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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

er sich dann wieder, es müßte doch wunderlich zugehen, wenn er in jeder Woche nicht so viel zusammenlesen und zusammendenken könnte, um es ein paar Stunden auf eine gefällige Art auskramen zu können. Im ersten Halbjahr will er nur ein Kolleg von zwei Stunden lesen, und zwar, dem philosophischen Trieb seiner Natur entsprechend, über Universalgeschichte.

So siedelt er denn voll guten Muthes im Mai nach Jena über. Es ist rührend zu lesen, mit welcher Befriedigung der bescheidene Mann dem Freund von den neuen Verhältnissen berichtet: seine Wohnung, bei zwei alten Jungfern, die sehr dienstfertig, aber auch sehr redselig sind, findet er über Erwarten gut, drei Stübchen, die zusammenhängen, helle Tapeten, zwei Sofas, Spieltisch, drei Kommoden und anderthalb Dutzend Sessel, mit rothem Plüsch ausgeschlagen! Dazu das Wichtigste für ihn, der Schreibtisch, den er sich selbst hat machen lassen! Er hat nur zwei Carolin gekostet, und das Mittagessen bekommt er von seinen Wirthinnen auf seinem Zimmer um zwei Groschen, und Wäsche, Frisur, Bedienung – alles ist so billig, mehr als 450 Thaler im Jahr wird er schwerlich brauchen.

Und nun, am 21. Mai, stand von Schillers Hand die lateinische Ankündigung am schwarzen Brett, daß er seine öffentlichen Vorlesungen über „Einleitung in die Universalgeschichte“ nächsten Dienstag eröffnen und je am Dienstag und Mittwoch von sechs bis sieben Uhr abends fortsetzen werde. Er hatte absichtlich zwei aufeinander folgende Tage gewählt, um den Rest der Woche für seine Studien frei zu behalten. Die Spannung in den studentischen Kreisen war groß. Nirgends hatten ja die „Räuber“ so gezündet wie bei der Universitätsjugend, und gerade die Jenenser Studenten hatten es noch lange hernach und bis in die neueste Zeit herein im Brauch, zu jeder „Räuber“-Aufführung in Masse nach Weimar zu kommen und gewisse überlieferte Vorrechte dabei nachdrücklich geltend zu machen.

Der denkwürdige Tag, Dienstag der 26. Mai, war herangekommen. Zwei Tage darauf berichtet Schiller dem Dresdener Freund ausführlich über das „rühmlich und tapfer bestandene Abenteuer auf dem Katheder“, und immer wird man mit herzlicher Theilnahme den Brief lesen, in dem sich die innere Genugtuung nicht ohne einen Anflug von Humor in allerliebster Weise kundgiebt. Aus Bescheidenheit hatte er den mäßig großen Hörsaal in Professor Reinholds Wohnung vor dem Johannisthor bestimmt; ein allgemeines Kollegiengebäude gab es damals nicht. Vom Fenster des befreundeten Kollegen – er war Wielands Schwiegersohn – sieht Schiller immer neue Studenten, Trupp auf Trupp, die Straße heraufkommen, es will gar kein Ende nehmen. Bereits sind Vorsaal, Flur und Treppe voll gedrängt, und ganze Haufen ziehen wieder ab. Man schlägt Schiller vor, sofort ein größeres Auditorium zu wählen, das größte in der Stadt; es gehörte dem alten, würdigen Kirchenrath Griesbach. Schiller stimmt zu, und „zu Griesbach!“ schallt es nun von allen Seiten. Das lustigste Schauspiel beginnt: jeder will der erste sein, sich einen Platz zu sichern, in hellen Haufen stürzen die Studenten die lange Johannisgasse hinunter, die Straße kommt in Alarm, an den Fenstern ist alles voll, die Wache am Schloß geräth in Bewegung, man meint, es sei Feuerlärm. „Was ist’s denn? was giebt’s denn?“ heißt es von allen Seiten; „Schiller wird lesen!“ erwidern die Vorübereilenden. Als er nach einer kleinen Weile mit Reinhold nachkam, fand er bis zur Hausthür alles besetzt, selbst auf den Subsellien standen die Leute, und durch eine Allee von Zuschauern und Zuhörern mußte der Gefeierte zum Katheder ziehen, der kaum zu finden war. Bisher war es üblich gewesen, neue Professoren bei dem erstmaligen Betreten des Katheders mit Scharren und Stampfen zu empfangen. Bei Schiller zuerst verbot die natürliche Hochachtung den alten Brauch. All das erhob ihn, er las mit einer Stärke und Sicherheit der Stimme, die ihn selbst überraschte. Der Vortrag machte Eindruck, den ganzen Abend war von ihm die Rede, und der Tag schloß mit einer Nachtmusik und dreimaligem Vivat, was noch keinem neuen Docenten widerfahren war.

Schiller hat die beiden ersten Vorlesungen in der Abhandlung vereinigt, welche in seinen Werken den Titel trägt: „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?“, ein Titel, der, sprachlich nicht untadelhaft, fast den Eindruck macht, als wollte sich der Herr Professor auch in seiner Ausdrucksweise den akademischen Überlieferungen anbequemen. Der Redner beginnt mit der berühmten Unterscheidung des Brotgelehrten, dem es beim Studium nur um die zu seinem Fortkommen erforderlichen Kenntnisse, und dem philosophischen Kopf, dem es um innerlich zusammenhängendes Wissen zu thun ist, und indem er diesen Gegensatz unmerklich erweitert und vertieft zu dem Gegensatz der beschränkten Fachgelehrsamkeit und der universellen, auf Einheit und Totalität dringenden Forschung, stellt er eben damit an der Schwelle jener großen und glücklichen Zeit, welche Jena nun in den zwei Jahrzehnten bis 1807 zu einer unvergleichlichen Blüthe emporhob, gleichsam das Programm, das geistige Zeichen auf, unter dem die Universität zu siegen sich anschickte, den Geist der wahrhaft freien und philosophischen Behandlung der Wissenschaft. Nur für den philosophischen Kopf, erklärt Schiller, hat das Studium der Universalgeschichte Bedeutung; denn diese ist im wesentlichen die Geschichte der Geistesentwickelung der Menschheit. Ihre Aufgabe ist, ein zusammenhängendes Bild der gesellschaftlichen Organismen, der verschiedenen Kulturzustände zu geben, die einzelnen Begebenheiten als Ergebnisse aller vorausgegangenen, als Momente im gesammten Weltverlauf zu verstehen; dabei wird sie aus der Summe der Ereignisse diejenigen herausheben, welche auf die heutige Gestalt der Welt einen wesentlichen und leicht zu verfolgenden Einfluß geübt haben, an dem überall erkennbaren Zusammenhang aber die großen Naturgesetze darlegen, welche den Gang der Geschichte beherrschen.

„Der Mensch verwandelt sich und flieht von der Bühne; seine Meinungen fliehen und verwandeln sich mit ihm: die Geschichte allein bleibt unausgesetzt auf dem Schauplatz, eine unsterbliche Bürgerin aller Nationen und Zeiten … Wie regellos auch die Freiheit des Menschen mit dem Weltlauf zu schalten scheine, ruhig sieht sie dem verworrenen Spiele zu; denn ihr weitreichender Blick entdeckt schon von ferne, wo diese regellos schweifende Freiheit am Bande der Nothwendigkeit geleitet wird. Was sie dem strafenden Gewissen eines Gregors oder Cromwells geheim hält, eilt sie, der Menschheit zu offenbaren: daß der selbstsüchtige Mensch niedrige Zwecke zwar verfolgen kann, aber unbewußt vortreffliche befördert.“ Indem der Redner so die geschichtliche Auffassung nach der sittlichen wie nach der geistigen Seite hin der Philosophie unterordnet, gelangt er zu dem schönen Schlußwort: „Unser menschliches Jahrhundert herbeizuführen haben sich, ohne es zu wissen oder zu erzielen, alle vorhergehenden Zeitalter angestrengt . . . Ein edles Verlangen muß in uns entglühen, zu dem reichen Vermächtniß von Wahrheit, Sittlichkeit und Freiheit, das wir von der Vorwelt überkamen und reich vermehrt an die Folgewelt wieder abgeben müssen, auch aus unsern Mitteln einen Beitrag zu legen und an dieser unvergänglichen Kette, die durch alle Menschengeschlechter sich windet, unser fliehendes Dasein zu befestigen . . . Jedem Verdienst ist eine Bahn zur Unsterblichkeit aufgethan, zu der wahren Unsterblichkeit meine ich, wo die That lebt und weiter eilt, wenn auch der Name ihres Urhebers hinter ihr Zurückbleiben sollte.“

Wir haben hier im Schwung der Sprache, in der Hoheit der Gedanken den ganzen Schiller, denselben, der schon als Studierender der Medizin eine „Philosophie der Physiologie“ schrieb, den es von Kind auf drängte, in allem, was er betrieb, die großen Zusammenhänge aufzuspüren, den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht zu suchen, der alles ergründend spalten und wiederum alles verknüpfend zur Einheit einer umfassenden Totalität emporführen mußte. Und hier zumal wirkte zum ersten Mal der mächtige Geist auf ihn ein, der hernach für ihn so bedeutungsvoll wurde, Immanuel Kant mit seiner Abhandlung von 1784: „Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht.“

Es ist heutzutage üblich geworden, von Schillers geschichtlichen Arbeiten ziemlich gering zu denken. Und doch ist es nicht billig, sie von dem Standpunkt der heutigen Wissenschaft aus zu beurtheilen, der erst mehrere Jahre nach Schillers Tod durch Niebuhr begründet wurde Es ist ja kein Zweifel, daß Schiller in dem, was man, zumal nach unsern jetzigen Begriffen, von dem Geschichtsforscher verlangt, manche Blößen bietet, daß er überhaupt seine geschichtlichen Arbeiten, die ihm eben nur eine Durchgangsstufe sein sollten, mitunter zu leicht genommen hat. Vergleicht man ihn aber in seinen Leistungen mit den Historikern seiner Zeit, so überrascht nicht nur der sichere, oft geniale Blick, mit dem er, der geborene Dramatiker der Völkergeschichte, die Persönlichkeiten und Verhältnisse durchschaut, man lernt dann auch ganz besonders die formelle Meisterschaft seiner geschichtlichen Darstellung schätzen, welche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_348.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)