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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Zu Ehren eines angesehenen Gastes läßt der Wirth ein Schaf schlachten, vorher aber vor oder in die Jurte bringen, damit der Gast es segne. Dann kommen alle Nachbarn herbei, um an dem leckeren Mahle theilzunehmen. Kopf und Bruststück des Hammels werden am Spieße gebraten, die übrigen Fleischstücke in einem Kessel gekocht und dem Gaste in einer Mulde vorgesetzt. Der Gast wäscht sich die Hände, schneidet das Fleisch von den Knochen, taucht es in die stark gesalzene Brühe und sagt zu dem Wirthe, welcher sich bisher nicht neben ihm niederließ: „Nur durch den Wirth erlangt das Fleisch Schmackhaftigkeit; setzet Euch!“ Der Wirth aber erwidert:. „Viel Dank, viel Dank; esset nur!“ und willfahrt dem Gaste zunächst noch nicht. Dieser aber schneidet ein Stück von den falschen Rippen ab, ruft den Wirth herbei und steckt ihm den Bissen in den Mund; hieraus schneidet er ein anderes Stück ab, legt es auf eine Mulde und reicht es der Hausfrau. Nunmehr endlich setzt sich der Wirth an die Seite des Gastes; aber auch jetzt noch vertheilt nicht jener, sondern dieser die Speisen an die Theilnehmer am Mahle. Der Gast schneidet das Fleisch in mundrechte Stücke, mischt sie mit Fett, taucht je drei Bissen in die Brühe und steckt sie einem der Schmausenden nach dem andern in dem Mund. Beleidigung des Gebers würde es sein, wollte der Empfänger die Gabe nicht sogleich hinunterschlucken, möge er auch, falls die Bissen zu groß sind, dabei so schrecklich würgen müssen, daß sein Gesicht blau unterläuft und er der Hilfe der Nachbarn, welche dem also Bedrängten zur Erleichterung des Schlingens mit der Faust auf den Rücken schlagen, dringend bedarf. Dagegen darf der Geber auch niemals mehr als drei Bissen reichen; denn überschreitet er diese Anzahl, stopft er einem gleichzeitig fünf Fleischstücke in den Mund und erstickt der zum schleunigsten Hinabwürgen verurtheilte Mann infolge der allzu großen Gabe, so muß der Spender dies mit hundert Pferden an die Familie des Erstickten büßen, wogegen er frei ausgeht, wenn einer der Schmausenden an drei ihm gereichten Bissen zu Grunde geht. Nachdem das Fleisch verzehrt, reicht der Gast die Schale mit der Brühe umher, und jeder der Tischgenossen trinkt von ihr nach Bedarf oder Verlangen. Zum Schlusse der Mahlzeit, jeddch nicht bevor sich jeder die Hände gewaschen, wird von einem wohlhabenden Wirthe stets gegohrene Stutenmilch, der Kumis, gereicht, und zwar mit ersichtlicher Ehrfurcht vor diesem beliebtesten Getränk des Kirgisen. Wer bisher noch nicht am Mahle theilnahm, kommt jetzt herbei, um an diesem Nektar sich zu laben. Man trinkt bis zur Berauschung; denn der Kirgise leistet im Trinken seines überaus geschätzten Milchweines ebenso viel wie im Essen und ist in dieser Beziehung nichts weniger als mäßig.

Noch weit umständlicher als bei einfachen Besuchen sind die Gebräuche, welche bei allen wichtigen Familienereignissen geübt werden, insbesondere die Hochzeits- und Begräbnißfeierlichkeiten. Brautwerbung und Hochzeit, Begräbniß und Erinnerungsfeier an den Verstorbenen geben zu einer wahren Kette von Festlichkeiten Veranlassung.

Wis bei allen Mohammedanern wirbt der Vater für seinen Sohn, und wie unter allen Bekennern des Islam zahlt er an den zukünftigen Schwäher ein Brautgeld von sehr verschiedener, oft sehr bedeutender Höhe. Ein Brautwerber, welcher sich dadurch als solcher zu erkennen giebt, daß er ein Hosenbein über dem Stiefel, das andere in demselben trägt, erscheint in der Jurte, in welcher eine Tochter der Reife entgegenblüht, und trägt im Namen des Vaters eines heirathslustigen Jünglings sein Anliegen vor. Ist der Brautvater einverstanden, so verlangt er die großen Werber, d. h. den Auftraggeber selbst, die Gemeindeältesten und Vornehmsten aus dessen Aul, um mit ihnen zu verhandeln. Sie erscheinen und halten, wie üblich, vor dem Aul ihre Rosse an. Ein Abgesandter des Brautvaters reitet ihnen entgegen, begrüßt sie feierlich und förmlich und geleitet sie nach der für sie bestimmten Und geschmückten Festjurte, woselbst sie zunächst mit Kumis bewirthet werden. Um zu ihrer Unterhaltung beizutragen, erscheint ein Barde und hebt seinen Gesang an. Reiche Beifallspenden lohnen ihn, großartige Versprechungen feuern ihn zu weiterem Gesange an. Man preist die Tiefe seiner Gedanken, die Vollendung seines Vortrages; man verspricht ihm ein Pferd oder auch eine stattliche Summe eingemünzten Silbers als Sangeslohn. Abwehrend betont der Hausherr das einzig und allein ihm zustehende Recht, den Sänger zu lohnen; aber nur um so bestimmter versprechen die Gäste, denn jeder weiß, daß der Gastgeber die Erfüllung ihrer Versprechen nicht gestatten würde. Nachdem der Sänger geendet, beginnt eine lebhafte Unterhaltung zwischen dem Wirthe, seinen Nachbarn und Gästen; man spricht über die verschiedensten Dinge, nur nicht über die Ursache und den Zweck des Kommens, bricht endlich auf und reitet wieder heim.

Am anderen Morgen erwidert der Brautvater und sein Gefolge den Besuch, wird von dem zukünftigen Schwäher ebenso begrüßt und ebenso bewirthet und verlangt endlich, die Mutter des Jünglings zu sehen. Sofort begiebt man sich gemeinschaftlich in die Jurte der Hausfrau und begrüßt sich hier ebenso feierlich wie artig. Unmittelbar darauf bringt der Vater des Freiers das gebratene Bruststück eines Schafes herbei, schneidet Stücke zur Bewirthung der Gäste ab und begleitet das Zerlegen des am höchsten geschätzten Theiles eines Schafes mit den Worten. "Diese Schafbrust sei mir ein Pfand, daß unser Vorhaben zu gutem Ende gelangen möge“, reicht sodann seinen Gästen die leckeren Bissen und eröffnet damit die Verhandlungen über die Höhe des Kalüm oder Brautgeldes. Als Einheit der Rechnung gilt eine Stute von drei bis fünf Jahren; ein Paßgänger oder ein Kamel wird fünf Stuten gleich gerechnet; sechs oder sieben Schafe oder Ziegen haben den Werth einer Stute.

Der Brautvater verlangt als Brautgeld 77 Stuten, läßt aber mit sich handeln und geht, je nach seinem und des Schwähers Vermögen, zuerst auf 57, sodann 47, 37, 27, sind beide unbemittelt, auch noch weiter herab, bis man sich geeinigt hat. Sobald die Verhandlungen beendigt sind, erklärt der Brautvater das Verlöbniß für geschlossen, erhebt sich, um heimzukehren, und läßt ein Geschenk in oder vor der Jurte zurück. Der Vater des Bräutigams aber sendet, falls er irgend kann, mit dem abziehenden Schwäher die Hälfte des Kalüm zu dessen Jurte und zahlt auch die andere Hälfte so rasch als möglich ab.

Vierzehn Tage nach Entrichtung des Kalüm darf der Bräutigam zum ersten Male die ihm geworbene Braut besuchen. Unter möglichst zahlreicher Begleitung ihm befreundeter Altersgenossen und unter Führung eines mit allen Gebräuchen wohlvertrauten älteren Freundes seiner Familie bricht er auf, reitet bis in die Nähe des Auls seiner Braut, steigt hier vom Pferde, schlägt ein kleines Zelt auf und zieht sich in dasselbe zurück oder verbirgt sich anderweitig. Seine Begleiter aber ziehen weiter, begeben sich, nachdem man sie feierlich bewillkommt hat, in den Aul und vertheilen unter munteren Scherzreden allerlei kleine Geschenke, Ringe, Halsbänder, Leckereien, Band und buntes Zeug, unter die sich herandrängenden Frauen und Kinder. In Gemeinschaft mit ihren Altersgenossen beiderlei Geschlechts betreten sie die Festjurte. Der Wirth bietet Speise und Getränk, zuerst eine Schafsbrust, welche er mit den bereits erwähnten Worten zerschneidet, sodann kleine, in Fett geschmorte Stücke von Herz, Leber und Nieren des Schafes, stellt das Gericht vor den würdigen Alten hin, und dieser verfährt nach Gewohnheit und Recht des Gastes, schmiert aber dem ersten Jünglinge, welchen er mit einigen Bissen bedenkt, während er diese ihm in den Mund stopft, zugleich auch die fettige Brühe ins Gesicht. Damit giebt er das Zeichen zum Beginn jugendlichen Scherzes, in welchem fortan Jünglinge, Jung- und junge Frauen wetteifern. Ein sehr beliebter Scherz der Mädchen besteht darin, die Kleider der Jünglinge mit raschen Stichen an den Teppichen, auf welchen sie sitzen festzunähen.

Nach der Mahlzeit gönnt man den jugendlichen Gästen eine kurze Erholung, aber nur, um ihnen Zeit zu lassen, ihre Gedanken zu sammeln. Dann fordern die Mädchen und Frauen die Jünglinge zum Wettgesang auf, weisen ihnen den Ehrenplatz an, setzen sich ihnen gegenüber und eine von ihnen beginnt mit ihrem Gesange. Ist der von ihr angesungene Jüngling nicht schlagfertig, so geht es ihm übel. Zwickend und kneipend fällt die lustige Schar über ihn her, vertreibt ihn aus der Jurte und überliefert ihn den jungen Männern des Auls, welche vor der Jurte auf Opfer lauern. Ein Wassergefäß wird über den beklagenswerten Stümper ausgegossen, und er dann, gebadet und beschämt, in die Jurte zurückgeführt, um einer weiteren Prüfung unterworfen zu werden. Wenn er auch diese nicht besteht, verfällt er der Strafe, als Weib verkleidet und so an den Pranger gestellt zu werden. Wehe ihm, wenn er sich empfindlich zeigt, er würde einen qualvollen Tag verleben. Heute führt der Scherz die unbedingte Herrschaft und duldet keinen Murrkopf.


(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_364.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)