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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

sah, als Augen – Augen, so groß und so erschrocken in die seinen starrend und von einem so tiefen, weichen Sammetbraun, wie er sich nicht erinnerte, sie je gesehen zu haben.

War das – doch nein! wie hätten sich die himmlischen Vergißmeinnicht in dem bewußten rosigen Gesichtchen so verändern können? Ein leiser Schrei, vielleicht nur seinem aufgeregten Sinn vernehmbar, gab seinem Blick die Richtung in das Zimmer, und er sah noch eben, wie ein Köpfchen, von einer Art von Glorienschein umgeben, hinter der zunächst gelegenen Thür verschwand. Das war Elsbeth. So trug sie schon als Kind des Morgens ihr in Wickeln aufgerolltes Goldhaar, das nachmittags in Locken niederwallte. Vor ihm aber lag ein fremdes junges Mädchen auf den Knieen und sammelte, hochroth vor Beschämung, verschiedene Gegenstände wieder in ihr Körbchen, die ihr bei dem unerwarteten Zusammenstoß entfallen waren. Waldemar versuchte ihr zu helfen, als sie auch schon aufsprang, dankte und mit einer einladenden Handbewegung nach dem Zimmer flüchtig wie ein Reh an ihm vorüberglitt. Ein halb ärgerliches: „Na aber, Hilde!“ von einer scharfen Frauenstimme nachgerufen, verfehlte seines Zweckes, sie zu treffen.

So blitzschnell hatte sich die kleine Scene abgespielt, daß das behäbige Ehepaar am Tische erst jetzt Messer und Gabel auf die Seite legte und die Häupter, die ja zugleich die Oberhäupter der Stadt bedeuteten, majestätisch in der Richtung nach dem offenen Eingang wandte. Ihr Unwille, denn wenn der Hausherr überhaupt nicht Störung liebte, so am wenigsten beim Essen, verwandelte sich in die äußerste Verwunderung. Ein Fremder! Fast hatte es den Anschein, als ob die Mutter dem Beispiel der Tochter folgen und entschlüpfen wollte, denn sie war ebenfalls noch „unfrisirt“, doch besann sie sich und blieb würdig sitzen im Bewußtsein ihrer tadellos „getollten“ Morgenhaube, während Waldemar, sich leicht verneigend, lächelnd und mit ausgestreckten Händen auf die beiden zutrat.

Die große Wiedersehens- und Erkennungsscene – er mußte freilich dreimal seinen Namen nennen, ehe man ihm glaubte – war vorüber und das Bürgermeisterpaar schien aufrichtig erfreut, in dem stattlichen Manne mit dem offenen und doch so sicher weltmännischen Benehmen ihren einstigen Pflege- und Sorgensohn zu begrüßen. Die Verzeihung für seinen eigenwilligen Schritt von damals war brieflich längst erbeten und bewilligt, und da Waldemar so klug (oder so nachlässig) gewesen war, das kleine, durch Erziehungs-, Lehr- und Pflegegelder zusammengeschmolzene Kapital auch nach seiner Mündigwerdung – vorher hätte er es nie herausbekommen – in der Verwaltung seines Vormunds zu belassen, so fiel damit die einstige Befürchtung, er könne als ein Bettler wiederkommen, in nichts zusammen. Sein gutes Aussehen, seine „noble“ Kleidung – er hatte sich zu dem Besuche „fein“ gemacht – die Unterbrechung des gewohnten Einerlei, noch dazu an einem so langweilig trüben Regentage, that das Uebrige: kurz! er hatte einen über Erwarten freundlichen Empfang.

„Was wird Elsbeth sagen! Wo ist Elsbeth?“ Sie hatte doch noch eben hier gesessen! Man rief, man suchte. Endlich kam sie. Und mit ihr kam das Licht, die Sonne, ein ganzer Frühlingshimmel in die düstere Stube. Selbst der Vater machte große Augen, so intensiv leuchtete das wundervolle Blond der Locken, die im Nacken leicht zurückgebunden waren, über dem zartblauen Festgewand der Tochter. Er schüttelte den Kopf und schüttelte ihn auch dann noch fort, als ihm die kluge Bürgermeisterin zuflüsterte: „Du weißt doch, welchen Mittagsgast wir noch erwarten.“

Für Waldemar bedurfte es keiner Erklärung. Er war aufgesprungen. Mit der naiven Bewunderung des Naturmenschen, der er geblieben, und mit der Begeisterung des echten Künstlers, welcher er geworden war, trat er auf sie zu, indem er sich fast ehrfurchtsvoll vor ihr verneigte. Sie aber gab ihm erst die eitle, dann auch noch die andere Hand mit einem Lächeln, das ihn um seinen Rest von Fassung brachte.

„Elsbeth! Sie sind ja noch viel schöner, als –“

„Als auf Ihrem Bilde,“ hatte er sagen wollen, da, seltsam! legte sie den Finger flüchtig an die Lippen und blinzelte unter den langen Wimpern so schalkhaft und doch wieder ängstlich bittend zu ihm auf, daß er erröthend wie ein Schulknabe verstummte. Im nächsten Augenblicke wandte sie sich mit einem Scherzworte an die Eltern, behauptend, daß sie Waldemar sogleich erkannt, und zwar an seiner alten Art des Kopfaufwerfens. Er aber wußte, wer das Bildchen in den väterlichen Brief geschmuggelt hatte. Glückselig lachte er in sich hinein. Erst später fiel ihm ein: O Eva! Eva!

Auch Hilde ward gerufen und ihm vorgestellt: als seine Nachfolgerin im Amt, als Mündel. Als armes, setzte Waldemar für sich hinzu, denn trotz seiner Aufregung entging ihm nicht, in welcher mehr dienenden als töchterlichen Stellung das hübsche Mädchen sich im Haus bewegte – anmuthig genug, wie er sich sagte, in ihrem schlichten grauen Hauskleid mit der vorgesteckten blüthenweißen Schürze! Sie war die Waise eines jung verstorbenen Arztes, dessen edler äußerer Erscheinung er sich noch wohl erinnerte und von dem er wußte, daß sein Bildungsgrad hoch über dem der hiesigen „Honoratiorenwelt“ gestanden hatte. Blitzartig glaubte er auch einen Zug von geistiger Aehnlichkeit in dem runden, blühenden Gesicht der Tochter zu erkennen, doch überwog der erste Eindruck des Sanften, Seelenvollen in den Augen. Wenn sie sich nur einmal wieder so voll und groß hätten öffnen wollen, wie im Momente jener ersten gegenseitigen Ueberraschung!

Warum er dieses so hartnäckig wünschte mitten in der Verzauberung, die von seiner holden Jugendliebe ausging? Ja, Elsbeth war eine wirkliche Schönheit geworden, die Aufsehen machen mußte und machen würde, selbst auf einem der berühmten Künstlerfeste in D. Immer entzückter hing sein Malerauge an dieser zu ihrer höchsten glücklichsten Entfaltung gelangten Menschenblume, und im Geiste zog er schon die Linien der tadellosen Kopfform, des Profils, des stolz geschweiften Nackens, der ganzen herrlichen Gestalt auf Leinwand. Am liebsten hätte er Schön-Elsbeth in den Arm genommen, um augenblicklich mit ihr zu entfliehen aus dieser ganz und gar unkünstlerischen Umgebung, diesem armseligen Philisterneste, diesem – da blickte er, aus seinem stürmischen Gedankengang aufschauend, in das zu einem höchst bedenklichen Fragezeichen verlängerte Gesicht der Hausfrau, auf das „Oho!“ der hochgezogenen Augenbrauen seines künftigen Herrn Schwiegervaters, und er begann „fein bürgerlich“ zu werben, das heißt, seine „Verhältnisse“ vor dem spießbürgerlichen Elternpaare klar zu legen.

Dazu bedurfte es, um nicht mit der Thür ins Haus zu fallen, einer „diplomatischen“ Einleitung. Was war natürlicher, als daß er, an eine Frage seines einstigen Vormundes anknüpfend, die Geschichte des verlorenen Sohnes vom Tage seines Fortgangs an erzählte? Er that es, zu des Bürgermeisters sichtlicher Erleichterung, in durchaus humoristischer Weise. Man saß hier so gemüthlich um den großen runden Familientisch; der Wein, der einstweilen statt des fetten Kalbes für ihn aufgetragen wurde, floß so goldhell in die blanken Gläser, und aus der Küche drang eine so vielverheißende Musik von dumpfem Klopfen, Mörserklirren, Pfannenschieben, daß man gewiß nicht gern an einen gewissen jungen Hungerleider erinnert worden wäre. So ging denn der ehemalige Freischüler der Akademie zu D. gleichsam im Eiertanzschritt über die fast unmenschlichen Entbehrungen seiner ersten Studienzeit hinüber, bis er nach einer kleinen Pause, während welcher er nachdenklich in sein volles Glas gesehen, mit einem unwillkürlich tiefen Athemzuge fortfuhr: „Von da an hab’ ich nie mehr Noth gelitten, – der Amerikaner ist noch jetzt mein bester Kunde.“

Der Bürgermeister lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schloß die Augen bis auf eine kleine Spalte – ein Zeichen, daß sein Geist „arbeitete“. Plötzlich fuhr er auf: „Man hat doch Auslagen für – rechnen wir einmal: für Leinwand, Pinsel. Farben –“

„Und Oel und Terpentin,“ bestätigte Waldemar, über dessen ernst gewordene Züge wieder ein belustigtes Lächeln flog.

„Weiter“ – der Bürgermeister zählte an den Fingern – „das Atelier, ein bloßer Bodenraum, nach der Beschreibung, kostet –“

Waldemar nannte eine Summe, auf die der Frager ganz entrüstet in die Höhe blickte. Doch sah er wohl, daß Waldemar nicht log. „Für das – vermiethete ich hier mein ganzes Haus. Und nun: was wird für so ein Bild gezahlt? Was zahlte damals der Herr Amerikaner?“

„Zweihundert Mark,“ sagte Waldemar erröthend. Er wollte etwas hinzusetzen, erläutern, unterließ es aber nach einem kleinen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 872. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_872.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)