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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Hochfläche war sonst keine Gegend für Nußbäume. Doch dieser gedieh, und jedes Jahr, wenn der neue Wein aus dem Tiefland herauf kam, verspeisten der Förster und seine Tochter dazu von den frischen Kernen. Dieser Nußbaum stand jetzt vor ihm da. Ein leiser Wind schüttelte seine noch schwächlichen Zweige und schwere Tropfen fielen auf den Boden herab und erweiterten und verlängerten die Runen, welche schon seit Stunden allmählich in den dünnen, harten Schnee hineingegraben worden waren.

In dem Augenblicke, in welchem der Förster diesen Platz betrat, schien es ihm, als hörte er aus kurzer Entfernung ein Geräusch, welches gleichfalls von Schritten herrührte. Er blieb stehen und horchte auf. Es war keine Täuschung. Näher und nähen kam es heran, bald leise, wenn die Füße über das Moos dahingingen, bald geräuschvoll, wenn sie den knirschenden Schnee berührten. Jetzt sah er eine undeutliche Gestalt. Er ging darauf los. Doch im nämlichen Augenblick stieß diese einen Schrei aus und verschwand. Der Eisenhans hörte noch deutlich die flüchtigen eiligen Schritte derselben, welche keinen Zweifel darüber ließen, daß die Gestalt vor ihm die Flucht ergriffen habe.

„Halt! Wer da?“ donnerte seine Stimme dem Flüchtling nach. Aber da war kein Aufhalten. Nach einigen Augenblicken erschien der Flüchtling wie im Nebel aufgelöst.

Dies fehlte gerade noch, um die Laune des Försters gründlich zu verbittern. Das war einer der widerwärtigsten Tage seines Daseins in diesem Walde gewesen. Erstlich hatte er den Luchs gefehlt, vielleicht gar dazu den Hund verloren, dann sich im eigenen Reviere nicht mehr ausgekannt und am Ende war er noch an einem der von ihm so gehaßten Lumpen von Schlingenlegern oder Wildschützen im Nebel vorbeigetaumelt.

„Abwärts geht’s mit Dir, Eisenhans!“ sagte er vor sich hin.

Bald tauchte das Dach des Forsthauses vor ihm auf. In solcher Laune hatte er es kaum jemals betreten. Den herzlichen Gruß Reginens beantwortete er einsilbig, und auf die Frage, wie es ihm ergangen sei, hatte er nur die Gegenfrage, ob niemand den Flott gesehen habe. Ohne ein Wort zu sprechen, setzte er sich zu Tisch. Regina suchte ihm an den Augen abzulesen, was sich zugetragen haben mochte. Der Eisenhans aber hielt den Kopf gesenkt, er war ein Bild der Niedergeschlagenheit und des Verdrusses. Mit einem Male erhob er sich, zündete sich ein Licht an und sagte:

„Das Allerbeste ist das Bett.“

Die gewohnte Abendumarmung Reginens erwiderte er fast abwehrend und begab sich sofort, einige Stunden früher als gewöhnlich, in sein Schlafstübchen.

4.

Am nächsten Morgen lag ein wolkenloser Himmel über Höhen wie Tiefen. Das Glatteis glitzerte an den Aesten der Tannen wie auf den Wegen.

Aber nicht das war es, was der Förster zuerst sah, als er die Augen öffnete. Es hatte ihm geträumt, daß er mit Luka, dem Meßner, draußen im Wald zusammengetroffen sei, wie dieser mitten im Dickicht eine Schlinge legte. Er hatte ihn gepackt, aber der Meßner wehrte sich und würgte ihn am Halse. Zugleich erschien hinter ihm das häßliche Gesicht Barbaras, des Weibes des Meßners, welches schrie und Drohworte ausstieß.

Und siehe – da stand die Barbara, aber nicht im Walde, sondern vor den Fensterscheiben und schaute auf das Bett des Försters herein. Auch schrie sie, ballte die Hände zusammen, dann streckte sie wieder die Arme empor und gebärdete sich, als ob sie den Verstand verloren hätte.

Der Förster wußte nicht, wie ihm geschah. Er fuhr alsbald in seine Kleider und eilte in den Flur. Hier trat ihm Regina entgegen und hielt ihn, bevor er das Hausthor öffnen konnte, am Arme fest.

„Nun, was soll’s?“ fragte er noch halb schlaftrunken.

„Vater,“ sagte das Mädchen „denke Dir, das Weib heult schon den ganzen Morgen seit Tagesanbruch vor dem Hause herum. Sie sagt, der Luka sei schon seit dem gestrigen Morgen verschwunden. Er sei im aller Frühe aufgestanden und seit der Zeit habe er sich nicht mehr sehen lassen.“

Der Förster riß sich los, öffnete die Thür und fragte die Frau, was sie wolle. Statt aller Antwort kamen nur abgerissene Klagetöne zum Vorschein. Der Eisenhans wurde ungeduldig.

„Das Millionen –!“ schrie er, „was geht mich der Meßner an? Der Lump ist wahrscheinlich in die Stadt hinabgegangen, um die Felle von gestohlenen Hasen zu verkaufen. Da wird er seine paar Groschen vertrinken und sitzt gewiß noch in einer Kneipe, wenn sie ihn nicht hinausgeworfen haben. Geht hinunter und sucht ihn!“

Diese Ansprache erfüllte das Weib mit Trotz. Sie nahm die Hände vom Gesicht und sagte: „Todt ist er! und Ihr wißt, wo er liegt.“

Der Förster gewann alsbald seine Fassung wieder. Es fiel ihm nicht ein, mit einem Weibe zu streiten.

„Ich war selbst im Wald,“ sagte er ruhig, „und es scheint mir doch, als habe ich läuten hören. War er denn damals nicht daheim?“

„Ich habe für ihn geläutet,“ sagte die Frau schluchzend.

„Nun, so geht nach Hause, er wird schon wiederkommen.“

„Es ist nicht wahr,“ entgegnete Barbara. „Ich selbst habe ihn den ganzen Nachmittag im Wald gesucht. Erschossen ist er worden, wegen eines elenden Hasen oder Rehes. Ich selbst habe den Schuß fallen hören.“

Der Förster wußte nicht, sollte er gegenüber dem dummen Weibe seinen Zorn auslassen oder lachen. Er schaute Regina an, erschrak aber bei ihrem Anblick. Das Mädchen war kreideweiß geworden.

„Ich glaube gar, Du lässest Dich von dem Weib da beschwatzen,“ sagte er nicht ohne Bewegung. „Gehe hinein ins Haus, ich komme gleich nach.“

Nachdem sich das Mädchen entfernt hatte, wendete sich der Förster zu Barbara:

„Hört, Weib, redet keinen Unsinn! Ihr wart es also, die mir nachmittags begegnet und davongelaufen ist? Gut! Es scheint, Ihr habt es besser gewußt, wo Ihr Euren Mann zu suchen habt. Gehet heim – oder thut was Ihr wollt! Und wenn der Meßner morgen noch nicht wieder zu Hause ist, so wißt Ihr, wohin Ihr Euch zu wenden habt. Ich selbst werde heute den Tag über nachsuchen und an zwei Forstwarte Botschaft schicken. Heute ist helles Wetter. Wir alle zusammen müssen ihn finden, wenn er im Walde ist.“

Statt aller Antwort warf sich das Weib auf den Schneehaufen hin und schrie und stöhnte.

„Ihr habt ihn erschossen!“ Das waren die einzigen Worte, welche die Frau deutlich sprach.

Der Förster wußte nicht, was er für den Augenblick mit ihr anfangen sollte. Da sah er den Kuraten, der sich eben anschickte, von der Thür seiner Wohnung in die Kirche zu gehen. Er winkte ihn herbei und erzählte ihm, was vorgefallen war.

„Sie sind ja gestern im Walde gewesen,“ antwortete der geistliche Herr, indem er ihn mit einem eigenthümlichen Ausdrucke betrachtete. Auf die bejahende Antwort des Försters wandte er sich von ihm ab und suchte die Frau aufzurichten.

Der Förster wollte ihm beistehen, der Geistliche aber bedeutete ihm, einstweilen in das Forsthaus zu gehen, sie würden nach dem Gottesdienst über die Sache sprechen.

Kaum hatte der Förster seine Wohnstube betreten, als ihm Regina um den Hals fiel, ihm fest in die Augen schaute und mit bewegter Stimme sagte: „Nicht wahr, Vater, Du hast es nicht gethan?“

„Das hat gerade noch gefehlt!“ erwiderte er ärgerlich, indem er sich losmachte. „Mir scheint, die Barbara mit ihrer Albernheit hat Dich angesteckt.“

„Verzeih, Vater!“ sagte Regina, indem ihr Thränen über die Wangen liefen. „Ich bin ein thörichtes Geschöpf.“

„Aber, ums Himmels willen, wie kommst Du auf solche Gedanken?“

Regina antwortete nicht. Sie schämte sich offenbar, irgend welche Gründe für ihre Besorgniß anzuführen.

„Geh hinaus,“ fuhr der Förster fort. „Der Schafhirt soll in die Forsthäuser gehen und die zwei Forstwarte mit allen ihren Hunden herbestellen. Wir wollen keinen Augenblick verlieren.“

Darauf durchmaß er mit großen Schritten die Wohnstube.

Was war da geschehen?

Daß Luka durch einen verlängerten Aufenthalt in der Stadt sich selbst verdächtig hätte machen wollen, das glaubte er nicht. In diesem Falle hätte er wohl seinem Weibe Mittheilung gemacht und diese würde es unterlassen haben, durch ihr Geschrei die Aufmerksamkeit auf seine Abwesenheit zu lenken. Der Meßner mußte

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