Seite:Die Gartenlaube (1888) 885.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Sie blickte ängstlich zu ihm auf: „Was fehlt Dir?“

„Mir – nichts! Im Gegentheil – es ist zu viel – das Glück! Das Glück, daß ich Dich habe, Dich!“ jubelte es jetzt voll aus ihm heraus. Er preßte Hildes Arm fest in den seinen und schien nicht übel Lust zu haben, sie mitsammt der schweren Reisetasche, den Schirmen, Plaids und allem, was er sonst zu tragen hatte, wie ein verliebter Kirmeßbursche seine Tänzerin, ein wenig in die Luft zu heben. „Nimm’ Dich in acht mit Deinen Augen, Hilde! Ich weiß wahrhaftig sonst nicht, was ich thue,“ drohte er.

„Waldemar!“ – Welch köstliche Standrede in dem einen Worte! Er hätte sie dafür todtküssen mögen.

„Ein Weihnachtsmärchen!“ dachte Hilde. Originalzeichnung von Fritz Bergen.

Ja, das Glück, das war es, was sie einsam zu zweien machte mitten in der Menge, die ungeduldig nach den Wagen drängte; es saß mit ihnen in dem überfüllten dunstigen Coupé und legte Rosenwolken um sie her mitten in der Schneewildniß, die sie durchfuhren. Dazwischen tauchten Lichter auf, verschwanden wieder, Christbäume leuchteten im Fluge aus der Fensterreih eines Städtchens; an jedem Bahnhof gab es Willkommsscenen zwischen sehnsüchtig Erwarteten und Wartenden – schließlich saßen die beiden fast allein im Wagen.

Endlich war D. erreicht. Sie stiegen aus und wandelten aus der mit blauem Mondlicht zauberhaft erfüllten Bahnhofshalle durch menschenleere, mitternächtige Straßen, zwischen Gärten, Anlagen und über Plätze; sie umgingen ein Gewirr von Häusern, Mauern und Fabriken, bis sich das weite, weiße Feld vor ihnen aufthat und die neue Villenvorstadt wie ein schöner, stiller Wintertraum, ein Märchen, gegen Berg und Wald hinan lag, Ein Weihnachtsmärchen! dachte Hilde; sie lauschte auf den schönen Gleichklang ihrer Tritte durch das tiefe feierliche Schweigen und erschrak, als käme nun das Ende, da Waldemar mit einmal stehen blieb, in seine Tasche faßte und ein kleines Schlüsselbund herauszog.

Doch es wurde nur noch märchenhafter. Sie standen vor einem reichverzierten Gitterthor, dahinter zwischen Bäumen und Gebüsch ein Haus mit breitem Treppenaufgang, mit Erker und Balkon geheimnißvoll hervortrat. In den hohen Fenstern, spiegelte sich der Mond, von Dach Und Simsen blinkten lange Eiszapfen wie Fransen und alles war so duftig, weiß und weich in den jüngstgefall’nen tiefen Schnee gebettet, daß Hilde kaum zu flüstern wagte: „Hier wohnst Du – wohnen wir? Dort oben – ach! wie schön!“ Sie hatte im Giebel ein großes halbrundes Fenster, der Beschreibung nach zu einem Atelier gehörig, und rechts und links davon zwei kleinere entdeckt. Zwei Stübchen! rechnete sie rasch – das war genügend; die Küche mochte nach dem Walde liegen – kühl und lauschig, ihr zukünftiges Atelier!

Lautlos schloß Waldemar das schwere Thor auf und lautlos schritten sie auf einem breiten, von weißvermummtem Strauchwerk eingefaßten Wege nach dem stillen Hause, dessen Thür ein zweiter, kleiner Schlüssel öffnete. Eine milde Wärme schlug den beiden aus der Frostnacht Kommenden entgegen und im Scheine eines kleinen Wachslichtes, das Waldemar entzündete, sah Hilde weißen Marmor an den Wänden glitzern, von dem sich dunkle Säulenbogen hoben. Auf einer breiten, schöngeschwung’nen Treppe mit Purpurläufern stiegen sie nach oben, „vorsichtig, daß sie niemand erweckten“, wie Hilde sich gleich ausbedungen hatte. Dann kam ein Korridor mit buntbemaltem Fenster, dem das schwache Lichtchen glühende Reflexe an den Metallbeschlägen einer alterthümlich reichgeschnitzten Thür entlockte. Sie führe zu den Wohnzimmern der Herrschaft, sagte Waldemar, indem er vor derselben stehen blieb, wie zögernd.

„Die sind wohl sehr schön?“ fragte Hilde schüchtern.

Er lächelte. „Willst Du sie sehen Liebling?“ Und ehe sie noch widersprechen oder fragen konnte, ob denn die Leute nicht zu Hause seien, hätte er auch diese Thür geöffnet und zog sie mit sich in einen Vorraum, in welchem es nach frischen Blumen duftete und die Umrisse von weißen Statuen aus Pflanzengruppen dämmerten. Muthiger – er mußte wissen, was er wagen konnte – und mit mehr und mehr erwachter Neugier folgte sie dem Gatten in die fremden und sie doch sofort anheimelnden Räume.

Das Wachslicht war erloschen, aber der Schein, der durch die halbgeschlossenen Gardinen von außen einfiel, war eben wie gemacht, um die wohnliche geschmackvolle Einrichtung halb zu zeigen, halb mit dem Reize des Geheimnißvollen zu umschleiern.

Da war als erstes rechts das Speisezimmer. Bis zur halben Höhe holzgetäfelt, schien es von da an bis zur Deckenwölbung eine kunstvoll gemalte Wein- und Roselaube vorzustellen. Hochlehnige, aus dunklem Holz geschnitzte Stühle, die um den festen Eichentisch standen, ein riesiges Büffet, von welchem Silber und Krystall aufblinkte, und ein Kamin, auf dessen Bronzegitter ein verirrter Mondstrahl zitterte, vollendeten die einfache, doch, wie Hilde dünkte, hochpoetische Einrichtung. Dann kam der Salon, mit einem Teppich, in den ihr Füßchen tief einsank. Sofas und Sessel wären aufs traulichste gruppirt, als ob sich eben eine

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 885. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_885.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)