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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

bißchen stille zu sein, da er, Alfred, noch die Briefe lesen und sich nachher umkleiden müsse.

Alfred las zum dritten Male den Brief von Josephe Thomas. Alle Menschen, die stark mit sich beschäftigt sind, haben die Neigung, in jedem Ereigniß seine Beziehungen aufzuspüren, die zu ihnen selbst hinüberleiten. So hafteten alle seine Gedanken zuletzt an der Stelle, wo diese Frau ihm sagte, daß sie für ihre Tochter viel wolle, aber dies in Uebereinstimmung mit seinem verstorbenen Vater.

Das konnte natürlich nur den einzigen Sinn haben, daß diese beiden, die sich einst hoffnungslos geliebt hatten, ihren trauernden Herzen zur Entschädigung eine Verbindung ihrer Kinder erhofften. Sein Vater hatte ihm freilich nie dergleichen angedeutet, aber er begriff solche Zurückhaltung gar wohl und verstand, wie peinlich es für einen Vater sein müsse, dem erwachsenen Sohn von einer Liebe zu reden, die einer andern Frau als dieses Sohnes Mutter gegolten.

Wie doppelt unangenehm wurde nun diese Annäherung! In zwiefacher Weise ward die arme Frau nun schon enttäuscht: er war nicht in Baden und nicht mehr Herr seiner Hand. Was würde Gerda zu dieser Geschichte sagen? Aber sie, taktvoll und von schnellen Entschlüssen, würde sicher am besten wissen, in welcher Art er sich aus der Sache ziehen könne.

In seinen Gedanken, die sich lange im Kreise um denselben Punkt gedreht hatten, störte ihn ein unterdrücktes Kichern. Er sah auf und sah seinen Liebling mit dem seligsten Gesicht vor dem Schreibtisch, wo ein Haufen Briefpapier, mit Blei verschmiert, in einem Meer von Tinte schwamm, und wo die mit Schimmeln berittene Husarenschwadron sich jetzt auf grell lila Pferden präsentirte. Der Junge hatte ebensolche Hände und sein weißer Anzug war lila getigert.

„Sie sind lila, Papa,“ jubelte der Kleine, „ich dachte, Deine Tinte sei schwarz, und ich wollte Rappen damit machen.“

Alfred war entzückt. Er lachte Thränen und besah sich die Hände des Kleinen.

Dann rief er: „Fritz, Fritz!“

Fritz kam nur, wenn man klingelte, das war er so gewohnt, und er ließ sich nie in seinen Gewohnheiten stören. Als Alfred sechsmal gerufen, drückte er einmal auf die elektrische Glocke, und allsogleich erschien Fritz.

„Warum kamen Sie nicht? Ich habe sechsmal gerufen,“ schalt der Herr.

„Weil ich das Geschrei nicht leiden kann,“ dachte Fritz, sagte aber ruhig:

„Ich höre draußen nur die Glocke.“

Das konnte sein Herr nun nehmen, wie er wollte, denn zu Fritzens Eigenthümlichkeiten gehörte auch, daß er nie log.

Auf die Tintenbescherung warf er nur einen Blick der Verachtung und sagte:

„Die grüne Tuchplatte muß erneuert werden. Der Anzug des jungen Herrchens ist verdorben. Soll aus seinem Hause ein anderer geholt werden?“

„Nein, wir bleiben so, Schlingel, was?“ meinte Alfred. „Nur die kleinen Fäuste wollen wir waschen.“

Damit hatten sie genug zu thun, die lila Tinte war echt, und als man einen Wagen vor dem Hause halten hörte, befanden sich noch vier Hände zusammen im lila Seifenschaum.

„Geh hinunter! Ich lasse die Frau Baronin bitten, einen Augenblick zu verziehen.“

Fritz sagte unten am Wagenschlag. „Frau Baronin mögen einen Augenblick verziehen. Es ist ein kleines Unglück vorgefallen – der Herr eilen sich soviel wie möglich.“

Gerda, die strahlend vor Schönheit und Glück im offenen Landauer saß, schaute auf.

„Ein Unglück – mein Sohn? Herr von Haumond?“

„Der junge Herr. Ein kleines Malheur wirklich nur …“

Gerda war schon aus dem Wagen und auf dem Flur.

„Aber Frau Baronin!“ rief Fritz mit vergnügtem Gesicht hinter ihr her.

Doch sie hastete schon treppauf.

Gerade kam aus dem zweiten Stockwerk, wo sie bei einer Freundin zum Frühbesuch gewesen, Frau Mietze Ravenswann herab. Mit hohem Interesse sah sie die Dame kommen, das weiße Kleid, der weiße Federhut und der weiße Tüllschirm derselben erschienen ihr sehr auffallend. Richtig, das war ja die Offingen, und so hastig. Frau Ravenswann stand still, aber ohne sie scheinbar zu sehen und ohne sie zu grüßen, ging die Baronin in die Thür der ersten Etage, welche, auch sehr seltsam, nicht verschlossen war, sondern ein wenig offen stand, als habe man jemand erwartet, der nicht erst klingeln sollte. Natürlich, in der Zeit, daß man steht und wartet, bis geöffnet wird, können zuviel Menschen einen sehen.

„Ich muß doch mit Ludolf darüber s-prechen,“ dachte sie entrüstet, „ob wir überhaupt Haumond noch bei uns empfangen können. Sie that, als wenn sie mich nicht sähe, dabei s-tand die Thür auf, sie wurde offenbar erwartet und s-türzte nur so hinein. Nein, alles was recht ist, aber das finde ich zu s-tark, selbst wenn sie sich s-päter heirathen sollten.“

Und während ihr das Herz vor sittlicher Entrüstung pochte, ging Frau Mietze Ravenswann geradeswegs zu ihrer Freundin, der Frau Doktor Schneider, um dieser ihre Wahrnehmung mitzutheilen. Denn zu einer solchen sittlichen Entrüstung gehören immer zwei gute Hausfrauen, das fühlte auch Frau Mietze deutlich.




3.

Gerda, die anstatt Blut – wie sie gefürchtet – Tinte sah, lachte wider Willen über das Unheil.

Aber nachher, als man in ihrem Hause gewesen war, um den Knaben sauber umzukleiden, sagte sie doch:

„Bist Du Dir aber über den Schaden klar, den Du angestiftet hast, Sascha? Nicht nur, daß Dein Anzug verdorben ist, auch der Tisch, der doch nicht Dein Eigenthum war und den Du schon deshalb hättest in acht nehmen müssen, ist ruinirt.“

„Das nenne ich Erziehungspedanterie,“ fiel Alfred ein, „willst Du ihm nicht lieber noch vorrechnen, daß von dem Gelde, was all dies kostet, eine arme Familie so und so viel Tage hätte leben können?“

„Das wäre nicht so unklug, wie Du es zu finden scheinst, denn man muß Kindern früh den Werth der Dinge klar machen, will man sie nicht zum Verschwenden erziehen,“ antwortete Gerda ruhig.

Alfred schwieg. Sie hatten sich beide vorgenommen, sich heute durch keinerlei Meinungsverschiedenheit reizen zu lassen.

Der Wagen rollte durch die Leipzigerstraße den Linden zu, denn Sascha hatte gebeten, daß man dem Aufzuge der Wache zusehen wolle.

Gerda und Alfred hatten sich, ehe sie dem zustimmten, eine Minute darüber gestritten, ob der Kaiser anwesend sei oder nicht, aber Gerda wußte es ganz gewiß und hatte es erst heute morgen in der Zeitung gelesen, daß der Kaiser von Babelsberg aus einige Tage nach Berlin gekommen sei.

Das Tantchen saß beleidigt und schweigend neben Gerda im Wagen. Erstens hatte Alfred sie gar nicht nach ihrem Befinden gefragt, und zweitens dachte niemand daran, ob ihr auch der Lärm und die Menschenmenge nicht zuviel für die Nerven werden möchten.

So unterblieb jedes Gespräch, das bei dem Rollen des Wagens und dem Getöse der Straße ohnehin beschwerlich gewesen wäre. Sascha ließ seine aufmerksamen Augen unaufhörlich in der Runde wandern. Eine Zeit lang verfolgte er einen Sprengwagen, an dem sie vorbeikamen. Er dachte angestrengt darüber nach, wie aus der dicken, rothen, liegenden Tonne der breite feine Regen kommen könne, der quer über die Straße weiterrückte, dem Gange der bequem schreitenden Zugpferde folgend. Sein Wunsch, auch einmal auf so einer rothen Tonne fahren zu dürfen, wurde durch das brennende Interesse abgelöst, welches ein in seiner Nationaltracht vorbeigehender Chinese ihm erweckte.

Er fragte Alfred, was das für ein Mann sei, weshalb er einen blauseidenen Kittel ohne Gürtel und so komische Schuhe und einen langen Zopf habe und solchen Sonnenschirm, wie die Gräfin Mollin ihn zwischen weißen Palmen in der Salonecke habe. Alfred erzählte ihm von China, von der Größe und Fremdartigkeit des Landes. Und als der unersättliche Knabe immer weiter fragte, warum denn die Chinesen hierher kämen, sprach Alfred von der Gesandtschaft, und wie die verschiedenen Kulturen einander vertrauter würden und ihre Schätze austauschten durch diese diplomatischen Beziehungen. Obgleich er das alles so einfach wie möglich und auch dem Verstand eines Kindes angepaßt vortrug, fand Gerda das zu viel für den ohnehin immer überangestrengten Kopf des Kindes.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_262.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)