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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


„Sieh, Kind, so ist Dein Vater,“ sagte er gerührt. „Tag und Nacht denkt er nur daran, Dich glücklich zu machen, und ruht nicht, bis er das Rechte gefunden hat. Ich bin Dir Vater und Mutter zugleich gewesen und habe es Dir nie nachgetragen, daß Du mir schon in der Geburt die liebsten Wünsche durchkreuzt hast und daß durch Deine Schuld mit mir das alte Geschlecht der Amieri zu Grabe geht.“

„O Vater, ich habe sehr gesündigt, daß ich Eurer unendlichen Güte nicht vertraute. Mein Glück ist so groß, daß ich es noch nicht fassen kann. Sagt es noch einmal, daß Ihr mir ihn geben wollt, daß ich seine Frau werden soll!“ –

Er richtete die selig Weinende auf, streichelte ihr Gesicht und sagte: „Ja, ja, Du sollst ihn haben, obgleich ich manches dagegen einwenden könnte und auch, offen gesagt, gar nicht so viel Schönes an ihm sehen kann.“

„Also habt Ihr ihm verziehen und wollt ihn empfangen wie einen Sohn? O, auch Leonardo wird Euch lieben wie einen zweiten Vater und wenn er Euer Mißfallen verdient hat, so wird er suchen, es tausendfach gut zu machen durch sein ganzes Leben.“

„Schon gut, schon gut,“ sagte der Alte, der nicht wußte, was er verziehen haben sollte. – „Aber er heißt nicht Leonardo, sondern Ricciardo,“ fuhr er lächelnd fort. „Du mußt Dir diese Untugend abgewöhnen, die Namen zu verwechseln, Deine Mutter – Gott schenke ihr den ewigen Frieden! – war gerade so. Nie konnte sie sich in den ersten Jahren unseres Ehestands überzeugen, daß ich Cione und nicht Lorenzo heiße.“

„Wenn Ihr es befehlt,“ sagte Ginevra an seine Brust geschmiegt, „so will ich ihn mein Leben lang Ricciardo nennen, obgleich ich Euch schwören kann, daß er in der hl. Taufe den Namen Leonardo erhalten hat. Leonardo! sagt selber, ob es einen wohlklingenderen Namen geben kann. Leonardo de’ Rondinelli! und künftig Ginevra Rondinelli!“

„Bist Du toll!“ schrie der Vater und fuhr auf. „Ricciardo! Ricciardo degli Agolanti! Ginevra Agolanti, wenn Dir’s beliebt! Wie kommst Du auf den Namen Rondinelli? Was hast Du mit dem Gesindel zu schaffen? Sprich, rede, ich will’s wissen!“

Er packte die Bestürzte und schüttelte sie heftig, während sie entfärbt, keines Wortes mächtig mit aufgerissenen Augen vor ihm stand.

„Was hatte der junge Rondinelli in meinem Haus verloren? Ich habe ihn eben wie einen Dieb um die Ecke schleichen sehen. Weh Dir, wenn Du Dich mit dem Popolanenpack gemein machst! Räuber und Mordbrenner, die uns die Häuser über dem Kopf anzünden und ausplündern! Gesindel, das uns aussaugt und an unsern Gütern fett wird, während wir verarmen! Was hat der Bursch vor meiner Thür zu thun? Gilt sein Herumschleichen Dir? Willst Du gleich reden!“

Aber der jähe Umschlag hatte das Mädchen völlig betäubt, und der Alte mußte dieselbe Frage noch oft wiederholen und zwar immer lauter und zorniger, bis Ginevra sich etwas gesammelt hatte und mit Würde antworten konnte:

„Vater, er hat seinen Fuß ja nicht über die Schwelle gesetzt. Nur auf der Straße ist er vorübergegangen, während ich am Fenster saß.“

„Also geäugelt hast Du mit ihm! Ist es nicht eine Schande! Du, die Enkelin Messer Foglias, eines Ritters vom Goldenen Sporn, und dazu die Braut eines Agolanti! Aber gieb nur Acht! Wenn Dein Vater Dich verzogen hat, Dein Gatte wird Dir die Grillen schon austreiben. Einen Rondinelli! Und was hast Du mit ihm? Ist es beim Ansehen geblieben oder –?“

„Wir lieben uns, Vater,“ sagte Ginevra fest, „da Ihr es doch schon wißt, da Eure gütigen Worte mir mein Geheimniß entlockt haben. Wir lieben uns und nie werde ich einwilligen, die Braut eines andern zu werden – auch nicht Messer Ricciardos.“

Messer Cione hob die Hand auf, um sie zu Boden zu schmettern, aber er begnügte sich, sie in eine Ecke zu schleudern, wo sie mit der Schulter hart an einem Pfosten aufstieß.

Er ging ihr mit geballter Faust nach. „Wo hast Du den Schurken kennen gelernt? Wie bist Du zu dieser Bekanntschaft gekommen?“

(Fortsetzung folgt.)




Das nervöse Herz.

Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch.

Das wunderbare kleine Ding, das, so lange wir leben, ohne Unterlaß in unserer Brust hämmert, rastlos Tag und Nacht das Getriebe erhält, welches unsere Adern mit Blut versorgt – unser Herz vermag sich nicht dem mächtigen Zuge der Zeit zu entziehen, es wird auch gar häufig nervös.

Ein so feines und kompliziertes mechanisches Meisterwerk, wie es das Herz ist, wird von so vielen bewunderungswürdig in einander greifenden nervösen Apparaten beherrscht, die Nervenbahnen, welche Hirn und Herz verbinden sind so bedeutungsvolle, daß es wohl leicht verständlich ist, wie jede Veränderung im Nervensysteme überhaupt sich alsbald durch Störung der normalen Herzarbeit kund giebt, wie Seelenleben und Herzthätigkeit in inniger Wechselwirkung stehen. Es ist so eine allbekannte, auch dem Laien wohl bewußte Thatsache, daß die psychischen Zustände des Menschen einflußreich auf das Herz und seine Bewegung wirken, namentlich die letztere theils zu beschleunigen, theils zu verlangsamen im Stande sind. Es ist erwiesen, daß Lustgefühle und freudige Erregung den Rhythmus des Herzschlages schneller gestalten, daß hingegen Unlustgefühle, unangenehme Empfindungen und Trauer die Herzthätigkeit herabsetzen, verlangsamen; so daß außerordentlich heftige, plötzlich auf das Gemüth hereinbrechende Empfindungen hoher Freude oder tiefen Wehs augenblicklichen Herzstillstand und damit raschen Tod herbeizuführen vermögen.

Wie schlägt das Herz hoch in Erwartung freudiger Botschaft, wie pocht es stürmisch in den Minuten wonniger Empfindung, wie droht es still zu stehen, wenn Schreck und Furcht gewaltsam über uns hereinbrechen, wie feinfühlig macht es alle Vibrationen mit, die unser Gemüth durchziehen! Was Wunder, daß dies zarte und wichtige Organ bei dem Gedränge der Arbeit und in der Ueberanstrengung des Hastens, wodurch sich die Gegenwart auszeichnet, auch oft genug – nervös wird!

Die erhöhte Erregbarkeit der Herznerven giebt sich vorzugsweise durch Herzklopfen kund, das heißt durch beschleunigten und vermehrten Herzschlag, zuweilen aber auch ohne solche nachweisbare gesteigerte Herzthätigkeit durch das bloße Gefühl solcher Herzerregung, durch die lästige Empfindung derselben. Während im normalen Zustande die Zahl der Herzschläge beim erwachsenen Menschen mit ungefähr 70 in der Minute angenommen wird, findet bei dem als Herzklopfen bezeichneten Erregungszustande eine Vermehrung der Herzschläge um das Doppelte, so sogar um das Dreifache statt; es wurden in solchen Fällen auch schon 250 Schläge gezählt. Diese Steigerung wird hier zumeist auf eine Reizung der im Herzmuskel selbst befindlichen Bewegungscentren, der Herzganglien, sowie auf Erregung der beschleunigenden Herznerven bezogen.

Während solcher Anfälle von Herzklopfen arbeitet das sonst so regelmäßige Schlagwerk mit großer Hast, das Herz bewegt sich stürmisch und erschüttert, da sich die Bewegungen des Herzens auf die nachgiebigen Theile der Brustwandung übertragen, den Brustkorb; die Schlagadern klopfen ungewöhnlich stark, das Gesicht ist geröthet, die Athmung wird beschleunigt. Dabei wird an der Herzgegend ein eigenthümliches Wogen und Drängen empfunden, begleitet zuweilen von schmerzhaften Gefühlen in der Magengegend, Schmerzen im Halse und in den Armen. Gleichzeitig bekunden die Befallenen eine große allgemeine Erregung, sie sind sehr ängstlich, fühlen sich beklommen, klagen über Kopfweh, Ohrensausen, Schwindel, werden auch zuweilen ohnmächtig. Die Anfälle selbst dauern verschieden lange, manchmal durch einige Minuten in anderen Fällen mehrere Stunden, sie können auch durch Tage anhalten.

Der leichteste Reiz, welcher das nervöse Herz trifft, genügt, die Anfälle von Herzklopfen auszulösen. Eine laute Ansprache, ein unerwartetes Begegnen vermag diesen Erregungszustand hervorzurufen, stärkere körperliche Bewegung bringt Herzklopfen zu Stande, oder dieses tritt nach einer reichlicheren Mahlzeit ein, oder es macht sich beim Zubettegehen in unangenehmer Weise fühlbar. Auf jede ungewöhnliche Empfindung, ja auf jede erregende Vorstellung reagirt das Herz, dessen Nerven krankhaft reizbar sind, durch Herzklopfen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_016.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)