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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

kämen, von denen ihr nur dunkle Erinnerungen zurückblieben. Was sie sah und worüber sie derartig sich ausließ, spielte sich aber in der That im Schlosse zu Windsor zur selben Zeit ab. Prinz William hatte sich vertrauensvoll seiner Mutter zuerst entdeckt. Sie war erschrocken, doch sie zürnte ihm nicht. Sie erkannte theils ihre Mitschuld daran, daß das Liebesspiel ihres Sohnes mit Karoline, zu dem sie ja förmlich ermuntert hatte, so ernste Bedeutung und geheiligte Gebundenheit erhalten; theils konnte sie ihre merkwürdige Theilnahme für des Generals Tochter auch in diesem Fall nicht verleugnen; sie würde daher ihren Segen zu der Heirath gegeben haben. Doch der König! Bei seinem halsstarrigen Charakter und seiner strengen Denkart, bei seiner durch Wahnsinnsanfälle gesteigerten Reizbarkeit war nicht zu erwarten, daß er die Thatsache einer solchen Ehe seines dritten Sohnes ruhig hinnehmen werde, nachdem er eine ähnliche seines Erstgeborenen vor Jahren verflucht.

Die Königin übernahm es gleichwohl, für ihren William beim Vater ein gutes Wort einzulegen. Aber es kam, wie sie vorausgesehen. Der König war außer sich, erging sich in den härtesten Ausdrücken über seinen Sohn und auch gegen den abwesenden General von Linsingen, erklärte die Ehe für null und nichtig, und es war seine Art nicht, seinen Sinn zu ändern. Nicht, daß er hierbei den geistesgestörten Mann zeigte, seine Gründe waren unwiderleglich vernünftig. Das liederliche und verschwenderische Leben des Prinzen von Wales, seines ältesten Sohnes, und dessen heimliche Ehe mit der Witwe Fitzherbert[1] hatten so böses Blut im englischen Volke gemacht, daß man sogar forderte, derselbe solle der Nachfolge auf dem Thron für unwürdig erklärt werden. Vom zweiten Sohn, dem Herzog von York, versprach man sich ebenfalls nicht viel Gutes, wogegen Prinz William wegen seines freimütigen Charakters und weil er im Dienst der Flotte das Zeug zu einem Seehelden bewiesen hatte, ungemein populär war. So war er der Liebling der königlichen Familie, so war er auch bereits der Liebling des englischen Volkes, und für die Zukunft der Dynastie rechnete man daher unter den obwaltenden Umständen schon auf ihn. Durch eine Mißheirath seinerseits mußte man besorgen, daß er in den Augen des Volks starke Einbuße erleide und die dynastischen Interessen vollends zu Schaden bringe. Georg III. hatte einen sehr begreiflichen Ingrimm darüber, daß in seinem Hause solche unebenbürtigen Heirathen Mode werden zu wollen schienen. Er kündigte seine Entschließung dem Sohne an, aber Prinz William schwur, niemals in eine Scheidung zu willigen, lieber sich von seinem Vater enterben und verstoßen zu lassen. Es gab die heftigsten Scenen. Die Mutter sah endlich keinen anderen Ausweg, als sich an den General von Linsingen zu wenden, um seine Tochter zu bestimmen, ihren Rechten auf den Prinzen großherzig zu entsagen.

So blieb die Angelegenheit in der Schwebe, bis anfangs November an Brief von Lord Dutton, der in Hannover zurückgeblieben war, an William antraf und ihm von der Erkrankung Karolinens und ihrem Aufenthalt in dem stillen Städtchen Driburg meldete. Jetzt hielt es den Prinzen nicht länger bei den Seinen. Er sagte seiner Mutter, daß, wolle man ihn nicht zum Aeußersten treiben, er zu der Geliebten zurückkehren müsse. Die kluge Frau, auch voller Mitgefühl für ihn und Karoline, erachtete es fürs Beste, nachzugeben und des Königs Widerspruch gegen diese Reise damit zu beheben, daß sie als Zweck derselben eine gütliche persönliche Auseinandersetzung ihres Sohnes mit seiner Gemahlin wegen ihrer Entsagung vorschützte. Sie verlangte dies auch ausdrücklich von William und gab ihm Briefe sowohl an den General wie an Karoline mit, die so schonend als möglich ihnen die Notwendigkeit einer Trennung der Ehe zu Gemüth führen sollten, wofür Karoline das Opfer der Entsagung um des Glücks des Königssohnes in der Zukunft willen bringen und damit den höchsten Beweis ihrer Liebe geben möge.

Der Prinz eilte auf den Flügeln seiner Sehnsucht nach Driburg und trat mit dem General an das Bett Karolinens. In diesem Wiedersehen vergaßen sie die Welt.

William hatte die ihm mitgegebenen Briefe übergeben. Der General las das an ihn gerichtete Schreiben in der Stille seines Zimmers und als er eine Gelegenheit fand, ohne des Prinzen Anwesenheit mit seiner Tochter zu sprechen, wagte er, ihr den Inhalt mitzuteilen. Sie hörte es ruhig an und lächelte schmerzlich. Dann nahm sie ihren Brief der Königin hervor und las ihrem Vater folgende Stelle daraus vor:

„Ich baue als edles Weib fest auf das Herz eines anderen edlen Weibes; ich schicke Ihnen noch einmal meinen Sohn, ohne Furcht, denn ich weiß, Sie werden ihn mit Treue den mütterlichen Händen, seinen Pflichten und seinem Vaterlande zurückgeben.“

Ihr Vater schüttelte mit feuchtem Auge sein graues Haupt.

„Was wirst Du thun, mein armes Kind?“ fragte er sie dann und forschte in ihrem durchleuchteten, bleichen Gesicht.

„Das Rechte, mein guter Vater,“ antwortete sie ihm sinnend. „Ja, das Rechte!“

Mehr sagte sie nicht, und mit dem Prinzen sprach sie so wenig ein Wort darüber, wie er über die an sie gestellte Zumuthung seiner Eltern. Den ganzen Tag, einen nach dem andern, verbrachten sie in ihrem Liebesglück, als sei es unbedroht. Der General hatte nicht den Muth, sie daraus zu reißen. Oft sah er ihnen zu, wie sie Hand in Hand in wonneseligem Schweigen bei einander waren, und ahnend, daß die Prüfung nicht ausbleiben könne, seufzte er kummervoll. „Gott, gieb ihnen Kraft und Stärke!“

Drei Wochen blieb der Prinz in Driburg. Dann kam Lord Dutton aus Hannover; er hatte einen Befehl des Königs erhalten, William sofort zur Rückreise zu nöthigen und ihn zu diesem Behufe bis zum englischen Kriegsschiff zu geleiten, das ihn von Stade an der Elbmündung nach England bringen sollte. Der Prinz mußte sich nun wohl von Karoline trennen, die er in der Schwäche einer Schwerkranken gefunden und die in der Zeit seiner Anwesenheit von Tag zu Tag merkwürdig wieder erblüht war. In all ihrer lieblichen Schönheit, die Formen wieder gerundet, mit schwellenden Lippen und rosigen Wangen stand sie vor ihm, in süßer Scheu und mädchenhaftem Bangen. Und so von ihr scheiden! Er preßte sie stürmisch an sich und sie ließ ihr Haupt an seiner Brust ruhen. Er bat sie, stark zu sein, ihm zu vertrauen, ihm allein, durch nichts sich bestimmen zu lassen, ihre Einwilligung in eine Scheidung, wie es des Königs Wille sei, zu geben.

Still und ohne einen Einwand hörte sie ihm zu.

„Nein, theures Weib,“ fuhr er in flammender Beredsamkeit fort, „der Sturm darf uns nicht schrecken. Ich halte das Steuer in fester Hand und so theilt unser Lebensschiff die brausenden Wogen. Wir kommen ans Ziel, in den Hafen. Und wie glücklich werden wir unser Dasein gestalten!“

Er jubelte seiner erträumten Zukunft entgegen, mit ihr von der glänzenden Höhe seines Standes in die idyllische Friedseligkeit eines Privatlebens sich zu flüchten, und er schwor es, wenn man sich dem widersetze, jedes Band zu zerreißen, das ihn an Eltern, Verwandte und das Vaterland knüpfte, um sich dem Glück seiner Liebe, um sich der einzig Geliebten hinzugeben fürs ganze Leben.

Da kamen ihr Vater und Dutton herein. Traurig, als sei es eine Todesbotschaft, meldeten sie, daß der Wagen zur Abreise bereit stehe. Eine furchtbare Anstrengung hielt sie aufrecht in seinen Armen. Mit mühsam errungener Fassung erwiderte sie sein bebendes Lebewohl. Bewußtlos fast lag sie an seiner Brust, die Augen geschlossen.

„Karoline! Karoline!“ rief er sie leidenschaftlich zu sich.

Sie schlug die Augen auf und sah, daß der Schatten einer Ahnung in den seinigen war, einer Furcht vor dem Kommenden. Nur einen Moment; dann entwand er sich ihr, hoffnungsselig lächelnd, und ging. Aber er breitete noch einmal seine Arme gegen sie und eine unwiderstehliche Macht trieb sie, sich hineinzustürzen. Der Stern auf seiner Brust drückte schmerzhaft ihre Stirn dabei. Sie schreckte zurück; sie starrte auf diesen harten Metallstern. Ein glühendes Küssen noch, und er flog zur Thür hinaus.

Sie war allein. Eine gräßliche Einsamkeit, in der sie schauderte. Sie hörte die Pferde sich in scharfem Trabe entfernen, den Wagen schnell dahinraste. Ihre Kraft brach und sie sank auf einem Sofa zusammen.

„Vorbei!“ schluchzte sie. „Es ist vorbei!“

Als ihr Vater, der dem Prinzen das Geleit bis vor das Haus hatte geben müssen, wieder hereintrat, fand er sie leblos auf dem Sofa. War es nur Ohnmacht, oder wirklich der Tod? Der verzweifelnde Mann beugte sich über sie.

Kein Athmen, kein Schlag ihres Herzens. Er rief nach Hilfe, nach dem im Hause wohnenden Arzte. Man brachte Essenzen, Salze; der Arzt horchte an ihrer Brust und vernahm in Staunen um die Erstarrte ein unheimliches Knistern, auch ein Pochen im

  1. Vergleiche den Artikel „Die Frau eines Thronfolgers“ in Nr. 2 des Jahrgangs 1887 der „Gartenlaube“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 815. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_815.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2023)