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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

war schal, die Luft im Zimmer unerträglich heiß. Die Morgensonne prallte gegen die Persienne, deren Stäbchen wagerecht übereinander standen und ein grelles Licht durchließen.

Seitdem von der Straße her die ersten Töne des Tageslebens heraufschallten, stieg die Ungeduld in Alfreds Brust bis zum Zorn. Er begriff nicht, wie man bei dem schönen Sommerwetter im Bett bleiben könne, und vergaß, daß er sonst nie die Dienste seiner Wirthin vor acht oder gar neun Uhr in Anspruch nahm. Er beschloß, auf diese unerhörte Nachlässigkeit hin noch heute auszuziehen und auch seinen Diener zu entlassen, der um sieben Uhr noch schlief. Und zuletzt stand er doch auf. Fast zugleich bewegte sich drinnen im Wohnzimmer etwas. Also endlich ein Mensch, wahrscheinlich Fritz, der jetzt erst aufzuräumen begann.

„Fritz!“ rief er herrisch.

In der Thürspalte erschien die Gestalt eines jungen Burschen in rothweißer Morgenjacke und leinener Schürze. Der Mensch hatte dunkles Haar, welches so sorgfältig und zierlich geordnet war wie bei einem Friseurgehilfen; dazu ein kluges blasses Gesicht und sehr helle Augen mit einem merkwürdig sicheren, fast frechen Blick.

„Der Herr sind schon auf?“ fragte er verwundert.

Alfred, der seiner gereizten Morgenstimmung eine Erleichterung hatte verschaffen wollen und Fritzen ein Donnerwetter zugedacht hatte, bei dem auch die aufgesummten Unterlassungssünden der ganzen vorigen Woche mitpoltern sollten, fühlte sich beim Anblick dieses gekämmtem Hauptes, dieses frechen Blickes und dieser grünweiß karrirten Krawatte, die ein wahrscheinlich unechter Amethyst schmückte, augenblicklich entwaffnet. Er stritt sich nie mit Leuten, die unter ihm standen, und er fühlte, daß es ein Streit, kein einseitiges Schelten geworden wäre. Fritz war ja im Recht, sich zu wundern.

„Frisches Wasser! Die Morgenpost! Dann schnell Thee!“ sagte er kurz.

Fritz zuckte, als er hinausging, ein wenig die Achseln. Was das nun sollte! Sonst war er gewohnt, bei seinem Thee zunächst die Morgenpost durchzugehen, wenngleich er den politischen Standpunkt seines Herrn gründlich verachtete und auch die kleinen novellistischen Arbeiten desselben, die stets mit vollem Namen gezeichnet waren, scharf und abfällig kritisirte. Als er den Briefkasten entleerte, in welchen just eben der Postbote die Morgenpost gesteckt – man hörte noch seinen stapfenden Tritt die zweite Treppe empor – hatte er wenigstens die Entschädigung, sich boshaft über die kleine Sammlung von Zeitungen, Couverts, Karten freuen zu können. Erstens war eine Zurücksendung von einer Redaktion dabei; Fritz kannte das genau, er hatte an dieselbe Adresse, die als Absenderin obenauf gedruckt stand, vor vier Wochen ein ebensolches eingeschriebenes Couvert zur Post getragen. Zweitens fehlte zwischen den Briefen eine gewisse Handschrift und ein gewisses Couvert mit G. O. und der Freiherrnkrone. Fritz hatte längst beobachtet, daß solche Briefe fast täglich kamen und von seinem Herrn mit zitternden Fingern aufgerissen wurden.

Mit seinem kältesten Gesicht trug er die Postsachen zu seinem Herrn hinein, der gerade vor dem Spiegel stand und sich eine weiße Batistkrawatte zurechtknüpfte. Und richtig, Alfred riß die Stücke auseinander, warf sie auf den nahen Tisch, eins nach dem andern, und endlich das letzte.

Er versuchte, sich ruhig weiter anzukleiden. Wann hätte Gerda denn noch schreiben sollen? Sie müßte schon gerade in der Nacht nach dem Fortgang der Gäste noch jemand zum Hauptpostamt geschickt haben, wenn sie es hätte ermöglichen wollen, ihm heute morgen einen Gruß zukommen zu lassen. Und warum that sie nicht so? Um einem geliebten Menschen ein beruhigendes Wort zu sagen, durfte keine Stunde zu spät, kein Weg zu weit sein.

Aber vielleicht fühlte Gerda gar nicht, daß er der Beruhigung bedurfte, vielleicht nahm sie es für Launenhaftigkeit, daß er gestern gegangen, und grollte ihm. Das war’s ja überhaupt: für die feinen Bewegungen in seinem Seelenleben fehlte ihr das Verständniß, oder der Wille zum Verstehen. Sie forderte von ihm, er solle immer klar, gefaßt, beherrscht sein wie sie. Sie wollte ihn verändern, erziehen, anstatt die Eigenart seines Wesens hinzunehmen als etwas Unabänderliches.

Aber in der Liebe zwischen einem Mann und einem Weibe ist es das Naturgesetz, daß das Weib im Mann aufgeht.

So grübelte Alfred, saß in seiner Sofaecke und genoß gewohnheitsmäßig seinen Thee, ohne zu bemerken, daß das Wasser zu diesem nicht gekocht hatte, daß die Eier zu hart und das Fleisch trocken war. Er vergaß auch die Postsachen, die verstreut zwischen den Frühstücksgeräthen lagen. Fritz hatte sie nicht zusammengerafft, sondern mit einer gewissen Impertinenz für jedes Stück Geschirr eine freie Stelle ausgesucht.

Die Uhr schlug eben acht.

„Noch kann ich nicht zu ihr, noch nicht, um sie zu fragen, ob sie denn gestern abend meine Qualen nicht begriff,“ murmelte er, auf die Uhr sehend.

Fritz, der gerade an dem Schreibtisch, auf welchem die Uhr stand, unnöthig lange Staub wischte, weil dort eine neue Photographie der Baronin lag mit einer Widmung, die er nicht gleich lesen und verstehen konnte – Fritz drehte sich um.

„Sagten der Herr etwas?“

„Sind Sie noch immer da? Ich will allein sein,“ sagte Alfred auffahrend. Er war sich der Gegenwart des Menschen nicht bewußt gewesen.

„Sehr wohl,“ antwortete Fritz kühl. In einem Punkt berührte er sich mit seinem Herrn, wie dieser sich nicht mit Untergebenen stritt, ärgerte er sich nie über Vorgesetzte, aber er rechnete immer mit ihnen ab, über jede Ungerechtigkeit, Härte oder gezeigte Ungeduld.

Die Gelegenheit dazu kam schon eine Viertelstunde später.

An der Etagenthür klingelte es schüchtern. Fritz, der mit der Wirthin auf dem besten Fuße stand, ging aus Gefälligkeit, um zu öffnen, denn er stand gerade mit Frau Meyns in ein Gespräch vertieft auf dem Korridor.

„Ich will zu ihm,“ sagte der kleine Knabe, der vor der Glasthür gewartet hatte und einen großen Rosenstrauß in der Hand hielt.

„Zu ‚ihm‘?“ lachte Fritz spöttisch und sah sich den Jungen an. Die feine Gestalt in dem weißen Matrosenanzug mit blauem Kragen schien ihm nicht unbekannt. Richtig, das war der kleine Sohn der Baronin Offingen.

„Wenn Du mit ‚ihm‘ Herrn von Haumond meinst, mein Junge, so kannst Du nicht zu ihm, denn er will allein sein,“ sagte Fritz.

Die übergroßen, glanzvollen Augen des Kindes bekamen einen Thränenschimmer.

„Aber ich will ihm diese Rosen von Mama bringen,“ rief es weinerlich.

Fritz griff mit frechen Händen nach dem Strauß, da der Kleine diesen aber festhielt, so kniff er wenigstens eine halberschlossene dunkle Rose heraus. Er befestigte sie in dem Knopfloch seiner Jacke – vor Kindern genirte er sich nie, sie mochten so hochgeboren sein, wie sie wollten, sie waren für ihn noch keine Menschen, denn sie hatten noch kein Geld – und sagte wohlwollend:

„Gieb mir das Bouquet, ich trag’s nachher hinein.“

„Wenn er auch allein sein will, ich darf doch zu ihm,“ rief Sascha, während die ersten Thränen der Angst über seine zarten Wangen rannen.

„Hilft nichts. Er hat’s mal gesagt. Gieb mir die Blumen!“ sagte Fritz mit beginnender Ungeduld. Er wußte ganz genau, daß sein Herr über den Besuch des Kindes gejubelt haben würde.

„Nein, ich gebe sie nicht,“ rief der Kleine heftig und machte kehrt. Er hielt sich auf der fremden und mit glatten Hanfmatten belegten Treppe vorsichtig am Geländer fest, seine kleine heiße Hand glitt auf dem kühlen Mahagoniholz entlang.

Unten im Flur des Hauses ging seine Mutter auf dem bunten Fliesenfußboden hin und her. Als sie ihren Knaben mit den Blumen und allein zurückkommen sah, wurden ihr vor Schreck Hände und Füße schwer.

So hatte er den lieben kleinen Sendboten gar nicht empfangen? So zürnte er? Mein Gott, warum denn so beharrlich und so grundlos? Er mußte doch begreifen, daß sie gestern ebenso gelitten wie er. Aber das war das Fürchterliche in seinem Wesen, diese Art und Weise, von der geliebten Frau blind oft Unmögliches zu verlangen und zu grollen, wenn sie nicht gewähren konnte.

Sascha weinte an dem Gewand seiner Mutter. Sie zitterte heftig. In ihre Wangen stieg brennendes Roth. So hatte sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_246.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)