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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

verschieden gearteten Theile, aus denen Oesterreich-Ungarn besteht, litterarisch zu vereinigen, den einen Volksstamm mit dem anderen bekannt zu machen, jedes Kronlandes Eigenschaften liebevoll zu behandeln. Kronprinz Rudolf steuerte zu dem Lieferungswerke werthvolle Arbeiten aus seiner Feder bei. Seine Schilderung des Wienerwaldes ist ein Muster an naturtreuer Beschreibung, frischer, stimmungsvoller Malerei, dabei frei von aller falschen Romantik, im Ausdrucke knapp und einfach.

Aeußerlich hatte der Kronprinz noch wenig erlebt. Aus den spärlichen Daten, die überhaupt zu erwähnen sind, muß seine am 10. Mai 1881 mit Prinzessin Stephanie von Belgien erfolgte Vermählung und die Geburt seines Töchterchens Elisabeth (2. September 1883) hervorgehoben werden. Im übrigen thun trockene Jahreszahlen wenig zur Sache. Man müßte durchaus auf geistige Elemente eingehen, um die Eigenart des uns Entrissenen zu kennzeichnen. Von seinen Eltern hatte er das Beste geerbt, vom Vater die Rastlosigkeit in der Arbeit, von der Mutter die Freude an den Hervorbringungen der Dichter und Denker. Als der Erzherzog vorige Weihnacht eine Sammlung ungedruckter Briefe Heinrich Heines seiner Mutter bescherte und diese eine wahrhaft herzliche Freude über das Geschenk äußerte, da mochte man sich wieder einmal daran erinnern, woher der starke litterarische Einschlag stamme, der in des Kronprinzen Anlagen zu finden war . . . Was er war, was er noch hätte sein können und sicherlich geworden wäre, das ruht nun in schmuckreichem Sarge in der Kaisergruft des Wiener Kapuzinerklosters, und von dieser Gruft schweifen unsere Gedanken hinüber auf die lärmende Ringstraße, wo ein mächtiger Quadernbau aus der Erde steigt: die neue Hofburg. Im Jahre 1898 soll Franz Joseph sie beziehen. Ihm und dem Sohne sollten dort Räume bereitet werden, würdig ihrer Bewohner. Der Sohn bedarf ihrer nicht mehr. Die erhabenen Hallen thun nur dem einen, dem trauernden Vater sich auf – der Kaiser ist vereinsamt! – Und doch wieder nicht allein! Mit siegender Allgewalt hat sich der Völker Liebe erhoben, dem Fürsten nahe zu sein in der schwersten Stunde seines Lebens. Versöhnt darf der Vater des heimgegangenen Sohnes diesen lindernden Balsam kosten, nie hat man es schöner ihm gedankt, daß er ist – der Vater seines Volkes! Ferdinand Groß.




Ein geheilter Othello.

Von F. Schifkorn.
(Schluß.)


Nach diesen Worten lachte Chiotti laut auf, zog den verschüchterten Knaben auf seine Kniee und rief: „Nun wollen auch wir lustig sein, nicht wahr, Mondo? Hopp, Hopp!“

Mein fragender Blick traf Angiolina, welche denselben mit einem traurigen Nicken beantwortete, gleichzeitig nach dem Fenster deutend, an das der Wind gewaltsam anschlug, als wollte sie sagen, daß Chiottis Zustand mit dem Sturme draußen im Zusammenhange stand.

In der That dauerte es nicht lange, so horchte dieser bei einem besonders heftigen Anpralle des Windes erschreckt auf und sagte, den Knaben beiseite schiebend, als ob er mit einer uns unsichtbaren Person spräche: „Gut, gut, ich höre schon, weiß ja, daß es sich für Schelme nicht schickt, beim warmen Herde zu sitzen, ei doch, ich komme! Was liegt auch an einer Kopfbeule, wenn sie gut bezahlt wird? Cospetto, man trinkt ein Glas Wein und ist ein gemachter Mann – ha, ha!“

Damit ging er, ohne auf des jungen Weibes herzzerreißenden Ruf zu hören, das ihm auf dem Fuße nacheilen wollte, von der Mutter jedoch zurückgehalten wurde.

„Laß ihn, laß ihn!“ sagte diese, „der Wein thut ihm gut, ich mag ihn lieber trunken als so trostlos sehen; bete, Kind, bete; Madonna hat das Elend geschickt, sie allein kann es von uns nehmen.“

Es lag im Tone dieser Rede ein nicht mißzuverstehender Vorwurf, der denn auch die junge Frau so schmerzlich traf, daß sie wie gebrochen in die Kniee sank, die Hände vor das Gesicht schlug und in bitterliches Schluchzen ausbrach.

Chiottis Mutter – denn dies war die Matrone – suchte offenbar die Schuld des heißblütigen Sohnes auf die Schwiegertochter zu wälzen, deren Einwilligung, als Modell für das Madonnenbild zu dienen, allerdings den ersten Ring zur ganzen Unglückskette geschmiedet; und wer wollte angesichts solchen Jammers mit dem Mutterherzen rechten?

Auch der Knabe barg jetzt sein Gesicht weinend im Schoße der Mutter, während die Alte verdrossen zum Feuer ging, um die Polenta fertig zu machen. Die Gegenwart eines Fremden mußte unter solchen Umständen als Last empfunden werden.

So verließ ich denn das jetzt stille Haus und steuerte dem Winde entgegen meiner Wohnung zu, so sehr von den Eindrücken der letzten Stunden erfüllt, daß ich der Unbill des Wetters kaum mehr achtete. Das Schicksal dieser harmlosen Menschen, welche im Grunde des Herzens brav und doch so unglücklich waren, ging mir um so näher, als sich mir für den Augenblick keine Aussicht auf eine glückliche Lösung zeigte.

Erst als ich lange schlummerlos auf meinem Lager das Vernommene nochmals reiflich überdacht, glaubte ich einen schwachen Hoffnungsschimmer entdeckt zu haben. Nach Chiottis Aeußerungen war keine bestimmte Todesnachricht eingetroffen; seine Annahme, daß der Maler gestorben sei, wurzelte vorderhand nur in der Ueberzeugung, daß die Schenkung eines so werthvollen Gegenstandes, wie das Madonnenbild in seinen Augen war, nur durch den Tod des Eigenthümers erklärt werden könne. Darüber Gewißheit zu erlangen, hatte allerdings seine Schwierigkeit, da der Maler dem jungen Ehepaare nur als Signor Edmondo bekannt war, auch in seinem Schreiben nur diesen Namen ohne nähere Adresse gezeichnet hatte; dennoch ließ ich den einmal erfaßten Hoffnungsstrahl nicht fahren, sondern begab mich schon andern Morgens in die kleine Kirche, deren Seitenschiff das Madonnenbild nach Chiottis Angabe barg. Es war vortrefflich ausgeführt, machte jedoch auf mich trotzdem mehr den Eindruck einer genialen Anfängerarbeit, als den eines vollendeten Meisterwerkes. Die Hauptsache aber war, daß sich meine Vermuthung bestätigte, indem ich nach sehr eingehender, zeitraubender Untersuchung, in den gemalten Arabesken eines Teppiches zu Füßen der Madonna versteckt, den Namen „Edmund Walter“ mit annähernder Wahrscheinlichkeit zu entziffern vermochte.

Auf Grund dieser Entdeckung und mit Zuhilfenahme eines aus der Buchhandlung bezogenen Künstlerlexikons wandte ich mich nunmehr direkt an den Maler, als dessen Heimathsort Schleswig angegeben war, verschwieg meinen Freunden jedoch diesen Versuch, um nicht vorzeitig Hoffnungen zu erwecken, für deren Erfüllung ich keinen andern Anhaltspunkt als die mir bekannte Launenhaftigkeit und Flüchtigkeit der Künstlernatur hatte. Ohne Chiottis schmerzliches Geheimniß zu verrathen, ersuchte ich meinen unbekannten Landsmann, lediglich ein Lebenszeichen zu geben, um einem braven Manne den Vorwurf, daß dessen Ungeschicklichkeit oder Unvorsichtigkeit seinem Wohlthäter das Leben gekostet, von der Seele zu nehmen, versah den Brief mit einem Begleitschreiben an die betreffende Behörde und erwartete nun mit begreiflicher Spannung das Ergebniß.

Sagte ich mir auch hundertmal, daß eine Bestätigung der Todesnachricht als der wahrscheinlichere Fall zu erwarten sei, so baute ich doch auf die germanische Zähigkeit des Landsmannes und harrte um so ungeduldiger, als mir Angiolina gelegentlich eines Besuches mittheilte, daß sich der Zustand ihres Gatten von Tag zu Tag verschlimmere.

Die „zürnende Madonna“ schwebte im Wachen und Träumen vor den Augen des im kindlichen Glauben des romanischen Volkes Erwachsenen, eine Qual, welche um so verheerender wirkte, als der Mann in seinem gefahrvollen, aber nur zeitweise die volle Manneskraft erfordernden Berufe ganze Tage müßig und mutterseelenallein auf der weiten See verbringen mußte. In der ewigen Stille solcher Einsamkeit aber lauschte er Stunde um Stunde der Stimme in seinem Innern, welche ihm ohne Unterlaß zuflüsterte: „Verworfener, sühne Deine Schuld, ehe des Himmels Zorn Dich und die Deinen trifft!“

Drei Wochen waren verflossen, als endlich der so sehr ersehnte Postbote in meine Stube trat und mir ein Schreiben aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_126.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)