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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Die Alpenfee.
Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Gronau war sehr betroffen über den Einblick in die Behandlung der Ehemänner, welchen ihm Frau Doktor Gersdorf soeben eröffnet hatte. „Fügen die Ehemänner denn immer sich so ganz geduldig?“ fragte er etwas zaghaft.

„Immer! Und es ist auch stets zu ihrem Besten. Uebrigens finde ich es sehr dankenswerth daß Sie sich so angelegentlich mit dem Glücke und der Heirath meines Vetters beschäftigen. Warum sind Sie denn eigentlich noch Junggesell, Herr Gronau?“

„Ich?“ Veit machte ein höchst verblüfftes Gesicht bei dieser Frage, deren Zweck er vorläufig noch nicht errieth, aber er sollte nicht lange im Unklaren darüber bleiben, denn Wally fuhr mit Nachdruck fort:

„Ein Junggesell ist etwas Trauriges, etwas Frevelhaftes sogar! Diese Menschensorte müßte eigentlich von Staatswegen verboten werden. Das habe ich Benno auseinandergesetzt, gleich das erste Mal, als ich ihn sah. Hier an dieser Stelle habe ich ihm erklärt, daß ich mich seiner annehmen und ihn möglichst bald verheirathen werde, und ich halte Wort.“

Jetzt machte Gronau einen Versuch, entsetzt aufzuspringen; er schien zu fürchten daß „diese Stelle“ auch ihm verhängnißvoll werden könnte, aber Frau Doktor Gersdorf hielt ihn fest.

„Bitte, bleiben Sie sitzen, wir sind noch nicht fertig. Sie sind mir noch Antwort auf meine Frage schuldig.“

Die kleine Hand zog den riesigen Mann sehr energisch auf das Sofa nieder und ebenso energisch klang die Wiederholung der Frage:

„Warum sind Sie Junggesell?“

„Ich habe ja weder Haus noch Herd,“ stotterte er. „Ich bin seit Jahren von Land zu Land gezogen.“

„Das hat Herr Waltenberg auch gethan, und Fräulein von Thurgau reicht ihm doch die Hand,“ entgegnete Wally schlagfertig. „Wohin gehen Sie zunächst?“

„Nach – nach Hinterindien!“ erklärte Veit, der auf diese Weise loszukommen hoffte.

Die kleine Frau machte ein etwas bedenkliches Gesicht.

„Das ist sehr weit und da wird es schwer halten, Ihnen eine ordentliche Frau zu verschaffen, aber ich werde sehen, was sich thun läßt.“

„Ach nein, gnädige Frau, thun Sie das lieber nicht!“ bat Veit in wahrer Herzensangst.

„Was meinen Sie damit, Herr Gronau? Ich will doch nicht hoffen, daß Sie eine Abneigung gegen die Frauen oder gegen die Ehe haben?“

Die Frage klang sehr scharf und das vom Eifer des Gespräches geröthete Gesichtchen nahm einen so strafenden Ausdruck an, daß der Sünder keine Erwiderung wagte, sondern nur zerknirscht das Haupt senkte. Das stimmte Frau Doktor Gersdorf etwas gnädiger.

„Wie gesagt, ich werde mich auch Ihrer annehmen,“ versicherte sie, „aber erst muß mein Vetter verheirathet werden.“

„Ja, das ist die Hauptsache, das muß zuerst geschehen!“ rief Gronau mit einem Enthusiasmus, der die junge Frau entzückte. Sie ahnte ja nicht, daß es nur der Aufschub war, der ihn so sehr begeisterte.

„Und bis dahin sind wir Bundesgenossen und Mitverschworene, “ sagte sie feierlich. „Schlagen Sie ein!“

Dem braven Veit wurde es ganz eigen zu Muthe. Er konnte dies zierliche, rosige Händchen, das sich ihm entgegenstreckte, doch unmöglich drücken und schütteln und mußte gleichwohl ein Zeichen des Einverständnisses geben. Einige Sekunden zögerte er noch, dann aber geschah das Unerhörte, Veit Gronau beugte sich nieder und drückte seine Lippen auf jene rosigen Finger, etwas ungeschickt zwar, aber es war doch zweifellos ein Handkuß, der mit Genugthuung aufgenommen wurde. Wally fand, daß dieser Bär anfing menschlich zu werden; aber während sie sich noch darüber freute, sprang er plötzlich wie von der Tarantel gestochen auf.

„O diese Schlingel! Diese gottlosen Schlingel!“

„Was ist denn? Was giebt es?“ fragte die junge Frau erschrocken; aber jetzt gewahrte sie auch die Veranlassung dieses Ausbruches, ein schwarzes und ein braunes Gesicht, die sich draußen an die Fensterscheiben drückten so eng, daß ihre Nasen ganz platt erschienen, und vier schwarze Augen, die mit brennender Neugierde in das Zimmer starrten.

„Wartet, ich werde Euch spioniren lehren!“ ries Gronau, indem er wüthend nach dem Fenster eilte, worauf die beiden Gesichter blitzschnell verschwanden.

„So lassen Sie die Leute doch hereinschauen,“ sagte Wally ruhig. „Aber jetzt müssen wir abbrechen, ich muß nachsehen, ob das Liebespaar da drinnen noch immer bei der ewigen Trennung ist. Auf Wiedersehen, Herr Gronau!“

Sie neigte graziös den Kopf und ging in das Nebenzimmer, während Veit durch die Hinterthür das Haus verließ und Anstalt machte, den beiden Neugierigen eine derbe Strafpredigt zu halten. Aber es kam nicht dazu, denn Said grinste ihm voller Freude entgegen:

„O, Master Hronau hat jetzt auch eine Dame!“

„Und eine serr schöne!“ fügte Djelma ebenso vergnügt hinzu.

„Was? Bildet Ihr Euch etwa ein, daß die Geschichte da drinnen mich anging?“ fuhr Gronau entrüstet auf. „Ich habe mit der Dame ja nur Heirathspläne gemacht!“

Das unvorsichtige Wort war kaum heraus, als er es auch schon bereute, denn die Wirkung war eine sensationelle. Said fuhr drei Schritt zurück und sein Genosse stand wie versteinert da, während sie beide das Wort: Heirath wie aus einem Munde wiederholten.

„Gleich heut?“ fragte Djelma, während der Neger bedenklich einwarf:

„Aber Missis Gersdorf ja schon ist verheirathet!“

„Gerechter Himmel, jetzt glauben diese beiden Schafe, daß ich selbst heirathen will!“ rief Veit verzweiflungsvoll und bemühte sich, ihnen klar zu machen, daß die besagten Pläne ja einem ganz anderen, einem Wildfremden gegolten hätten, aber vergebens. Die beiden hatten es mit eigenen Augen gesehen, wie ihr Mentor eine Viertelstunde lang im vertraulichen Gespräche mit einer Dame verweilte und ihr schließlich die Hand küßte. Sie beharrten steif und fest auf ihrem Glauben, daß er diese Dame heirathen wolle, und begannen die Frage zu erörtern, ob man sie gleichfalls mit auf die Reise nehmen werde und ob Master Gersdorf damit einverstanden sein werde.

Veit sah endlich die Unmöglichkeit ein, diese afrikanische und indische Begriffsverwirrung zu heben. Allerdings ging er dabei auch nicht mit der gewohnten Energie zu Werke, denn er fühlte sich in gewisser Hinsicht schuldig. Er, der abgesagte Ehefeind, hatte sich mit schmählicher Verleugnung all seiner Grundsätze in ein Komplott eingelassen, dessen Zweck war, den Doktor Reinsfeld in das Ehejoch zu zwingen! Und wenn der besorgt und aufgehoben war, dann kam er selbst dran, das hatte ihm Frau Doktor Gersdorf ja bereits angekündigt!

„Gott bewahre mich vor diesem Kobold!“ murmelte er wüthend. „Ich glaube, wenn die Sache noch eine halbe Stunde länger gedauert hätte, ich wäre in der That auf irgend eine Weise verheirathet worden, ohne zu wissen wie!“


Im Wolkensteiner Gebiet herrschte seit drei Tagen ein Unwetter, wie es selbst hier in den Bergen für unerhört galt. Die Stürme, die sonst erst im November einzutreten pflegten, waren diesmal einige Wochen früher losgebrochen und tobten nun mit entfesselter Gewalt. Dazu strömte der Regen Tag und Nacht, in einzelnen Thälern waren Wolkenbrüche niedergegangen, die Ströme und Bäche stiegen mit reißender Macht, zerrissen ihre Ufer, überflutheten die ganze Umgebung, die Verbindung mit Heilborn war unterbrochen, der Verkehr selbst mit den nächsten kleinen Ortschaften nur mit Mühe aufrecht zu erhalten und die Gefahr stieg von Stunde zu Stunde.

In der Nordheimschen Villa hatte man bereits die Vorbereitungen zur Abreise getroffen, sie aber wieder aufgeben müssen, denn bei diesem Wetter war an Reisen nicht zu denken, und doch sehnten sich alle fortzukommen, denn es lag wie ein drückender Bann auf dem ganzen Hause.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 802. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_802.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2019)