entledigt, setzten wir später am Abend bei langsam aufsteigendem Vollmond unsere Fahrt nach Venedig fort. Noch lag der Bann des eben Erlebten mit schwerem Druck auf uns; wir hatten kaum ein Auge für die berauschende Pracht der Juninacht, die uns auf mondbeglänzter Meeresfläche umwob, für den leuchtend klaren Nachthimmel, der so hehr und feierlich auf uns herniederschaute. Unsere Gondolieri hatten ebenfalls Singen und Scherzen verlernt; eintönig plätscherte ihr Ruder durch die nächtliche Stille.

Endlich stieg Venedig wie ein lichtstrahlendes Feenmärchen vor uns auf. Von der Piazzetta schimmerten Hunderte von Lichtern weit ist die Lagunen hinaus, aus den Kanälen tönte der Ruf der Gondelführer und auf dem tageshell erleuchteten Markusplatze wogte bei den schmetternden Klängen der Militärmusik Kopf an Kopf – allüberall der Ausdruck des heitersten Lebensgenusses, der blühendsten Sinneslust. Und wir hatten eben erst dem Tode ist das unerbittlich strenge Auge geschaut, hatten seinen ernsten, mahnenden Hauch verspürt und – verstanden. Welche Kontraste bietet doch oft ein einziger Tag im menschlichen Dasein!

„Es singt und klingt mir im Gemüth
Vom Morgen bis zum Abendroth:
Das Leben ist ein süßes Lied,
Sein bitt’rer Kehrreim ist der Tod.“

Der schwermuthsvolle Klang dieser Verse von Paul Heyse – freilich waren sie damals noch nicht gedichtet – giebt am besten die Stimmung wieder, welche mich an jenem Abend beherrschte und lange nicht wieder in mir verblassen wollte. Mehr als ein Menschenalter ist seitdem über mich hinweggerauscht, aber noch schwebt mir das Bild des verfallenen Torcello, der unglücklichen Giuseppina und des schwergeprüften deutschen Dichters, in dessen Gesellschaft ich all das seltsame gesehen und erlebt, in merkwürdiger Klarheit vor der Seele.

Den letztgenannten sah ich, nachdem ich Venedig bald darauf verlassen, später nochmals in Rom, dann niemals wieder. Ihm ward die träumerische Lagunenstadt zur zweiten Heimath; er verließ sie auch dann nicht, als – acht Jahre nach dem Erzählten – in ihren Mauern, durch orientalische Schiffe hereingeschleppt, die Cholera ausbrach. Es war kein glückliches Leben, welches damals neben tausend und aber tausend anderen dem asiatischen Würgengel zum Opfer fiel.




Der Lehrer als Wächter der Gesundheit.
Von Dr. med. Taube.
II.

Betreten wir das Schulzimmer am Beginne und Ende der Schule, so ist selbst bei der besten Ventilation eine Luftverschlechterung festzustellen, es beweist dieses der einfachste Luftprüfer, unser Geruchsorgan. Hierdurch wird aber zugleich der Beweis geliefert, daß es nicht die Kohlensäureanhäufung allein ist, welche die Luft verdirbt – dieselbe ist ein geruchloses Gas –, sondern daß zugleich mit der Atmung und Verdunstung in die Luft aufgenommene Stoffe es sein müssen, durch welche der Geruch der verdorbenen Luft verursacht wird, die auf das Allgemeinbefinden einest so Ekel erregenden Einfluß hervorbringt. Neuere Untersuchungen zeigen, daß die in solcher Luft enthaltenen Substanzen in konzentrirter Form dargestellt in die Reihe der Leichengifte zu stellen sind, also zu den stärksten Giften gehören.

Da mit der Zunahme dieser Stoffe durchschnittlich gleichzeitig eine Vermehrung der Kohlensäure verbunden ist, so wird die Menge der Kohlensäure bestimmt, um den Grad der Luftverschlechterung zu finden. Die reine Außenluft enthält ungefähr 0,03 Theile Kohlensäure, also eine sehr geringe Menge, in 100 Theilen Luft und gegen 30 Theile Sauerstoff, den Stickstoff brauchen wir nicht in Berücksichtigung zu ziehen. In diese reine Luft giebt das stark kohlensäurehaltige Blut in den Lungen leicht seine Kohlensäure ab, so daß die ausgeathmete Luft über 100 Mal so viel Kohlensäure, 5%, enthält. Es werden ungefähr in der Stunde 33 Gramm Kohlensäure ausgeathmet, bei 50 Kindern 1650 Gramm in der Stunde. Diese Menge erklärt sich durch den ganz außerordentlichen Flächenraum der Lungen. Denkt man sich nämlich die kleinen Lungenbläschen auseinandergezogen auf eine Fläche gelegt, so würde dieselbe ungefähr 2000 Quadratfuß ausfüllen. Kinder athmen zwar absolut etwas weniger Kohlensäure aus, aber auf ihr Körpergewicht berechnet die doppelte Menge wie ein Erwachsener, hierdurch entsteht eine fast gleiche Zahlengröße. Die Wärme der Ausathmungsluft ist von der eingeathmeten ziemlich unabhängig; nur bei hohen Kältegraden der Außenluft sinkt auch die Temperatur der ausgeathmeten Luft, sonst wird sie in den Lungen fast bis zur Höhe der Körpertemperatur erwärmt. Ferner wird die Luft in den Lungen noch vollständig mit Wasser gesättigt, es verliert ein normaler Mensch gegen 50 Gramm Wasser täglich durch die Athmung. Je mehr Kohlensäure sich in der Außenluft anhäuft, desto schwerer löst sich die Kohlensäure des Blutes, so daß zuletzt, selbst wenn in der Luft noch genügender Sauerstoff vorhanden ist, Kohlensäurerückfall im Blute, also Erstickung eintreten muß.

Fortdauernd reine Luft ist eine Grundbedingung für den Schüler, aber leider nicht immer vorhanden. Während die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_702.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)