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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Herzen. Der aurorafarbige Rock war kurz geschürzt, wie bei einem Landmädchen, das Leibchen mit Perlen verschnürt gleich einem Mieder; aus den langen Locken skalierte ein Rosenband.

Die Fächer sanken nieder. Aller Blicke richteten sich auf sie. Dann tönte es laut von allen Lippen: „Astrea!“

„Ja, Astrea,“ sagte Dorothea und pflanzte ihren Schäferstab auf wie ein Krieger seinen Speer. „Astrea, die kommt, um den Bund der Tugendlichen zu fragen, warum sie sich zu einem solchen vertrockneten Leben kondemniret haben. Sind wir nicht zusammengekommen, um uns ein Plaisir zu machen? Und ist es ein solches, die geknüpften Borten zu beschauen, daran sich die Damen die Augen ruiniret haben? Rezepte aufzuzeichnen, nach denen alles, was kreucht und fleugt, am Spieße gebraten wird? Gestehen Sie es frei! Nicht Kurzweil finden wir dabei, sondern Langeweile.“

Beistimmendes Gemurmel ging durch die Reihen der Damen.

„Längst haben die Fürstinnen anderer Höfe erkannt,“ fuhr Dorothea fort, „daß unsre Ergötzlichkeiten einer Umwandlung hoch bedürftig sind. Und sie haben ein anmuthiges Spiel erfunden, um dem abzuhelfen. Aus dem Roman ‚Astrea‘ entlehnen Herren und Damen die Namen der Schäfer und Schäferinnen, die sie in Affektion genommen hohen. Das Frauenzimmer geht einher, begleit von Lämmern, die seidene Schleifen um den Hals tragen. Die Kavaliere folgen demüthig ihren Spuren, den Schäferstab in der Hand, an welchen die Kürbisflasche gebunden ist. Jede Schäferin kürt ihren Schäfer, und dieser ist verobligiret, sie zu adoriren. Er klagt in den Grotten den Najaden sein Liebesleid oder ruft im schön gepflegten Buschwerk mit sehnlichem Verlangen nach seiner Schäferin.“

Wie ein Sturm brach die Begeisterung los. „Das ist ein herrliches Spiel, wohl geschickt, die Langeweile aus der Welt zu schaffen.“

„Wohlan,“ rief Dorothea, „wir wollen dieser Landplage von hinnen helfen! Meine Hirtentasche setze ich gegen die gestickten Rapunzeln und die gebratene Löffelgans ein. Stellen Sie Nadel und Kochbuch zur Ruhe und armiren Sie sich mit diesem Stab. Einen Hirtenverein wollen wir gründen, an Diskursen über unsre zartesten Empfindungen uns erlaben. Denn wichtiger als die Verfeinerung unserer Küche und Handarbeit ist die Verfeinerung unserer Sentiments.“

Eine allgemeine Erhebung folgte.

Nur die Frau Witwe warnte: „Mich dünkt das ein gefährliches Fürhaben. Denkt an unsre drei Gelübde. Zum ersten: Tugendliches Leben; zum zweiten: Gegenseitige Freundschaft; zum dritten: Weibliche Arbeiten. Wer weiß, wie die Palmgenossen über Schäferspiele denken?“

Aber die gelehrte Herzogin Christine antwortete: „Es liegt in jeder Frauenseele, selbst in der schlichtesten, ein Zug, der über die Alläglichkeit hinausstrebt. Vielleicht kann ein Hirtenverein eine unschuldige Zuflucht sein für manche Frau, deren Sehnsucht nach einem edleren, höheren Dasein nicht verstanden wird. Und wenn wirklich hier und da die allzu holde Auffassung dieser Welt eine kleine Verwirrung, in den Frauenköpfen stiftet, so wird dieses reichlich dadurch ausgewogen, daß auch in manch armes Leben ein Sonnenstrahl der Poesie fällt und die Phantasei wenigstens mit schönen Bildern füllt.“

„Ja, wir wollen einen Schäferorden gründen, vieltheuere Schwägerin, und ich werde eine liebevolle Mutter fürstellen,“ rief triumphirend die kinderlose Herzogin von Koburg.

„Und ich die Nymphe Silvia mit den vergüldeten Stiefelein,“ trumpfte die Gräfin von Mansfeld, eine sehr unternehmende Dame, auf.

Das jüngste fürstliche Fräulein, welches während der Berathung heimlich Puppenhüte aus Lindenblättern gemacht hatte, zwitscherte dazwischen: „Daß mir nur niemand die hochverständige Schäferin Diana wegschnappt, die Augen wie Feuer und ein Herz wie Eis hat.“

„Ich befehle mir den Herzog Bernhard,“ jubelte ein anderes fürstliches Fräulein auf, das noch bis an die Ohren in einem steifen Halskräglein steckte.

Und das dritte hob drohend ein Fäustchen. „O, wie wollen wir den frommen Herzog Ernst nach uns schmachten lassen. Warum hat er mit uns gesprochen, als sei er ein Präceptor und wir kleine Schützen!“

Ein Raunen und Flüstern unter dem jüngeren Frauenzimmer wurde endlich in den Worten laut: „Und Ihre fürstliche Gnaden, die Herzogin Dorothea, soll die Astrea sein in unsrem Hirtenverein.“

Einige der Damen begannen bereits in den Lindenästen zu knacken, um sich Hirtenstäbe herauszubrechen.

Die Pagen wurden gerufen, und bald schnitzelten auch sie in den Buchengängen. Die bunten Seiden- und Wollenfäden, welche zu den Stickereien mitgebracht waren, dienten dazu, Zweige und Blumen um die Stäbe zu winden.

„Ich werde meinen Schäferstab mit Rauke schmücken,“ sagte die Herzogin Eleonore lächelnd. „Pflückt mir einen Strauß von dem balsamischen Kräutlein, liebe Hellingen.“

„Wollet mir den Purpurfaden anknüpfen, Jungfrau Gertrud; ich verstehe keinen Kreuzknoten zu machen,“ bat die eine Eisenacher Hoffjungfrau.

„Wenn Ihr mir doch die Maiglöckchen schenktet, die Ihr vorgesteckt habt; ich möchte meinen Stab damit krönen,“ wünschte der Cherub.

„Trude, borg’ mir Deine Florschleife,“ heischte Benigna.

Gertrud half, wo es verlangt wurde. Sie selbst trug kein Begehren nach einem Schäferstab. Im Ernst bewarb sich niemand um die Liebe des blutarmen, unscheinbaren Mädchens, und zum leichtfertigen Liebesspiel war sie zu stolz.

Käthchen saß stumm und wand alle von den andern verschmähten Maßliebchen, und Butterblümchen zusammen. Es wurde ihr ordentlich wohl dabei. Die kleinen Blumengesichter sahen sie hier in Weimar so vertraut an wie daheim. So gelb, so weiß mit rothen Blattspitzchen schauten sie aus dem Rasen, der die Domburg umgab, und so saß sie gar oft im Hain, band sich einen Kranz, setzte ihn auf und kam damit auf den Hof. Da stand dann das ganze Ingesinde und schlug die Hände zusammen über die Schönheit.

Ach! Wer doch in dem lieben friedlichen Nestchen wäre, wo es keine Falschheit gab, wo die Leute wußten, welch eine wichtige Person die Käthe war! Ob wohl die Zeit nur endlich wieder kommen würde, da sie zurückkehrte?

„Die Sitzung der Palmgenossen ist zu Ende,“ verkündigte die Gräfin von Rudolstadt, durch die Zweige lugend. Dort kommen die Herren.“

„So wollen wir ihnen unsren Beschluß zu wissen thun,“ sagte Christine, einen Diamantstern auf ihrem Stab befestigend.

„Und die Schäfer küren!“

„Und die lieblichen Diskurse anheben!“ riefen die Damen durch einander und eilten dem Ausgange zu.

„Wer der Celadon sein wird, darüber brauchen wir uns nicht den Kopf zu zerbrechen,“ sprach lächelnd die kinderlose Mutter und folgte den andern.

Die Schäferinnen stürmten die Wendelstiege hinab. Mit hocherhobenen Köpfen nahten die Palmgenossen vom Birnbaum her, der leise über ihnen seinen blühenden Wipfel schüttelte.

„Ich wähle den stattlichen Grafen von Mansfeld, “ entschied sich die hochverständige Diana, fürbaß eilend wie beim Haschenspiel.

Aber seine Gemahlin mit den güldenen Stiefelein zürnte, sie an: „Jede Frau behält ihren Mann! So ist’s Brauch hier zu Lande.“

Das andere Fräulein marschirte auf den Herzog Ernst los. Dieser sah verwundert auf die kleine Prinzessin und befahl einem Hofjunker: „Ruft die Gubernantin dieses Fräuleins!“

Bernhard wehrte das Dämchen mit dem hohen Halskräglein lachend ab. „Ich bin Aristander, der schon im Anfang des Romans gestorben ist.“

Klagend lief das junge alamode Gesindlein zu seinen Müttern.

Aber auch den älteren Damen ging es nicht besser. Hinter einem kugelrund gezogenen Maßholder zankte sich ein Ehepaar.

„Nur nicht in der Luft herum gegangen! Immer mit den Füßen auf der Erde geblieben!“ griesgramte der Herr.

„Das besorgt Ihr weidlich! Heißt Ihr doch der Gemästete und führt einen Scheffel fetter Bohnen als Bild,“ barmte die Frau.

„Mein wertster Bräutigam heißt fortan Dämon,“ flüsterte die kunstfertige Stickerin dem jungen Faselnden zu, der am Bassin die heiße Stirn kühlte.

Dieser aber hob das Haupt. „Der Mann verleiht dem Weibe den Namen, nicht umgekehrt.“

Aus einer Grotte säuselte es: „Ich ernenne Euch gnädigst zu meinem Schäfer.“

„Das wollet gnädigst abwarten,“ brummte es dagegen. „Der Mann kürt, nicht die Frau.“

„Redet doch nicht so grobianisch.“

„Ich rede deutsch.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_762.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)