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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

auf und sprengt stehend davon, hält sich mit den Händen am Sattel oder in den Steigbügeln fest und reckt die Beine senkrecht in die Luft oder nimmt im Reiten Gegenstände vom Boden auf. Das Wettrennen erachtet er als die höchste aller Vergnügungen und verherrlicht durch ein solches jede Festlichkeit.

Zum Wettrennen, „Baika“ genannt, werden in der Regel nur die edelsten Pferde und unter ihnen wiederum nur Paßgänger zugelassen. Die zu durchreitenden Strecken sind sehr bedeutend, nie unter zwanzig, nicht selten bis vierzig Kilometer lang; man reitet nach einem bestimmten Punkte der Steppe, einem bekannten Hügel, einem Grabmale z. B., und kehrt auf demselben Wege zurück, den man gekommen. Knaben von sieben, acht, höchstens zehn Jahren sitzen im Sattel und lenken die Rosse mit bemerkenswerthem Geschick. Den zurückkehrenden Pferden reitet man langsam entgegen; dem Paßgänger, welcher die meiste Aussicht hat, zu gewinnen, leistet man eine Hilfe, „Guturma“ genannt, indem man sich an seine Seite drängt, ihm das reitende Kind abnimmt, sodann Zügel, Steigbügel, Mähne und Schweif zu fassen sucht und ihn mehr zum Ziele schleift als leitet. Die Preise, welche ausgesetzt werden, bestehen in sehr verschiedenen Dingen, werden aber sämmtlich nach Pferdeswerth berechnet. Zwei- bis dreitausend Rubel Silber als erster Preis sind nichts Seltenes; reiche Familien setzen bis einhundert Pferde aus. Auch junge Mädchen kommen als Siegespreis vor in der Weise, daß der Gewinnende sie heirathen kann, ohne das übliche Brautgeld entrichten zu müssen.

Unter die ritterlichen Uebungen der Kirgisen muß auch die Jagd gezählt werden. Dem aufgespürten Wolfe folgt der kirgisische Jäger mit solchem Eifer und solcher Ausdauer, daß er es wenig achtet, wenn ihn die bei scharfem Reiten doppelt fühlbar werdende Kälte ernstlich gefährdet, d. h. er sich Gesicht und Hände erfriert; und wenn sein Pferd unter ihm nicht versagt, schmettert er zuletzt sicherlich die gewichtige Keule auf das Haupt des Räubers hinab. Noch mehr als solche Hetze liebt er die Jagd mit Adler und Windhund auf den Wolf oder den Fuchs. Wie seine Vorfahren versteht er, den Steinadler zu zähmen, zieht, ihn auf der stark beschuhten Hand tragend und diese auf ein am Sattel befestigtes Holzgestell stützend, zu günstig gelegenen, weite Umschau ermöglichenden Höhen empor und läßt durch seine Genossen die vor seinem Auge liegende Steppe absuchen. Einer besonderen Abrichtung des Raubvogels bedarf es nicht; alles, was gelehrt und gelernt werden muß, besteht darin, daß der Adler, welcher in frühester Jugend dem Neste entnommen und von dem Jäger selbst geatzt wurde, auf den Ruf zu seinem Herrn zurückkehrt, ererbte Anlage thut das übrige. Sobald die Jagdgenossen einen Fuchs aufgetrieben haben, nimmt der Jäger dem Stoßvogel Haube und Fesseln ab und wirft ihn in die Luft. Der Adler breitet seine Fittiche, beginnt zu kreisen, steigt in Schraubenlinien höher und höher, erblickt den gehetzten Fuchs, fliegt ihm nach, stürzt sich mit halb eingezogenen Flügeln und weit vorgestreckten Fängen schief auf ihn hernieder und schlägt ihm die Fänge in den Leib. Der Fuchs seinerseits dreht wüthend den Kopf, um den Feind mit seinem scharfen Gebisse zu packen, und der Adler ist verloren, wenn es gelingt. Aber in demselben Augenblicke, in welchem der Fuchs sich wendet, löst der Adler die Fänge, und einen Augenblick später umklammern sie das Gesicht des Opfers. Jauchzender Zuruf des heransprengenden Herrn ermuntert den Vogel zur Standhaftigkeit, und wenige Minuten später liegt der Fuchs, gefällt von dem zur Hilfe gekommenen Jäger, verendend am Boden. Mancher Adler freilich büßt beim ersten Versuche seine Kühnheit mit dem Leben; gelingt ihm aber der erste Angriff, so eignet er sich bald solche Fertigkeit an, daß er auch auf den Wolf geworfen werden kann. Diesem gegenüber benimmt er sich vom Anfange an, wenn auch genau nach denselben Regeln, so doch merklich vorsichtiger; schon die Größe des Wildes läßt ihn erkennen, daß er es mit einem noch ungleich gefährlicheren Gesellen zu thun hat. Doch auch ihn lernt er bewältigen, und ebenso hoch wie der seines Herrn steigt sein eigener Ruhm unter allem Volk, und mit dem Ruhme sein Preis. Ein Adler, welcher den Fuchs schlägt, wird mit dreißig bis vierzig Rubeln, einer, welcher den Wolf zu besiegen weiß, mit dem Doppelten und Dreifachen bezahlt, falls er seinem Herrn überhaupt feil ist.

Gilt es schon bei der Jagd mit dem Adler, alle Reitkunst zu bethätigen, so ist dies doch noch mehr der Fall, wenn der Kirgise mit seinen Windhunden auf Antilopen auszieht. Wie Pfeile stürmen die ziemlich langhaarigen Hunde dahin, wenn sie der behenden Wiederkäuer ansichtig geworden sind, und über Stock und Stein jagen die Reiter ihnen nach, bis sie mit ihnen das flüchtige Wild eingeholt haben.

Auch bei Treibjagden im Gebirge verlassen die Kirgisen ihre Pferde nicht. Es sah prächtig aus, als die Treiber, welche uns die Wildschafe zu Schuß bringen wollten, ihren halsbrecherischen Ritt begannen. Hier und da, auf den höchsten Spitzen wie in den Einsenkungen, Thälern und Schluchten zwischen ihnen erschien und verschwand einer der Reiter nach dem andern, bald scharf und klar gegen das Gewölk sich abzeichnend, bald wiederum zwischen den Blöcken sich verlierend, in dem Gestein der Halden gleichsam ausgehend. Keiner stieg vom Pferde, keiner besann sich auch nur einen Augenblick, irgend welchen Weg einzuschlagen; es war ihnen leichter, im Gebirge zu reiten als zu gehen.

Mit der Kühnheit paart sich die Ausdauer des Jägers. Nicht allein auf dem Rücken des Pferdes, sondern auch im Anschleichen und Belauern des Wildes entwickelt er eine außerordentliche Beharrlichkeit. Daß er tagelang einer Fährte folgt, will bei seiner Lust zu reiten wenig besagen; aber er kriecht auch mit der Luntenbüchse, welche er noch ebenso häufig führt wie das Steinschloßgewehr, wie eine schleichende Katze halbe Werste weit auf dem Boden dahin, lauert stundenlang in Sturm und Wetter auf ein Wild, bis er zum Schusse gekommen ist. Niemals schießt er weit und niemals, ohne die Büchse auf die an ihr befestigte Gabel zu legen; aber er zielt sicher und weiß seine Kugel auf die rechte Stelle zu senden.

So ausdauernd und unermüdlich als Reiter, Jäger und Hirt der Kirgise ist, so ungern übernimmt er anderweitige Beschäftigungen. Auch das Feld bebaut er, aber in höchst liederlicher Weise, und niemals mehr als unbedingt erforderlich. Die Arbeit auf der Scholle dünkt ihm unrühmlich wie jede andere Thätigkeit, welche nicht mit der Viehzucht und der Ausnutzung der Herdenthiere zusammenhängt. Er bethätigt ein außerordentliches Geschick, das Wasser zur Ueberrieselung des Hundes zu verwenden, besitzt ein höchst geübtes Auge für die Oertlichkeit und weiß auch ohne Meßtisch und Wasserwage, wie er die Wassergräben zu ziehen hat. Allein nur, so lange er noch Knabe ist, läßt er sich zu solchen Arbeiten willig finden, und hat er es erst einmal zu Besitz gebracht, rührt er gewiß weder Hacke noch Schaufel mehr an. Noch weniger liebt er es, irgend ein Handwerk zu treiben. Er versteht Leder zu bereiten und allerlei Riemen- und Sattelwerk daraus zu fertigen, dasselbe auch mit Eisen- oder Silberschmuck sehr zierlich auszuputzen, selbst Messer und Waffen zu schmieden und überhaupt alle ihm nöthigen Geräthe herzustellen; aber er übt solche Arbeit niemals mit Freude, sondern stets nur mit Widerstreben aus. Und doch ist er kein fauler und leichtfertiger, sondern ein fleißiger und zuverlässiger Arbeiter, und wer seine geschickte Hand gewonnen, hat selten Ursache, mit ihm unzufrieden zu sein.

Viel höher als leibliche, schätzt er geistige Arbeit. Sein reger und lebhafter Geist verlangt Beschäftigung; er liebt daher nicht bloß leichte, sondern auch ernste Unterhaltung aller Art. Er gefällt sich in Gesprächen mit anderen seines Stammes und kann durch seine Redseligkeit, welche nicht selten zur Schwatzhaftigkeit wird, dem Fremden geradezu lästig werden. Mit dieser Gesprächigkeit hängt rege Wißbegier, welche freilich ebenso oft in Neugier ausartet, aufs innigste zusammen; denn die „rothe Zunge“ will und darf nicht feiern. Wird irgendwo etwas verhandelt, was ein Kirgise verstehen kann, so nimmt er keinen Anstand, bis auf die Jurte sich heranzudrängen und das zum Lauschen gespitzte Ohr an die Wand der Jurte zu drücken, um keine Silbe zu verlieren. Ein Ereigniß, welches über das Alltägliche auch nur um Haaresbreite hinausgeht, eine Mittheilung, eine Erzählung für sich zu behalten, ist für den Kirgisen ein Ding der Unmöglichkeit. Niemals reiten ihrer zwei schweigend nebeneinander her, und ob die Reise tagelang währe; stets, ununterbrochen haben sie miteinander zu schwatzen, sich gegenseitig Mittheilungen zu machen. Gewöhnlich genügt es ihnen noch gar nicht, selbander zu reiten; es müssen ihrer drei, vier sein, welche gemeinschaftlich unter eifrigen Gesprächen des Weges dahinziehen; und diese Art zu reiten ist so tief bei ihnen eingewurzelt, daß ihre Pferde ganz von selbst sich aneinander drängen, daß der Europäer sie zügeln muß, um solches zu verhindern. In einer mit Kirgisen erfüllten Jurte summt es wie in einem Bienenschwarm, weil jeder zu Worte kommen will und alles thut, um die Rede an sich zu reißen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_362.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)