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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


ihn vielleicht ehrerbietigst oder pflichtschuldigst, manche aber denken auch im Stillen, sie könnten es noch viel besser, wenn sie nur die guten Rollen bekämen. Jedenfalls wagen sie das vor den älteren Schauspielern nicht zu äußern, denn dem Anfänger in der Bühnenlaufbahn geht es verhältnißmäßig gerade ebenso schlimm wie dem Handwerkslehrling, nur daß er natürlich bloß moralisch geprügelt wird. Seine oft ungeschickte Fröhlichkeit, sein dreistes und drolliges Hineintappen in ihm ganz neue und ungewohnte Verhältnisse wird nicht übel durch den Namen „junger Hund“ gekennzeichnet.

Jetzt freilich haben auch die „jungen Hunde“ schon Zähne – sie kommen ja von berühmten Akademien fix und fertig – und sie weisen dieselben gelegentlich auch dem berühmtesten „Mauerweiler“, das heißt dem Gaste, der gerade in unsern Mauern weilt. Hierbei steht stets die elegante Gestalt Fritz Haases vor meinen Augen, der so oft diesen Ausdruck in der Lokalpresse geduldig über sich ergehen lassen muß.

Ich habe „zu meiner Zeit“ noch alle Leiden des „jungen Hundes“ über mich ergehen lassen müssen.

„Du kannst“ – ältere Schauspieler sprechen gern per „Du“, wohl auch mit dem noch aus alten Ritterkomödien übergebliebenen feierlichen „Ihr“ – „Du kannst wohl auch das Talent nicht halten?“ hieß es, wenn ich schon eine halbe Stunde vor Beginn im vollen Kostüm über die noch dunkle Bühne stolzirte.

Große Ehrerbietung und Höflichkeit wurde „zu meiner Zeit“ vom „jungen Hunde“ gefordert und auch geleistet. Bei der Schmiere bezieht sich diese Forderung noch heutigestags besonders auf Schminke, Abschminke und Schminktücher, welche der ältere Kollege als schuldigen Tribut vom Anfänger huldreich entgegennimmt, auch wird es nicht übel vermerkt, wenn der Kunstnovize ihm hier und da die Zeche bezahlt, wofern er dazu imstande ist.

Der erfahrene Mime bildet sich manchmal nicht wenig auf die Kunst des „Nachsprechens“ oder „Schwimmens“ ein. Das ist die Kunst, nicht auswendig zu lernen, sondern, ohne daß das naivere Publikum es allzusehr merkt, jedes Wort „aus dem Kasten zu ziehen“. Viele nennen das „Routine“. Wehe aber dem Anfänger, wenn er schüchterne und meist erfolglose Versuche im „Schwimmen“ sich zu schulden kommen läßt! Wenn er aber sehr leicht und fest lernt, ist’s auch gerade kein Verdienst, denn in seinem Alter „frißt man ja die Rollen“.

Mit großem Vergnügen wird es bemerkt, wenn er bei irgend einer schwierigen Meldung oder „faulen Rolle“ „angeblasen“ wird, worunter man ein halb unterdrücktes Lachen im Publikum versteht, was in der That auf der Bühne wie ein leichtes Windesblasen klingt. Jeder giebt ihm wohlmeinende Rathschläge, wie er es nicht machen soll; wie er es aber machen soll, das erfährt er nur höchst selten. Hat er vor dem ihm als unausbleiblich geschilderten „Abfall“ Angst, so wird er ausgelacht; ist er dreist und unverzagt, so wird es ihm als Unverschämtheit und Ueberhebung ausgelegt. Im allgemeinen wird nämlich bei dem Anfänger die Angst als Kennzeichen des Talentes angesehen, und man trifft hierbei gewiß in vielen Fällen gefühlsmäßig das Richtige, denn das Coulissenfieber ist meist nur das Mißverhältniß von Begeisterung und mangelnder technischer Sicherheit.

Hierbei fällt mir eine lustige Geschichte vom „alten Niklas“ ein, und da sie meines Wissens nur in mündlicher Ueberlieferung beim Theater bekannt ist, so mag sie hierdurch der Nachwelt überliefert werden. Der „alte Niklas“ war zu Laubes Zeiten eine bekannte Wiener Figur, er wirkte als Statistenführer und Inspicient an der Burg. Später war er der unzweifelhaft verdienst-, aber noch mehr geräuschvolle Leiter des sogenannten fürstlich Sulkowskischen Theaters. Dieses allerliebste ehemalige Haustheater eines alten Palais dient jetzt den jungen Wienern als Uebungsplatz für ihre vielversprechenden Talente. Ich habe vor etwa 9 Jahren daselbst einer recht erheiternden Vorstellung von „Wildfeuer“ und einer recht fröhlichen „Deborah“ beigewohnt und dabei auch den alten Niklas zwar nicht gesehen, aber doch hinter den Coulissen recht laut seine Anordnungen ertheilen gehört.

Mit sorgenschwerem Antlitz irrte eines Tages unser Niklas durch die engen Hallen des alten Burgtheaters, war ihm doch vom Herrn Direktor Laube der schwere und verantwortungsvolle Auftrag geworden, aus der Schar seiner Untergebenen einen zuverlässigen Mann auszusuchen, der in einem Lustspiel einige Worte sprechen könnte. Es waren allerdings nur vier unbedeutende Worte: „Verflucht! sie sind entwischt!“, aber es war doch immerhin eine Sprechrolle, eine wirkliche und wahrhaftige ausgeschriebene Rolle! Endlich hatte er seine Wahl getroffen und zog seinen Mann in eine dunkle Coulissenecke.

Es ist nämlich beim Theater Brauch, daß, wenn einer dem andern irgend etwas zu sagen hat, dies stets äußerst geheimnißvoll zu geschehen hat, jedoch zugleich auch so, daß der Vorgang möglichst bemerkt wird, denn es ehrt dies den Empfänger einer so vertraulichen geheimen Mittheilung, wie es andererseits denjenigen, der so Wichtiges zu sagen hat, in den Augen der Genossen heben muß.

Also Niklas handelte demgemäß und flüsterte seinem Vertrauensmann zu: „Se! Hören’s mal! – i hob Ihnen eine Mittheilung zu machen! kommen’s mal her! – So! – Se kriegen nämlich a Roll! – Wissen’s! a wirkliche Roll! Se kriegen ein’n Gerichtsdiener! Se – das is nix Klein’s – a Obrigkeit! Aber – z’ red’n hab’ns: Verflucht! sie sind entwischt! – Werden’s das können? – Se, aber i sag Ihnen, Ihnere Stellung und meine steht auf’m Spiel, wenn’s Ihnen blamiren! Ihnere und meine Stellung – weiter sag’ i nix!“

Und er übernabm’s, der kühne Jüngling, dessen Name uns leider nicht überkommen ist. Die Meldung ging auf der Probe unbemerkt vorüber – was ja bekanntlich der größte Erfolg ist, der mit einer Meldung erzielt werden kann. Aber Niklas’ Gemüth war sorgenschwer und die Angst um seine Stellung ließ ihm nicht Ruhe. Er sah einen unglücklichen Ausgang vorher.

Kaum hatte er am Abend den lange vor seinem Auftreten schon fix und fertig einherwandelnden Polizeidiener erblickt, als er auf ihn zustürzte und in väterlich besorgtem Tone fragte: „Habens Angst?“

„Nein!“ lautete die harmlos gegebene Antwort.

„Schon g’fehlt!“ rief der verantwortliche Heerführer der Komparserie entsetzt, aber sein Amt ließ ihm zu weiterem Jammer keine Zeit, da er gerade auf der andern Seite der Bühne nöthig wurde. Sobald als möglich suchte er jedoch wieder in die Nähe seines Debütanten zu gelangen. – Endlich glückte es. „Haben’s Angst?“ fragte er wieder und zwar dringender. „Nein,“ versetzte der Gefragte wiederum, wenngleich etwas zögernd, und zum zweiten Male vernahm er von den Lippen seines Vorgesetzten: „Schon g’fehlt, schon g’fehlt!“ und zwar in fast drohendem Tone.

Und wieder wurde Niklas abgerufen. –

Endlich eine dritte Zusammeukunft, kurz vor dem Auftreten. „Haben’s Angst?“

„N – n – nein!“ klang es, offenbar viel weniger zuversichtlich, zurück.

Da aber brach das Wetter los. „Was?! Se! Se woll’n keine Angst hab’n? Se Mensch Se! – Was bilden’s Ihnen denn ein? – Die größten Künstler hab’n Angst, wenn’s eine neue Roll’ spiel’n. Der Herr von Sonnenthal hat Angst, der Herr von Krastel hat Angst ... und Se Lackel, Se woll’n keine Angst haben?! Se – ich beschwör’ Ihnen um Gotteswill’n, Ihnere Stellung und meine steht auf’m Spiel . . .“

Kurz er redete den armen Teufel richtig und glücklich dergestalt in die Angst hinein, daß dieser im verhängnißvollen Augenblicke nur stotternd und zähneklappernd herausstoßen konnte:

„Verwischt! Sie sind entflucht!“ – was denn nicht so ganz unbemerkt vorüberging.

Was der Direktor, „der Alte“, dazu gesagt, ob er gelacht oder gebrummt hat, ist im Dunkel geblieben. Soviel steht fest, daß der Unfall keinem der beiden die „Stellung“ gekostet hat, denn „es wird ja nichts so heiß gegessen wie es gekocht wird“, ist ein Lieblingssprichwort am Theater, das leider auch oft dem Bühnenschlendrian als Schlupfwinkel dient.

„Der Alte“ – so heißt der Direktor billigerweise, wie sich wohl jeder Vorgesetzte diesen patriarchalischen Titel gefallen lassen muß. – „Der Alte sitzt mit Ritterstiefeln an der Kasse“, das heißt: das „Verhältniß“ ist so klein, daß der Direktor sein eigener Kassirer ist, da er aber auch zugleich als Darsteller unentbehrlich ist, so sitzt er bereits kostümirt am Kassentische, oben durch den Ueberzieher verhüllt, während unten die Ritterstiefel die Einlaß Begehrenden schon auf den zu erwartenden Genuß vorzubereiten scheinen.

Meistens aber heißt es bei Gesellschaften dieser Art etwas hochtönend: „Die Frau Direktorin versieht das Kassenwesen“, und bei großen und kleinen Theatern hat gewöhnlich „die Alte“ „die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_230.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)